Tischtennis:"Die Jungen sind meistens überfordert gegen mich"

Qianhong Gotsch SV Boeblingen SV Boeblingen vs TuS Bad Driburg Tischtennis 1 Bundesliga Damen

"Ich bin einfach unberechenbar. Niemand weiß vorher, was ich mache": Qianhong Gotsch, 50 Jahre alt, in dieser Saison sechs Siege in sechs Einzeln.

(Foto: Florian Schust/Eibner/imago)
  • Qianhong Gotsch von der SV Böblingen hat in der abgelaufenen Saison in der Tischtennis-Bundesliga die beste Bilanz aller Spielerinnen.
  • Dabei ist sie mit 50 Jahren längst im biblischen Aktivenalter angekommen. Sie spielt aber einen Stil, mit dem sie regelmäßig auch aktuelle Nationalspielerinnen in die Resignation treibt.
  • Viel Zeit zum Trainieren bleibt Gotsch aber nicht mehr, weil sie für die CDU im Gemeinderat von Gärtringen sitzt.

Von Matthias Schmid

Man benötigt wohl das schwäbisch-chinesische Gemüt von Qianhong Gotsch, um auf dem Zahnarztstuhl über die Feinheiten der Gärtringer Kommunalpolitik verhandeln zu können. Man benötigt wohl eine innere Harmonie wie Gotsch, die ihr einnehmendes Lachen nur unterbricht, wenn sie erzählt. Sie lacht, erzählt, lacht, erzählt. Immer so weiter, es wirkt nicht aufgesetzt, im Gegenteil. Man glaubt ihr jedes Wort, wenn sie am Telefon mitteilt: "Ich bin ein unheimlich fröhlicher Mensch und genieße das Leben."

Die schwäbisch-chinesisch ausgeglichene Qianhong Gotsch sagte deshalb auch sofort zu, als ihr Zahnarzt sie zwischen Zahnreinigung und neuer Füllung fragte, ob sie sich vorstellen könne, für den Gemeinderat in ihrem württembergischen Heimatort zu kandidieren, wo er der CDU-Fraktion vorsitzt. Ihr fiel keine plausible Ausrede ein, um das Angebot abzulehnen. Als zweifache Familienmutter kann der Alltag mitunter monoton werden, wobei es ihr eigentlich nie langweilig wird. Gotsch hat ja noch ein Hobby, das sie so gut beherrscht wie kaum eine andere in Deutschland: Sie ist Tischtennisspielerin, die erfolgreichste in der abgelaufenen Bundesligaspielzeit, mit einer Einzelbilanz von 20:3 Siegen - und auch diese Saison läuft sehr gut an, sie hat alle ihre sechs Einzel für sich entschieden.

Auf den ersten Blick ist das nichts Ungewöhnliches, aber Gotsch, die für die SV Böblingen antritt, ist nicht mehr 33, sondern bereits im biblischen Aktivenalter von 50 Jahren angekommen. "Ich weiß, dass ich viel jünger aussehe", sagt Gotsch und lacht. Nach ein, zwei Sekunden fügt sie im ernsten Tonfall hinzu: "Die Jungen sind gegen mich meistens überfordert."

Die Beine sind schon langsamer geworden

In ihrer forschen Aussage schwingt keine Überheblichkeit mit, sondern das Selbstbewusstsein einer Spielerin, die in ihrer Sportkarriere schon alles erlebt hat - und mit jedem Lebensjahr noch ein bisschen lockerer wird, weil sie gelernt hat, dass es Wichtigeres im Leben gibt, als mit einem kleinen Schläger kleine Bälle zu schmettern. Einige ihrer Gegnerinnen waren noch nicht geboren, als sie im Jahr 2000 den Titel bei den Europameisterschaften in Bremen gewann.

Sie hebt sich nicht nur mit ihrem Alter ab, sondern vor allem mit ihrer Raffinesse, mit ihrer Klasse. Sie spielt anders als die meisten Spielerinnen, sie ist keine reine Abwehrspielerin, die alle Unterschnittvarianten draufhat, sie hat zusätzlich die seltene Fähigkeit, aus dem Nichts den Ball plötzlich beschleunigen zu können. Sie stellt dann mit ihren offensiven Bällen das an, was ein Literatur-Nobelpreisträger mit seinen Worten macht: sie immer an die richtige Stelle setzen.

