Tischtennis:Der Groll des Timo Boll

Timo Boll

Sorgen macht der Rücken - und der Weltverband: Timo Boll versucht trotz allem, seine Ziele im Blick zu behalten.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Im Alleingang setzt der Weltverband wichtige Turniere in China an. Für einige Athleten verstößt das "gegen alle Prinzipien des Fair Play" - jetzt protestieren sie.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Als im März die Olympischen Spiele auf nächstes Jahr verschoben wurden, war Timo Boll ein bisschen erleichtert. Er ist zwar immer noch einer der besten deutschen Tischtennisspieler, aber halt auch schon 39 Jahre alt; ein verlorenes Sportjahr wie 2020 tut ihm also besonders weh. Doch echte Schmerzen bereitet Boll seit dem Frühjahr nur der Rücken. Überbelastung hatte ihm eine Entzündung eingebrockt. Als die Spiele für 2020 abgesagt wurden, war er insgeheim froh. "Sonst wäre bei mir echter Stress ausgebrochen", sagt er über den kurzen Zeitraum, in dem er wieder hätte fit werden müssen: "Durch die Verschiebung erhalte ich die Chance, nächstes Jahr in Tokio topfit zu sein."

Am vergangenen Wochenende hat die Tischtennis-Bundesliga wieder begonnen. Boll wurde von seinem Verein Borussia Düsseldorf noch geschont. Olympia wäre im August gewesen, man sieht daran, dass Boll für Tokio tatsächlich noch nicht wieder ganz fit gewesen wäre. Seine ersehnte erste olympische Einzelmedaille bei seiner sechsten Olympia-Teilnahme wäre wohl unmöglich geworden. Jetzt hofft er aufs nächste Jahr, obwohl er dann schon 40 ist. Umso wichtiger ist, dass bis dahin alles optimal verläuft. Doch zusätzlich zu den Rückenbeschwerden macht dem Odenwälder nun der Tischtennis-Weltverband ITTF unter der Leitung des deutschen Präsidenten Thomas Weikert Sorgen.

Boll ist sauer, dass der Weltverband von Mitte November bis Mitte Dezember vier Turniere in China angesetzt hat, Turniere, die Spieler mit Blick auf eine gute Weltranglistenposition für Olympia kaum verpassen dürfen. Die Spielerinnen und Spieler sollen in einer noch nicht benannten chinesischen Stadt in einer Art Blase nach dem Vorbild der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA in einem Hotel kaserniert werden und sowohl den World Cup als auch die ITTF Finals ausspielen.

Mit anderen europäischen Spielern hat Boll eine Protestnote unterzeichnet, in der sie dem Weltverband vorwerfen, "gegen alle Prinzipien des Fair Play" zu verstoßen. Bei Nichtteilnahme drohe den Spielern nämlich der Abzug von wichtigen Punkten für die Weltrangliste; Bolls Medaillentraum geriete dann durch eine unvorteilhafte Setzliste in Tokio in Gefahr. Das ärgert ihn, aber auch, dass die Spieler durch die Reise einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt würden. Schließlich habe man ja auch Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber.

Der SZ sagte Boll: "Wenn man nach China reist, muss man in Quarantäne, und wenn man wieder zurückkommt, muss man wieder in Quarantäne, und die Bundesliga findet in dieser Zeit auch statt und ist für die meisten Spieler momentan die lebensnotwendige Haupteinnahmequelle. Da überlegt man sich dreimal, ob man seinen Verein vergrault, indem man wochenlang in China spielt. Ich kann mir das im Moment nicht vorstellen."

Der Weltverband hat sich auch den Zorn der Vereine zugezogen

Die Protestmail wurde nach Limburg an der Lahn verschickt, dort hat der ITTF-Präsident Weikert seine Anwaltskanzlei. "Ich gehe davon aus, dass nicht alle qualifizierten Spieler an den Turnieren in China teilnehmen werden", sagte Weikert der SZ: "Über die Protestnote war ich nicht überrascht, weil die Athletenkommission zuvor schon vehement gegen den geplanten Vergabemodus von Punkten für die Weltrangliste gestimmt hatte." Weil die Punkte aus dem vergangenen Jahr verfallen sollen und in diesem Jahr kaum Turniere gespielt wurden, bekämen die in China zu vergebenden Punkte eine derart große Bedeutung, dass im Grunde kein Spieler mit dem Ziel Olympia darauf verzichten könnte. "Insofern war der Protest der Spieler für mich eine Art Hilferuf an die 'World Ranking Group', zu überlegen, ob man es nicht auch anders regeln kann", so Weikert.

Der seit 2014 amtierende Präsident betont, dass er bei der Abstimmung der Kommission namens "World Ranking Group", der auch er angehört, gegen den aktuell geplanten Punktevergabemodus votiert habe; er sei aber überstimmt worden. "Ich bin sehr für diese Turnierserie, finde aber, man darf die Spieler mit dem Druckmittel Weltrangliste nicht zwingen teilzunehmen. Spieler, die teilnehmen, sollten vielmehr mit einer Art Bonus für die Weltrangliste belohnt werden." Er wolle das Thema im ITTF-Exekutivkomitee noch einmal auf die Agenda bringen: "Ich hoffe, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist."

"Wir haben Verträge in Vereinen und können diese nicht brechen"

Mit Boll, Patrick Franziska und dem Athletensprecher Dimitrij Ovtcharov haben sich alle drei betroffenen deutschen Spieler dem Protest angeschlossen. Sie kündigen an, nicht nach China reisen zu wollen. "Man müsste am 20. Oktober anreisen, und erst 23 Tage später ginge der World Cup los bis Ende November", erklärt Ovtchatov, "da können ich und eine Vielzahl anderer Spieler vor allem aus Europa nicht teilnehmen; wir haben Verträge in Vereinen und können diese nicht brechen."

Über den Groll der Spieler hinaus hat sich der Weltverband aber auch den Zorn der Bundesliga-Vereine zugezogen. Der Manager des deutschen Meisters 1. FC Saarbrücken, Nicolas Barrois, sagt: "Wir finden es sehr bedenklich, dass die ITTF die Vereine komplett übergeht und keinerlei Anstalten macht, sie bei einer so wichtigen Entscheidung mit ins Boot zu holen."

Ursprünglich hätte der World Cup Mitte Oktober in Düsseldorf stattfinden sollen; die Stadt verzichtet gezwungenermaßen, erhofft sich aber im Gegenzug das Wohlwollen des Weltverbandes, wenn über die Vergabe der WM 2023 entschieden wird. Denn da ist Düsseldorf neben der südafrikanischen Stadt Durban der letzte verbliebene Bewerber.

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