Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Überraschungsgast aus Australien

Der TSV Schwabhausen tritt erstmals mit Liu Yangzi an. Die 19-jährige gebürtige Chinesin könnte dem Erstligisten ganz neue Möglichkeiten eröffnen - wenn sie denn öfter zum Einsatz kommt.

Von Andreas Liebmann

Man muss sich auch mal trennen können von überflüssigen Dingen, deshalb erwischte es eines Tages auch das Tischtennistrikot einer gewissen Seok Ha-jung. Ausrangiert vermutlich, irgendwie entsorgt, jedenfalls hat Helmut Pfeil es nie wiedergefunden. Dabei hingen zwar nicht viele Erinnerungen an diesem Stück Textil, aber doch eine kleine, amüsante, obwohl oder gerade weil Seok dieses Trikot des TSV Schwabhausen mit ihrem Namen auf dem Rücken nie getragen hat. Streng genommen wäre es eine interessante Rarität für eine Online-Auktion gewesen.

"Sie sollte eine Art Lebensversicherung für uns sein", erinnert sich Schwabhausens Abteilungsleiter Pfeil, damals, 2010, gleich nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga. "Wir haben sie dann aber nicht gebraucht." Dabei wäre Seok keine schlechte Lebensversicherung gewesen, schließlich stand die Südkoreanerin in jener Saison auf Rang zwölf der Weltrangliste. Sie blieb dann also ohne Einsatz, hinterließ ein neuwertiges Trikot und eben jene Anekdote, die Pfeil nun wieder einfällt: Wie er damals nämlich bei den German Open in Dortmund auf der Tribüne saß, unmittelbar hinter einer ihm unbekannten Asiatin, die sich erst als jene Seok Ha-jung herausstellte, als sie aufstand, sich ihrer Trainingsjacke entledigte und entschwand - und der Pfeil ohnehin nicht hätte mitteilen können, dass er übrigens, hallo erstmal, der Vorsitzende ihres neuen Vereins sei, weil Seok kein Wort Englisch und Pfeil kein Koreanisch sprach.

Am vergangenen Sonntag jedenfalls tauchte ein neues, schwarzblaues Schwabhausen-Trikot in der Heinrich-Loder-Halle auf. "Y. LIU" stand in weißen Lettern auf dem Rücken. Das Beste daran: Die unbekannte Spielerin steckte praktischerweise schon drin und hielt einen Schläger in der Hand.

Gegen Weil deutet Liu an, dass sie nicht zu Unrecht auf Position eins steht

"Ich hatte auch nicht mit ihrem Einsatz gerechnet", sagte TSV-Trainer Alexander Yahmed später, aber natürlich hat er sich auch nicht dagegen zur Wehr gesetzt. Liu Yangzi steht seit Saisonbeginn auf der Rangliste des Vereins aus dem Landkreis Dachau, sogar auf Position eins, was schon etwas heißen mag, weil dort eigentlich immer Sabine Winter steht, seit Jahren eine der beständigsten Bundesliga-Spielerinnen. Kurz vor Ende der Wechselfrist hatte Pfeil diese Personalie bekannt gegeben, und Trainer Yahmed hatte sicherheitshalber betont, dass niemand wisse, ob die Neue überhaupt je zum Einsatz käme. Fast wortgleich wie damals bei der Südkoreanerin Seok. Aber Liu, 19 Jahre jung, war nun kein Phantom mehr, sie stand leibhaftig am Tisch, lächelte, wirkte etwas nervös - und gewann auf dem Weg zum 6:2-Erfolg gegen den ESV Weil zwei Einzel.

Vermutlich hatten auch die Gegnerinnen nicht erwartet, dass dieser Teenager so bald mal zum Einsatz kommen würde, noch weniger sicherlich, dass er ausgerechnet gegen sie auftauchen würde. Allzu groß ist ja die Wahrscheinlichkeit nicht gewesen bei einer Chinesin, die in Australien lebt, was von Schwabhausen aus wirklich nur unwesentlich näher liegt als von Weil am Rhein. "Wir haben das Glück, dass sie jetzt in Europa einige Turniere spielt, weil sie für Australien Punkte braucht", erläuterte Yahmed. Lius Weltranglistenposition um die 400 sagt in ihrem Fall wenig aus, weil sie noch nicht viel international gespielt hat, aber dass sie nicht ganz zu Unrecht an Position eins steht, vor Winter, der aktuellen Nummer 117 und ehemaligen Nummer 36 der Welt, das konnte man sehen. "Meine Erwartungen waren hoch", sagte Yahmed, "und sie wurden nicht enttäuscht." Viel Übersicht und einen "guten Touch" attestierte er - und überhaupt keinen erkennbaren Schwachpunkt. "Sie verstärkt unser Team schon extrem."

Mit den Gästen war ohnehin noch eine Rechnung offen - nicht zuletzt für die formstarke Sabine Winter

Mit Lius Erscheinen fügte sich einiges. Es war ja nicht irgendein Gegner, den die 19-Jährige bei ihrer Premiere erwischte - auch wenn sie davon keine Ahnung hatte. Gegen Weil war Schwabhausen im Frühjahr völlig überraschend im Playoff-Viertelfinale ausgeschieden, hatte sich als Favorit trotz Yahmeds Warnungen nicht auf so viel Gegenwehr eingestellt. Winter, bis dahin unbezwungen in der Liga, unterlag obendrein gleich dreimal der Bulgarin Polina Trifonova. Es war also eine Rechnung offen. Wie ernst das Team diese nahm, bekam auch Pfeil zu spüren. Der Abteilungsleiter hatte politische Ehrengäste eingeladen, für eine Würdigung Winters, die ihre kleine Formdelle von damals längst überwunden hat und seitdem deutsche Meisterin im Doppel und vor allem Europameisterin mit dem Team wurde. Dann aber baten die Spielerinnen darum, die Ehrung vom Spielbeginn in die Pause zu verschieben, um nicht in der Vorbereitung gestört zu werden. Nicht nur wegen der alten Rechnung - "es war ein Vierpunktespiel", versicherte Coach Yahmed. Sie wollen ja wieder in die Playoffs.

In Einzel und Doppel setzte der Trainer dann gleich sechs statt vier Spielerinnen ein, um alle zufriedenzustellen, bot damit nicht zwingend die stärkste Formation auf, aber eine, die stark genug war - zumal auch Winter gegen Trifonova und Izabela Lupulesku zwei höchst überzeugende Dreisatzsiege verbuchte. "Sie ist wieder in einer ganz anderen Form", erklärte Yahmed. Im EM-Finale gegen Rumänien bezwang die 29-Jährige drei Wochen zuvor Elizabeta Samara, die Einzel-Europameisterin des Jahres 2015.

Mit Liu Yangzi hat das Team nun ganz andere Möglichkeiten, aber die Unsicherheit bleibt: Wann sich die gebürtige Chinesin, die eine Zeit lang internationale Turniere für Portugal spielte, ehe sie nach Australien zog, künftig in Europa aufhält und wie das mit Schwabhausens Spielterminen zusammenfällt, bleibt für den Verein kaum planbar. "Ich hoffe, dass sie öfter spielt", sagt Yahmed vage. Immerhin, ihr Trikot hat sie schon eingeweiht. Und Englisch spricht sie auch ausgezeichnet.

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