Tischtennis-EM:Halbnacktes Statement

Table Tennis European Championships

"Das musste raus": Sieger Dimitrij Ovtcharov. Auch im Tischtennis gibt es für Hemdausziehen Gelb.

(Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)
  • Dimitrij Ovtcharov dominiert bei der Tischtennis-EM das Einzel.
  • Sein Gold rettet die ansonsten sehr mäßige Bilanz der deutschen Mannschaft.
  • Vor allem bei den Frauen herrscht große Enttäuschung.

Von Ulrich Hartmann

Von chinesischen Tischtennis-Assen zu lernen, kann auch bedeuten, sich von ihnen das Jubeln ein bisschen abzuschauen. Der exzentrische Zhang Jike, zweimal Weltmeister und aktueller Olympiasieger, kommt dem Deutschen Dimitrij Ovtcharov als Vorbild gerade recht. Nach seinem ersten WM-Titel in Rotterdam zerriss sich der Chinese einst das Trikot am Leib wie der grüne Superheld Hulk, ein anderes Mal, beim Worldcup in Düsseldorf, trat er die Werbebande zusammen, woraufhin sein Preisgeld zur Strafe gleich einbehalten wurde.

Mit Zerstörung und Strafen hat es der brave Ovtcharov nicht so, aber das Trikot vom Leib ziehen wollte er sich gerne auch einmal. Am Sonntag bot sich dazu die Gelegenheit, als der 27-Jährige in Jekaterinburg/Russland seinen Titel als Einzel- Europameister verteidigte und sofort nach dem Matchball und dem 4:1-Sieg über den Portugiesen Marcos Freitas mit nacktem Oberkörper auf das Siegerpodest sprang. "Das musste mal raus", sagte Ovtcharov. Er liebt mitunter den ironischen Ton. Man kann sich also nicht ganz sicher sein, ob das ernst gemeint oder nur ein Spaß war.

"Ein Statement"

Die Erleichterung aber war sicher ernst und groß, denn vor dieser EM hatte Ovtcharov von wechselhaften Rückenschmerzen berichtet. Wer die Tischtennisspieler sich an der Platte biegen und verrenken sieht, wer anschaut, wie sie in den manchmal langen Matches physische und psychische Verausgabung mit artistischer Präzision und atemberaubender Körperbeherrschung vereinen, der kann sich vorstellen, was Rücken und Gelenke da mitmachen. Timo Boll, 34, hatte seine EM-Teilnahme absagen und sich operieren lassen müssen, weil ihm im linken Knie ein Schleimbeutel geschwollen war.

Ovtcharov, als gebürtiger Russe und Angestellter des Klubs Fakel Orenburg quasi im Heimvorteil, hatte im Mannschaftswettbewerb der EM also allein die Führungsrolle übernehmen müssen - es reichte am Ende nicht ganz, das Finale gegen Österreich ging verloren. Aber: Trotz der Befürchtung, dass sein Rücken schmerzen könnte, gewann Ovtcharov schon im Mannschaftswettbewerb alle seine acht Einzel und baute diese Serie im danach folgenden Einzel-Wettbewerb noch auf 14:0 aus.

14 gewonnene Einzel mit 48:11 Sätzen binnen einer Woche sprechen für eine beeindruckende Dominanz, die ja gar nicht anders gefeiert werden konnte, als dass der Triumphator ganz am Ende mit nacktem Oberkörper das Siegerpodest erklimmt. "Ein Statement", so nannte Ovtcharov seinen im Verband sicher tolerierten Exhibitionismus. Die gelbe Karte erhielt er in seinem Jubel trotzdem noch schnell gezeigt.

Ovtcharov und Boll wollen die Chinesen ärgern

"Ich bin wahnsinnig froh über diesen Titel, weil ich nicht in der Form wie vor zwei Jahren war", sagte Ovtcharov. 2013 hatte er in Österreich erstmals den europäischen Einzeltitel gewonnen. Auch damals hatte Boll nicht mitgespielt, doch Ovtcharov braucht diese Duelle nicht mehr, um sich mit Boll längst auf einem Niveau zu wähnen, manchmal sogar darüber. Zwölf Jahre lang war Boll der beste deutsche Tischtennisspieler, ehe Ovtcharov ihn im November 2013 in der Weltrangliste erstmals überholte und seither vor ihm rangiert. Heute ist Ovtcharov hinter vier Chinesen der fünftbeste Spieler der Welt.

Boll ist in der Weltrangliste Siebter. Gemeinsam wollen sie 2016 bei der Mannschafts-WM in Kuala Lumpur und bei Olympia in Rio die Chinesen wieder ein bisschen ärgern. Schlagen werden sie diese wohl nicht mehr können, aber vielleicht doch ins Schwitzen bringen.

"Wir haben einige Medaillen liegen lassen"

Diese Aufgabe werden der reife Ovtcharov und der noch reifere Boll aber wohl weiterhin alleine übernehmen müssen, denn die anderen deutschen Spieler haben in Jekaterinburg nicht andeuten können, dass sie das Niveau der beiden besten Deutschen je erreichen. Patrick Baum und Steffen Mengel sind bereits in der ersten Runde ausgeschieden, Ricardo Walter wurde in der zweiten Runde bezwungen und Patrick Franziska in der dritten, dem Achtelfinale. Ruwen Filus hat mit seinem Einzug ins Viertelfinale noch die größte Überraschung geschafft. Ab dem Halbfinale war Ovtcharov letzter deutscher Athlet im Feld.

Bei den Frauen allerdings war die Enttäuschung noch größer. Hier waren nämlich die beiden Deutsch-Chinesinnen Han Ying und Shan Xiaona als die Nummern eins und zwei der Setzliste fürs Finale vorgesehen gewesen. Shan Xiaona aber scheiterte bereits im Achtelfinale und Han Ying genauso wie die emporsteigende junge Petrissa Solja im Viertelfinale.

Insofern war diese Europameisterschaft für den Deutschen Tischtennis-Bund mit Gold für die Frauenmannschaft, Silber für die Männer, Gold für Ovtcharov und Bronze für das Doppel Han Ying/Irene Ivancan zwar nicht gerade eine Enttäuschung, aber auch nicht so erfolgreich wie erhofft. "Wir haben einige Medaillen liegen lassen", sagte der neue Sportdirektor Richard Prause streng: "Vor Olympia werden wir mehr im Athletikbereich arbeiten - nur solide zu spielen, reicht uns selbst bei einer EM nicht."

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