"Ich bin einfach unberechenbar", sagt Gotsch, "niemand weiß vorher, was ich mache." Sie dagegen beherrscht die Kunst der Antizipation, weil auch sie den Alterungsprozess nicht aufhalten kann. Ihre Beine sind langsamer geworden, ihr Reaktionsvermögen hat abgenommen, aber sie ahnt schon zwei, drei Schläge vorher, wohin ihre Gegnerin den Ball spielt.

Früher hat sie auch Timo Boll oder Jan-Ove Waldner im Training besiegt

Mit ihrer unangenehmen Spielweise treibt Gotsch regelmäßig auch Nationalspielerinnen wie die 26 Jahre alte Sabine Winter vom deutschen Meister Kolbermoor in die Verzweiflung. Nicht wenige in der Szene halten sie für die kompletteste deutsche Spielerin. "Hongi", sagt ihr Trainer Volker Ziegler, "ist eine Ausnahmeathletin." Sie war sogar so gut, dass sie 2004 alle Möglichkeiten besaß, Gold bei den Olympischen Sommerspielen in Athen zu gewinnen, aber sie beendete ihre internationale Karriere nach den Spielen in Sydney 2000 im Alter von 32 Jahren. Sie wollte nicht länger mit dem Kinderkriegen warten. "Ich bereue die Entscheidung nicht, weil ich keine Medaille gegen meine Kinder eintauschen würde", sagt sie heute.

Sie wusste schon früh, was sie wollte und was nicht. Vor 27 Jahren wanderte sie deshalb nach Deutschland aus, weil sie das militärisch angehauchte chinesische Trainingswesen nicht mehr mitmachen wollte. 1996 heiratete sie den Gärtringer Ingo Gotsch, zwei Jahre später hielt sie den deutschen Pass in den Händen. Sie spricht Deutsch mit schwäbischer Einfärbung, sie sagt dann Sätze wie: "Des isch gud." Ihre Tochter Hannah und ihr Sohn Timo nehmen das Tischtennis weniger wichtig als ihre Mutter, "sie spielen nur hobbymäßig", sagt sie.

Das gilt streng genommen auch für sie. Nur noch zwei- bis dreimal in der Woche steht sie an der Platte, das genügt, um ihr hohes Level zu halten. An ihren Trainingsgewohnheiten hat sie allerdings festgehalten. "Ich spiele fast nur mit Männern", erzählt Gotsch. Es sind Dritt- und Zweitligaspieler aus der Umgebung, mit denen sie sich trifft. "Das macht mehr Spaß, weil intensivere Ballwechsel zustande kommen." Das hat sie schon früher so gehandhabt, als sie sich noch die Besten für ihre Trainingssessions ausgesucht hat, sie übte mit Jan-Ove Waldner, Torben Wosik oder auch Timo Boll. Ob sie gegen die auch den einen oder anderen Satz gewann? "Natürlich", entgegnet sie und klingt fast beleidigt, weil man sie das fragt.

Wie lange sie noch in der Bundesliga mitmischen will, könne sie nicht sagen, erklärt Gotsch. Sie habe sich kein Limit gesetzt. Aber sie merkt selbst, dass ihr Trainingseifer durch ihre politischen Ambitionen langsam verkümmert. Seit 2014 sitzt sie nun schon im Gemeinderat. Im nächsten Jahr stehen Kommunalwahlen an. Sie wird erneut kandidieren, "weil mir die Arbeit mit den Menschen viel Freude macht". Aber der Gemeinderat allein ist ihr zu klein geworden, sie strebt nun in den Kreistag. "Ich möchte die nächste Stufe erreichen", sagt Qianhong Gotsch. Und lacht. Aber man spürt, dass ihr das ein ziemlich ernstes Anliegen ist mit der Politik.

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