Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Termin bei den Halbgöttern in Rot

Deutschland verliert im Endspiel der Team-WM gegen übermächtige Chinesen - und doch entpuppt sich die deutsche B-Mannschaft letztendlich als A-Lösung.

Von Ulrich Hartmann

Sathiyan Gnanasekaran aus Chennai in Südindien hätte dem deutschen Tischtennis vergangene Woche beinahe einen schweren Schlag versetzt. Im zweiten Gruppenspiel bei der Weltmeisterschaft in China besiegte der 29-Jährige in Dang Qiu und Benedikt Duda beide deutschen Spitzenspieler, weshalb Deutschland gegen Indien überraschend mit 1:3 verlor und bereits in der Gruppenphase auszuscheiden drohte. Das wäre so, als würden deutsche Fußballer bei einer WM die Vorrunde nicht überstehen.

Der Name Sathiyan Gnanasekaran mit jedem einzelnen seiner 20 Buchstaben hätte sich wohl ins deutsche Tischtennisgedächtnis eingebrannt, wenn das deutsche Team anschließend auch noch gegen starke Franzosen verloren hätte und vorzeitig ausgeschieden wäre. Dafür wäre auch unerheblich gewesen, dass die deutschen Männer bei dieser WM notgedrungen mit der zweiten Garde angetreten waren: mit Dang Qiu, Benedikt Duda, Kay Stumper und Ricardo Walther und ohne die trainingsrückständigen Spitzenleute Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska.

"Finalsonntag, und Deutschland ist noch drin - schon das ist der Wahnsinn", fand Bundestrainer Roßkopf

Doch die deutsche B-Mannschaft entpuppte sich als absolute A-Lösung. Duda, Qiu und Stumper besiegten im Anschluss an die Indien-Blamage Frankreich, Usbekistan und Kroatien, drehten im Viertelfinale, wieder gegen Frankreich, einen 0:2-Rückstand in einen 3:2-Sieg um und gewannen auch im Halbfinale gegen Südkorea nervenstark mit 3:2. Dadurch standen sie am Sonntag völlig unverhofft im Endspiel gegen China.

Qiu, Duda und Stumper, die Nummern 9, 36 und 103 der Weltrangliste, bekamen es dort unter anderem mit den beiden besten Spielern der Welt zu tun: mit Fan Zhendong und Ma Long. Es war aus diesem Grund weder Überraschung noch Enttäuschung, dass sie das Finale 0:3 verloren. Vielleicht war es ein bisschen enttäuschend, dass sie bloß einen einzigen Satz holten. Gegen China haben deutsche Tischtennismänner aber selbst mit Boll und Ovtcharov noch nie gewonnen. Bundestrainer Jörg Roßkopf formulierte es so: "Finalsonntag bei der Weltmeisterschaft, und Deutschland ist noch drin - schon das ist der Wahnsinn!"

Die Frauen sind glücklich mit Bronze - dabei war im Halbfinale noch mehr drin

Silber für die Männer und Bronze für die Frauen bedeuteten eine hervorragende deutsche WM-Bilanz. Mit fünf Siegen in Serie waren Han Ying, Shan Xiaona, Nina Mittelham und Sabine Winter ins Halbfinale gegen Japan eingezogen, wo sie zwar optisch deutlich mit 0:3 unterlagen, sie dafür zwei Einzel erst im fünften Satz und mit nur zwei Punkten Differenz verloren. "Grundsätzlich sind wir über Bronze sehr glücklich", sagte Mittelham. "Aber wenn man sieht, wie das Halbfinale gelaufen ist, dann wären wir schon auch gerne ins Finale eingezogen." Trotzdem bilanzierte sie versöhnlich: "Wir hatten uns eine Medaille vorgenommen - und die haben wir geschafft."

Bloß 80 Minuten dauerte am Sonntag das Finalglück der Männer. Sie trösteten sich damit, dass nur ein sehr exklusiver Kreis von Nationen überhaupt mal solch einen Endspieltermin bei den Halbgöttern in Rot bekommt. Duda, 28, vom Bundesligisten Bergneustadt hatte im Viertelfinale gegen Frankreich und im Halbfinale gegen Südkorea nervenstark jeweils den siegbringenden dritten Punkt erzielt, im Endspiel war er gegen den Einzel-Weltmeister Fan Zhendong chancenlos und verlor in drei Sätzen (-8/-8/-9). Anschließend nahm es der aktuelle Europameister Dang Qiu, 25, vom Meister Borussia Düsseldorf mit dem Olympiasieger Ma Long auf und verlor in vier Sätzen (-9/-6/9/-1). Der 19 Jahre alte Düsseldorfer Kay Stumper verlor in drei Sätzen gegen Wang Chuqin (-7/-8/-4).

Zum siebten Mal binnen 15 Jahren stand ein deutsches Männerteam in einem Endspiel gegen China. Zum siebten Mal gab es eine Niederlage. 2008 bei Olympia in Peking verloren Boll, Ovtcharov und Süß. Auch bei den Weltmeisterschaften 2010 in Moskau (Boll, Ovtcharov, Süß), 2012 in Dortmund (Boll, Ovtcharov, Baum), 2014 in Tokio (Boll, Ovtcharov, Franziska) und 2018 in Schweden (Boll, Franziska, Filus) unterlag Deutschland deutlich. Zuletzt verloren Boll, Ovtcharov und Franziska das Endspiel bei Olympia 2021 in Tokio. Ein Endspiel gegen China zu erreichen, ist im Tischtennis der Gegenwart so ziemlich das Äußerste. Silber ist hier Gold.

Dass dies auch seine B-Mannschaft in Chengdu würde erreichen können, hatte der Bundestrainer bereits vor Turnierbeginn trotzig verteidigt. Roßkopf, 53, ist ein Berufsoptimist. "Ich glaube immer an den maximalen Erfolg", hatte er vor der WM gesagt. "Wir werden es probieren - wieso auch nicht?" Manchmal beginnen Erfolge mit einer einfachen Frage.

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