Tischtennis:Weihai statt Düsseldorf

Quarantäne mit Roboter: Das Tischtennis-Comeback in China

Quarantäne in China: Um für Olympia eine möglichst gute Position in der Setzliste zu bekommen, nimmt Dimitrij Ovtcharov gerade große Verrenkungen auf sich.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Hoch dotierte Turniere vom Tischtennis-Weltverband sorgen für Interessenskonflikte. Dimitrij Ovtcharov erklärte: "Die Teilnahme in China ist ein Muss, denn das ist ja meine Arbeit, und ich bin auch meinen Sponsoren gegenüber verpflichtet."

Von Ulrich Hartmann, Weihai/München

Im September wussten die Tischtennisspieler Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska plötzlich nicht mehr, wem sie in ihren Leben eigentlich am meisten verpflichtet sind: ihrer Karriere, ihrem Konto, ihrem Verein, ihren Sponsoren - oder nicht doch der Familie? Mit wenig Geduld forderte der Tischtennis-Weltverband ITTF sie damals auf, kurzfristig für zwei hoch dotierte Turniere im November im Hochrisikogebiet China zuzusagen. Nach Monaten des Stillstands lockten damit einerseits zwei lukrative Wettbewerbe, die andererseits aber pandemische Gefahren bargen und in eine Zeit fallen sollten, in der Ligaspiele für Ovtcharovs russischen Verein Fakel Orenburg und Franziskas Bundesliga-Klub 1. FC Saarbrücken angesetzt waren. Der Athletensprecher Ovtcharov reagierte damals unwirsch: "Da können ich und eine Vielzahl europäischer Spieler leider nicht teilnehmen, denn wir haben Verträge bei Vereinen und können diese nicht brechen."

In dieser Woche bewohnen Ovtcharov und Franziska nun aber trotzdem unter Quarantäne-Bedingungen ein chinesisches Hotel in der Stadt Weihai, in der an diesem Wochenende der "World Cup" stattfindet, und von der sie am Montag direkt weiterreisen in die Stadt Zhengzhou, in der am übernächsten Wochenende die "ITTF Finals" ausgetragen werden. Beide Turniere gehören zu den bestdotierten der Branche. Jeder Sieger erhält 50 000 US-Dollar, und schon für die Teilnahme gibt es jeweils eine vierstellige Summe.

Das viele Geld sowie die Punkte für die Weltrangliste, auf deren Basis die Setzlisten für Olympia erstellt werden, machen die Teilnahme an beiden Turnieren nicht nur attraktiv, sondern nahezu unerlässlich. Doch erst, als beide Spieler sicher sein konnten, dass Vereinsspiele verschoben werden und ihre Klubs sie für die Reise ins ferne China freigeben, sagten sie zu. In dieser Woche erklärte Ovtcharov: "Die Teilnahme ist ein Muss, denn das ist ja meine Arbeit, und ich bin auch meinen Sponsoren gegenüber verpflichtet, an den großen, internationalen Turnieren teilzunehmen."

Für ihr Gefühl der inneren Zerissenheit und die Frage nach beruflichen Prioritäten waren die vergangenen Wochen aber nur ein Vorgeschmack. Auf Spieler wie Ovtcharov, Franziska und den zuletzt angeschlagenen Timo Boll kommen schwierige Zeiten zu. Die im Weltverband neugegründete Turnierserie "World Table Tennis" forciert Pläne mit immer mehr und immer besser dotierten Turnieren, die es den europäischen Spielern erschweren, ihre Verpflichtungen gegenüber den Vereinen einzuhalten. Ganz verzichten können sie auf solche Vereins-Engagements aus wirtschaftlichen Erwägungen aber auch nicht. An diesem Zwiespalt macht sich im Welttischtennis ein wachsender Kontinentalgraben bemerkbar. Die europäischen Spieler fürchten gegenüber den asiatischen weiter an Boden zu verlieren. Dass der Weltverbandspräsident Thomas Weikert ein Anwalt aus Limburg ist, klingt zwar tröstlich, doch die Strippenzieher der einflussreichen Sparte "World Table Tennis" sind der chinesische Verbandspräsident Liu Guoliang sowie der australische ITTF-Geschäftsführer Steve Dainton, der die These vertritt: "China befeuert das weltweite Tischtennis." Europa spielt in dieser Argumentation wohl keine große Rolle mehr. Der World Cup, der nun in Weihai stattfindet, sollte ursprünglich in Düsseldorf ausgetragen werden.

Und so nehmen die Spieler gezwungenermaßen den Quarantäne-Wahnsinn im chinesischen Hotel auf sich: eingesperrt bis auf die Trainingseinheiten, drei Mal am Tag Essen vor der Tür, alle zwei Tage frühmorgens ein Coronatest. Ob das riesige Hotelzimmer samt Tischtennisplatte und Tischtennisroboter das wettmachen kann, ist zweifelhaft. "Die Frage ist, was unter diesen Bedingungen von der Form übrig bleibt", sagt der Bundestrainer Jörg Roßkopf, der Ovtcharov und Franziska nach China begleitet. Den ohnehin favorisierten Chinesen Ma Long und Fan Zhendong ist die noch strengere Quarantäne aller Spieler in der ersten Woche nach der Landung in China erspart geblieben.

Roßkopf fordert von den Aktiven, sich die Verbandspläne nicht widerstandslos gefallen zu lassen. "Die Spieler müssen ihre Macht besser demonstrieren", sagt er. Mit ihrem spontanen Protest gegen die beiden Turniere in China "haben sie zwar mal etwas gesagt - aber am Ende war ihre Rolle rückwärts kein Zeichen von Stärke." Die Spieler müssen sich bewusst werden, wem sie sich am meisten verpflichtet fühlen: nämlich sich selbst.

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