Tischtennis:Mit Pioniergeist an die Platte

Tiago Apolonia TTC Neu Ulm gegen Daniel Habesohn Post SV Muehlhausen aus der Vogelperspektive TT

Premiere auf höchstem Niveau: Neu-Ulms Spitzenspieler Tiago Apolonia (links) beim Heimspiel gegen den Mühlhausener Daniel Habesohn.

(Foto: Benjamin Lau/imago)

Der erst im Frühjahr gegründete TTC Neu-Ulm spielt nach nur vier Monaten Vorlaufzeit schon in der Bundesliga - dank einer Wildcard. Dem ambitionierten Projekt fehlt bloß noch eine geeignete Halle.

Von Johannes Kirchmeier, Neu-Ulm

Glocken erklangen, weißer Rauch stieg auf, die Menschen blickten gespannt, aber keiner rührte sich. Einen Moment lang wirkte die Szenerie am Sonntagnachmittag wie die Papstverkündung in Rom, wenngleich schnell zu erkennen war, dass der Rauch nicht aus einem Kamin, sondern aus einer Nebelmaschine aufstieg, und der Mann mit dem Mikrofon, Dominic Gebauer, nicht "Habemus Papam" schrie, allerdings ähnlich verheißungsvoll rief: "Wir haben einen neuen Bundesligisten!" Der Glockenklang in der abgedunkelten Halle gehörte natürlich zum AC/DC-Klassiker "Hell's Bells", dem wahrscheinlich beliebtesten Begleitlied, seit es im Sport Einzüge gibt. 350 Menschen klatschten, einige davon mit Klatschpappen.

"Das war gut, den Leuten hat es gefallen", sagte dreieinhalb Stunden später Florian Ebner, der Vereinschef des Tischtennis-Clubs Neu-Ulm in der Ratiopharm-Arena, in der sonst die Ulmer Basketballer spielen. Der 61-Jährige im roten Vereinspolo wirkte zufrieden - auch wenn sein TTC gerade 1:3 gegen den Post SV Mühlhausen verloren hatte. Es war die zweite Niederlage am zweiten Spieltag. Doch so recht tat das nichts zur Sache. Ebner startete erst kürzlich sein ambitioniertes Projekt, er pflanzte aus dem Nichts einen Tischtennis-Bundesligisten nach Neu-Ulm. "Ein bisschen Pioniergeist braucht man da schon", sagt er. Und Gebauer rief: "Das ist für uns alle eine große und heiß ersehnte Premiere!" Die neuen Fans ließen sich erst nach und nach von der Euphorie anstecken. Bei den überraschend engen Duellen an der Platte, in denen durchaus mehr Siege für die Gastgeber drin waren, wurde es laut.

Anders als andere Erstliga-Neulinge ist der TTC Neu-Ulm nicht aufgestiegen, er ist im Frühjahr erst gegründet worden und hat seinen Platz per Wildcard bekommen. "Wir wollten der Liga etwas Gutes tun", sagt Ebner, der im März den Zuschlag bekommen hatte. Ähnlich wie im Volleyball, wo vor zwei Jahren die bayerisch-tirolerischen Alpenvolleys Haching quer einstiegen, entschloss sich die Liga aufgrund fehlender Aufsteiger, die Sollstärke von zwölf Teams mit einer Wildcard zu erreichen.

Bei der Konkurrenz zog das Diskussionen nach sich: Andere Teams haben sich die Teilnahme an der Tischtennis-Bundesliga (TTBL) über Jahre hinweg hart erarbeitet - und nun verdoppelte sich wegen den Neu-Ulmern die Absteigerzahl flugs auch noch auf zwei.

Ebner sagt: "Bis vor ein paar Jahren hatte ich wenig mit Tischtennis zu tun, außer, dass ich mir zu Hause an der Platte meine Hüften ruiniert habe, weil ich beim Rundlauf hängengeblieben bin." Ebner ist Besitzer der Verlagsgruppe Ebner Ulm, die an der Südwestdeutschen Medienholding beteiligt ist, zu der die Süddeutsche Zeitung gehört. Vor vier Jahren übernahm Ebner mit seiner Firma dann eine Holding, zu der die Portale golf.de oder mytischtennis.de gehören. Es war der Einstieg in den Sport, die Kontakte wuchsen. Ab 2020 gibt die Redaktion von mytischtennis.de das Fachmagazin Tischtennis heraus.

