Süddeutsche Zeitung

Reform im Tischtennis:100 000 Dollar für sechs Siege

Bisher gilt Tischtennis fast überall als Randsport ohne großes Gewicht. Mit einer Millionen-Serie will der Verband dieses Image nun ablegen - und es geht für Tischtennisspieler tatsächlich um sehr viel Geld.

Von Ulrich Hartmann

Sechs Siege in Serie, dann wäre Timo Boll um 100 000 Dollar reicher. So viel Geld hat es im globalen Tischtennis noch nie zu gewinnen gegeben. Nie zuvor war ein Turnier mit zwei Millionen Dollar dotiert. Allerdings spielen um all das schöne Geld von diesem Freitag an in Singapur die jeweils 64 besten Spielerinnen und Spieler der Welt. Boll ist am Dienstag 41 Jahre alt geworden. Er ist der Älteste. Vielleicht werden es keine 100 000 Dollar für den Sieg, vielleicht werden es 60 000 (Finale), 30 000 (Halbfinale) oder 22 500 (Viertelfinale). Immer noch viel Geld. Sein erster Gegner ist am Samstag der Brasilianer Gustavo Tsuboi. Deutschlands bester Spieler, Dimitrij Ovtcharov, fehlt verletzt.

Auch die Besten im Tischtennis sollen ihre Grand-Slam-Serie bekommen - nur heißt sie Grand Smash

Zur Illustrierung einer "neuen Ära" im Tischtennis haben sich die Revolutionsführer vom World Table Tennis (WTT), eine neue und progressive, aber auch leicht asiatisch orientierte Abteilung des Weltverbands ITTF, ein brachiales Werbeposter gestalten lassen. Darauf bricht ein Tischtennisball den Asphalt vor Singapurs Wahrzeichen auf, als handele es sich um eine Bowling-Kugel. Eigentlich ist mit einem kleinen Plastikball eher wenig aufzubrechen, aber gegen just diese vermeintliche Leichtigkeit des Tischtennis setzt sich die neue millionenschwere Turnierserie zur Wehr.

"Hobbyspieler auf der ganzen Welt interessieren sich für Tischtennis, aber bisher haben wir nur an der Oberfläche dieses milliardenschweren Potenzials gekratzt," sagt der Australier Steve Dainton, der Chef von WTT mit Sitz in Singapur. An diesem Freitag beginnt die neue Zeitrechnung mit dem "Singapore Grand Smash". Die Endspiele sind am übernächsten Sonntag. Man lässt sich Zeit, Tischtennis zu zelebrieren. Mit dabei sind auch etliche Deutsche: fünf Spielerinnen und sechs Spieler.

Als die WTT vor zwei Jahren ihre Pläne mit massenhaft neuen Turnierformaten präsentierte, schrillten in Deutschland die Alarmglocken. Von bis zu 34 Turnieren pro Jahr war die Rede, weshalb sich nicht nur die Bundesliga als Basis des heimischen Profisports in Gefahr wähnte. Corona verzögerte dann allerdings den Beginn der Wettkämpfe, und mittlerweile sieht es so aus, als ob auf die besten Spielerinnen und Spieler nur bis zu neun obligatorische Turniere zukommen, alle anderen wären optional.

Angesichts der auch optisch neugestalteten Rahmenbedingungen bei den WTT-Turnieren war die Neugier groß, als die Deutschen nun nach Singapur aufbrachen, wo es schon für die Teilnahme an der ersten Hauptrunde 5000 Dollar gibt. Das ist viel Geld für Tischtennisspieler. Allein von Preisgeldern leben können nur die wenigsten.

Die internationalen Pläne klingen gut - doch die Bundesliga bleibt unersetzlich

Nach dem Vorbild der Grand-Slam-Serie beim Tennis sollen auch beim Tischtennis vier herausragende Turniere pro Jahr gespielt werden. Diese Serie heißt "Grand Smash". Sie lockt nicht nur mit viel Geld, sondern für die Weltrangliste auch mit derart vielen Punkten, wie sie sonst nur bei WM und Olympia ausgeschüttet werden. Noch aber gibt es keine Informationen über die weiteren Turniere, im Mai in China oder im Sommer in Europa könnte das nächste Event stattfinden. Ob es dieses Jahr überhaupt noch vier werden, ist ungewiss.

Aber genau das, die Planbarkeit und nahtlose Integrierung der neuen Turniere in den Jahreskalender der Profis, ist für Richard Prause, den Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bunds, die Voraussetzung für die Akzeptanz des neuen Konzepts. "Wir warten auf einen strategisch belastbaren Kalender, denn wir brauchen Planungssicherheit", sagt Prause und sieht in der WTT-Serie durchaus Chancen für den Sport. "Tischtennis wird dadurch attraktiver präsentiert", hofft er, "das Konzept kann funktionieren, es muss aber in die Gesamtstruktur aller anderen Wettbewerbe eingegossen werden."

Die besten deutschen Spielerinnen und Spieler sind alle auch in der Bundesliga aktiv. Dort verdienen sie den Grundstock ihres Lebensunterhalts. Anders als beim Tennis bildet die Bundesliga das Rückgrat des deutschen Tischtennis und soll das auch bleiben. Einen Tischtennis-Zirkus für pure Individualisten mag sich hier niemand vorstellen.

In der ersten Hauptrunde in Singapur spielen: Timo Boll, Dang Qiu (beide Düsseldorf), Patrick Franziska (Saarbrücken), Ruwen Filus (Fulda-Maberzell), Benedikt Duda (Bergneustadt) und Ricardo Walther (Grünwettersbach) bei den Männern sowie Han Ying (Tarnobrzeg/POL), Petrissa Solja (Langstadt), Nina Mittelham, Shan Xiaona (beide Berlin) und Sabine Winter (Schwabhausen) bei den Frauen. Auch für sie alle gilt: Es sind nur sechs Siege bis zu den 100 000 Dollar. Klingt verlockend. Wird aber wahnsinnig schwierig.

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