Tischtennis: Timo Boll:Allein gegen China

Timo Boll führt die Tischtennis-Weltrangliste an. Für das deutsche Jahrhundert-Talent stehen die Chancen vielleicht nie wieder so gut, die zahlreichen Chinesen auch bei großen Turnieren zu schlagen.

Ulrich Hartmann

Mit dem Duell "Timo Boll gegen China" ist der Tischtennis-Zirkus gerade mal wieder auf Welttournee. Vor zwei Wochen trafen die Rivalen im Emirat Katar aufeinander, an diesem Wochenende kommt Bolls einsame Rebellion gegen die Tischtennis-Weltordnung in der Dortmunder Westfalenhalle zur Aufführung. Mitte Mai wird es bei der Individual-Weltmeisterschaft in Rotterdam richtig ernst, und ihren Höhepunkt erlebt diese spektakuläre Einer-gegen- alle-Geschichte dann 2012 bei den Olympischen Spielen in London.

Timo Boll

Kämpft gegen mehrere chinesische Kontrahenten: Der Weltranglistenerste Timo Boll.

(Foto: AP)

Der bislang letzte europäische Weltmeister war 2003 der Österreicher Werner Schlager. Der bislang letzte europäische Olympiasieger war 1992 der Schwede Jan-Ove Waldner. Der aktuelle Weltranglisten-Erste Timo Boll, 29, aus dem Odenwald kann in den nächsten eineinhalb Jahren endgültig Tischtennis- Geschichte schreiben - und den ersten Schritt in die vielleicht entscheidende Phase seiner Karriere macht er an diesem Wochenende bei den mit 172000 Dollar dotierten "German Open" in jener Westfalenhalle, in der Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner vor 22 Jahren Doppel-Weltmeister geworden sind.

Ein Jahrhunderttalent wie Timo Boll indes gab es im deutschen Tischtennis noch nie. Der junge Mann, der für Borussia Düsseldorf in der Bundesliga antritt, wurde bislang 13 Mal Europameister: vier Mal mit der Mannschaft, vier Mal im Einzel und fünf Mal im Doppel. Bei Olympischen Spielen reichte es zu Mannschaftssilber (2008), bei Weltmeisterschaften zu zwei Mal Silber im Team (2004 und 2010) und einem Mal im Doppel (2005).

Kontinental ist Boll längst quasi unbesiegbar, aber global haben ihm die Chinesen schon vier Titel vor der Nase weggeschnappt: 2004 in Katar, 2005 in Shanghai, 2008 in Peking und 2010 in Moskau - immer war am Ende ein Chinese vorn. Und Boll war Zweiter. Doch dauerhaft will er sich mit dieser Reihenfolge nicht abfinden. "Mein großer Traum", sagt er, "ist Einzelgold bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympia." Diese Chance, einmal vor den Chinesen zu landen, wird für ihn vielleicht nie wieder so gut sein wie in den nächsten 18 Monaten.

Keine Revanche gegen Xu Xin

Die Herren, die Bolls Traum verhindern wollen, heißen gemäß Weltrangliste der Reihe nach: Wang Hao, Ma Lin, Ma Long, Zhang Jike, Xu Xin, Wang Liqin, Chen Qi und Hao Shuai. Diese acht Chinesen stehen derzeit unter den besten 19 Spielern der Welt. Die drei erstgenannten folgen unmittelbar hinter Boll auf den Plätzen zwei, drei und vier. Dass Boll seit Jahresbeginn zum zweiten Mal nach 2003 Erster der Weltrangliste ist, heißt nicht, dass er zurzeit besser ist als alle acht Chinesen. Der erste Platz ist die Konsequenz eines komplizierten Auswertungssystems aller Ergebnisse der vergangenen Monate. Boll ist nicht zwingend der derzeit weltbeste Spieler, aber er kann es mit jedem der acht Top-Chinesen aufnehmen.

In Katar vor zwei Wochen hat er im Halbfinale mit Zhang Jike einen seiner Angstgegner mit 4:2 besiegt. Im Endspiel stand ihm der 21-jährige Xu Xin gegenüber, der jüngste der Top-Chinesen und derzeit der stärkste. Boll verlor in vier Sätzen. Er holte gegen den acht Jahre jüngeren Xu Xin in den vier Sätzen gerade mal acht, fünf, vier und acht Punkte. Boll war chancenlos, und das will etwas heißen. Zuvor hatte Xu Xin seine Landsleute Ma Long, Wang Hao und Wang Liqin ausgeschaltet.

In Dortmund nun hätte Boll am kommenden Wochenende gerne die Gelegenheit genutzt, sich vor heimischem Publikum gegen Xu Xin zu revanchieren und ein letztes Mal vor der Individual-WM im Mai in Rotterdam gegen ihn zu spielen. Doch der Weltranglisten-Achte Xu Xin kommt nicht nach Dortmund. Auch der Vierte Ma Long nicht. Vielleicht zwickt es die beiden ja irgendwo, vielleicht müssen sie sich nur ausruhen. Man weiß das nie so genau. Man darf aber spekulieren: Sie wollen sich Boll drei Monate vor der Weltmeisterschaft vielleicht nicht noch einmal stellen.

Mit Wang Hao (2. der Weltrangliste), Ma Lin (3.), Zhang Jike (6.), Wang Liqin (9.), Chen Qi (11.) und Hao Shuai (19.) verbleiben sechs herausragende Chinesen im Dortmunder Feld. Auf Bolls hartem Weg durch das hochkarätig besetzte K.o.-Tableau des 64er-Hauptfeldes drohen ihm in Hao Shuai im Achtelfinale, Ma Lin im Halbfinale und Wang Hao im Endspiel drei dieser sechs Chinesen als Gegner. Je nachdem, wie sich die Chinesen im unteren Tableau gegenseitig ausschalten, kann Bolls Final-Gegner auch Zhang Jike oder Wang Liqin heißen. Der Titelgewinn in Dortmund wird Boll jedenfalls wohl über drei Chinesen führen. Freitag, Samstag und Sonntag muss er je zwei Einzel gewinnen, um die German Open für sich zu entscheiden und China ein Signal für die WM zu senden. Wenn alles gut geht, ist der Ausgang des spektakulären Duells "Timo Boll gegen China" im Mai in Rotterdam dann offener denn je.

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