Tischtennis:Triumph in der Disco

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Am Anfang aufgeregt, am Schluss nicht aufzuhalten: Dimitrij Ovtcharov. (Foto: Joaquim Ferreira/dpa)

Der TTC Neu-Ulm gewinnt in der eigenen Stadt seinen ersten Titel: Mit zwei 3:0-Siegen gegen Ochsenhausen und Düsseldorf setzt sich das Team um Dimitrij Ovtcharov im Pokal-Final-Four durch.

Von Andreas Liebmann

Als es wieder hell wurde, ging erst mal alles ganz schnell. Nervös und fahrig wirkte Simon Gauzy von den TTF Ochsenhausen, während sein Gegenüber Truls Moregardh loslegte, als hätten die Hallentechniker soeben nicht nur die Scheinwerfer der Ratiopharm-Arena, sondern mit ihnen auch gleich den schwedischen Tischtennisprofi des TTC Neu-Ulm angeknipst. Kaum mehr als ein Viertelstündchen dauerte dieser Auftakt, bei dem Gauzy viele Fehler fabrizierte, Moregardh zielstrebig seine Vorhandspins versenkte und am Ende seine ritualisierte Jubel-Heldenpose zeigte.

Zu diesem frühen Zeitpunkt ließ sich bereits erahnen, dass das Final Four im deutschen Tischtennis-Pokal am Sonntag zielstrebig auf das von vielen erhoffte Endspiel hinauslaufen würde: zwischen Rekordmeister Borussia Düsseldorf und dem heimischen TTC Neu-Ulm nämlich - und damit zwischen den Klubs der ehemaligen Weltranglistenersten Timo Boll, 41, und Dimitrij Ovtcharov, 34. Um zu ahnen, dass Ovtcharov einige Stunden später seinen Klubchef Florian Ebner in die Höhe stemmen würde, um mit ihm den ersten Titel des jüngsten Bundesligaklubs zu feiern und den ersten bayerischen Pokalsieg bei den Männern seit dem Post SV Augsburg in der Saison 1966/67, war es natürlich noch zu früh.

Gefühlt hatte der Einmarsch der Halbfinalisten zu Beginn länger gedauert als dieses erste Einzel. Zu dröhnender Musik waren die Protagonisten einzeln in die abgedunkelte Arena gelaufen, zwischen Pyrotechnik und Kunstnebel, vor 5000 Zuschauern: Besucherrekord. Seit Tagen war die Veranstaltung ausverkauft. Es herrschte genau jene Stimmung, die den Verleger Ebner 2019 dazu bewogen hatte, den TTC Neu-Ulm zu gründen. Und nun, nach den bleiernen Corona-Jahren, debütierte sein Verein nicht nur in diesem Final Four, das zum achten Mal in Neu-Ulm stattfand, sondern gewann es prompt.

Der TTC hat damit bereits mehr geschafft, als dem Dauerfavoriten Düsseldorf ein neuer Konkurrent zu werden. In Dimitrij Ovtcharov hat er vor der Saison jenen Protagonisten in die deutsche Liga heimgeholt, der ihr so viele Jahre lang gefehlt hatte, mehr noch als jene zwölf, die er beim russischen Klub Fakel Orenburg unter Vertrag stand. Sieben der besten 15 Spieler der Welt seien nun hier vertreten, betonte Nico Stehle, der Geschäftsführer der veranstaltenden Profiliga TTBL. Sicher habe auch Ovtcharov der Bundesliga noch einmal Aufmerksamkeit gebracht, wichtiger aber sei diese Masse an Weltklassespielern. Nach zwei Jahren ohne Zuschauer diese Arena zu füllen, sei doch bemerkenswert.

Seinen Sieg im Generationenduell gegen Altmeister Boll hält Moregardh für sein bisher bestes Spiel

Ganz so schnell wie das Duell zwischen Moregardh, dem WM-Zweiten von 2021, und Gauzy, immerhin EM-Zweiter von 2016, gingen die Halbfinals dann nicht weiter. Der Weltranglistensechste Lin Yun-ju, den Ovtcharov mit nach Neu-Ulm gebracht hatte, brauchte im zweiten Einzel gegen Ochsenhausen vier knappe Sätze, um sich gegen Alvaro Robles durchzusetzen. Und Ovtcharov wehrte beim 13:15, 11:9, 17:19, 11:7, 13:11-Erfolg gegen Can Akkuzu sogar Matchbälle ab.

Zum direkten Duell zwischen Boll und ihm sollte es später nicht kommen, es blieb nur eine Art Fernduell in den Halbfinals, als Boll und Ovtcharov gleichzeitig nebeneinander spielten - und Altmeister Boll gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Patrick Franziska im Vergleich den stabileren Eindruck hinterließ. Auch die Borussia lag da bereits 2:0 vorne gegen den 1. FC Saarbrücken, nach einem 3:0 Anton Källbergs gegen Cedric Nuytinck und einem 3:1 Dang Qius gegen den Slowenen Darko Jorgic, bei der Wiederholung des Münchner EM-Finales vom August. Während Ovtcharov sich durch manch unnötigen Fehler gegen Akkuzu in Schwierigkeiten brachte, gelang es Boll häufig, Franziska auf dem Weg zum 11:5, 7:11, 15:13, 12:10 auszuplatzieren. Franziska, der als Weltranglisten-13. inzwischen zwei Ränge vor Boll steht, erkannte das an, enttäuscht sei er aber trotzdem, weil er die letzten Partien gegen Boll gewonnen habe.

Zwei 3:0-Siege brachten jedenfalls das erwartete Finale.

Auch vor diesem wurde abgedunkelt für etwas Disco-Getöse, auch danach ging es erst mal schnell: Düsseldorfs Källberg, seit Jahren ein Sieggarant in der Liga, war beim 6:11, 5:11, 3:11 gegen Lin chancenlos. Boll stand also vor der Mammutaufgabe, gegen den 21 Jahre jüngeren Moregardh um den Ausgleich zu kämpfen, und dieses Duell wurde ein Höhepunkt an Rasanz und Kreativität: Moregardh, die Nummer fünf der Welt, ließ sich feiern, nachdem er einen Satzball aus der Ballonabwehr heraus abgewehrt hatte, Boll verblüffte, als er den Schläger während des Ballwechsels von der linken in die rechte Hand wechselte und punktete - doch am Ende des Spektakels setzte sich der Jüngere durch: 11:9, 8:11, 11:7, 10:12, 11:8. Wieder setzte er zu seiner Pose an, die er aber abbrach - um statt der aufgesetzten Coolness lieber seine ehrliche Mischung aus Erleichterung und Stolz zu zeigen. "Er hat mir gesagt, das war eins seiner besten Spiele bisher", erzählte Ovtcharov später, "ich glaube sogar, er hat gesagt: das beste." Boll nannte den Schweden "verdammt abgezockt und cool".

Dass Neu-Ulms Trio "unglaublich aufgeregt" ins Turnier gestartet war, wie Ovtcharov sagte, merkte man Moregardh am wenigsten an - und am Ende auch Ovtcharov nicht, der den Europameister Qiu zum 3:0-Siegpunkt förmlich überrannte. Dieser Titel zu Hause sei auch für sie "etwas ganz Besonderes", versicherte Ovtcharov, noch etwas Glitzerkonfetti von der Siegerehrung im Kragen. Zum direkten Duell mit Boll könnte es ja auch bald im Champions-League-Halbfinale kommen.

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