So wurde Ebner hellhörig, als die Liga nach Bewerbern suchte. Er rechnete mit einem Budget von 300 000 Euro für die neue Saison, mittlerweile dürfte es wohl eher 450 000 betragen; für einen Erstligisten im Sport war das für Ebner immer noch ein annehmbares Preissegment. Um die Wildcard bewarb er sich im März noch als TTC Ebner Ulm, im Laufe der Monate änderte sich der Vereinsname in TTC Neu-Ulm. Ebner möchte einerseits anderen Sponsoren Platz bieten, "sie nicht erdrücken". Und andererseits seien die beiden Orte "eigentlich eine Stadt, und nur durch die Donau getrennt", sagt er: "Neu-Ulm hatte bisher keinen eigenen Bundesligisten und als Stadt in diesem Jahr 150-jähriges Jubiläum." Da dachte er an ein besonderes Geschenk.

"Wir wollen nicht in eine Turnhalle, weil wir das für das falsche Signal halten."

Wie lange Ebners Klub in der Neu-Ulmer Halle bleibt, ist aber fraglich und hängt auch von den Zuschauerzahlen in den nächsten Spielen ab. "Die Hallenfrage habe ich unterschätzt. Wir haben auch noch nicht die beste Lösung." Die 6200-Zuschauer-Arena wirkt etwas zu ambitioniert, der TTC verkleinert sie daher mit Vorhängen, ein örtlicher Tribünenbauer hat Stahlrohrtribünen herangeschafft.

Noch hat der Klub nach 30 Hallenbesichtigungen nichts Besseres gefunden, mindestens die nächsten vier Heimspiele finden in Neu-Ulm statt. "An sich bräuchten wir etwas eigenes", sagt Ebner: "Wir wollen auch nicht in eine Turnhalle, weil wir es für das falsche Signal halten. Wenn man das langfristig erfolgreich machen will, dann braucht man mehr Entertainment." Am Sonntag dröhnten Chart-Hits aus den Boxen, Lichter zuckten durch die Halle.

Viele Experten warnten Ebner vor dem Bundesliga-Einstieg mit nur vier Monaten Vorlaufzeit. Aber er ist erfahren, war schon bei Mannschaften im Fußball, Basketball, Golf und Tennis engagiert und fand: "Ein Tischtennis-Team funktioniert nach den gleichen Gesetzen wie die anderen Mannschaften. Wenn du es schaffst, halbwegs ordentliche Spieler zu gewinnen und ihnen ein gutes Umfeld gibst, dann belohnen die dich mit guten Leistungen."

Das hat geklappt - auch weil das mit den halbwegs ordentlichen Spielern leicht untertrieben ist: Obwohl der Markt im März "leergefegt" zu sein schien, wie Ebner sagt, hat der TTC seinem Trainer Chen Zhibin einen guten Kader zur Verfügung gestellt. Heraus ragen Tiago Apolonia, 2014 Team-Europameister mit Portugal, die Chinesen Cui Qinglei und Hao Shuai sowie der Südkoreaner An Jaehyun. Die drei Letztgenannten spielten aber noch nicht mit, da ihre Verbände sie bislang nicht freigaben. Es darf ohnehin immer nur ein Nicht-EU-Spieler pro Partie mitwirken. "Die Mannschaft zusammengestellt haben schon andere", sagt Ebner: "Da hat uns ein kleines Netzwerk aus dem Tischtennis geholfen, das wusste wer verfügbar ist."

Obwohl viele Gegner nach den knappen Niederlagen (beim Debüt 2:3 gegen Grünwettersbach) Respekt vor den Neu-Ulmern haben dürften, stecken die sich die Ziele in ihrem Premierenjahr nicht allzu hoch. "Wir haben gezeigt, dass wir mitspielen können, da wird man auch mal gewinnen", sagt Ebner: "Am Ende hängt viel davon ab, ob wir Verletzungspech haben. Wenn mir Apolonia als wichtigster Europäer ausfällt, kann ich den nicht abdecken." Nur so viel will sich Ebner abringen lassen: Absteigen will er partout nicht, jetzt, wo er schon mal dabei ist in der Tischtennis-Bundesliga. Die Glocken sollen auch im nächsten Jahr noch erklingen.

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