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Timo Boll wieder Tischtennis-Europameister:Zum Titel geschmettert

Olympia lief nicht perfekt für ihn, doch dafür klappt es jetzt bei der EM in Dänemark: Timo Boll besiegt im Finale des Einzelwettbewerbs den Kroaten Ruiwu Tan mit 4:1 und verteidigt seinen Titel als Bester des Kontinents. Ganz zufrieden mit seiner Saisonleistung ist er trotzdem nicht - Bolls Kollege Patrick Baum ärgert sich über eine Disqualifikation.

Timo Bolls Jubel fiel sparsam aus, dabei hatte der Rekord-Champion seine imposante Titelsammlung ausgebaut. Seinen sechsten EM-Titel feierte der Tischtennisprofi mit der Siegerfaust und einem kurzen Gruß ins Publikum, von Erleichterung über den 4:1-Finalsieg gegen den Kroaten Ruiwu Tan war wenig zu spüren, der Erfolg war ein erwarteter. Zu tief sitzt zudem noch immer die Olympia-Wunde, obwohl sich Boll bereits im Halbfinale erfolgreich seinem Trauma gestellt hatte.

Zum ersten Mal seit dem Achtelfinal-Aus in London vor 83 Tagen, das Boll die Tränen in die Augen getrieben hatte, traf er auf seinen Bezwinger Adrian Crisan. Eine mentale Hürde, wie sie der 31-Jährige im Laufe seiner Ausnahme-Karriere nie zuvor meistern musste. Boll bestand die Prüfung, sprach später von "Genugtuung", gab jedoch zu: "Es ist irgendwie bitter, dass ich diese Leistung nicht in London abrufen konnte.

Auch wenn die EM ein wichtiges Turnier ist, hätte ich gerne getauscht." Noch immer lebt Boll in der Vergangenheit, "ab und zu" denke er an die vergebene Einzelmedaille zurück, sagte der Odenwälder und gewährte damit einen seltenen Einblick in sein Innerstes.

Der EM-Titel, sein insgesamt 16., ist ein Trostpflaster, mehr aber auch nicht. Nach der Heim-WM in Dortmund und dem Sommer-Fest in London hatte die EM in Herning einfach nicht das Flair und den sportlichen Anspruch, um Bolls Wunde vollständig zu heilen. "Ich habe die EM ja schon einige Male gewonnen", hatte Boll bereits vor dem ersten Aufschlag gesagt: "Daher nehme ich es relativ gelassen." Diese Einstellung war ein Schlüssel zum Sieg am Ende einer langen Saison.

Während Kronprinz Dimitrij Ovtcharov (Orenburg/Russland) nicht an seine Olympiaform anknüpfen konnte, nur im Doppel mit Wladimir Samsonow (Weißrussland) Bronze gewann und im Einzel an Ruiwu Tan scheiterte, erspielte sich Boll in jeder Runde seine Siege. Von Kampf oder gar Krampf war zu keinem Zeitpunkt etwas zu sehen. Der dritte Titel in Serie war in dieser Verfassung nur Formsache für den Ausnahmekönner der europäischen Tischtennis-Elite, so wie in den vergangenen beiden Jahren im Endspiel gegen seinen Düsseldorfer Vereinskollegen Patrick Baum.

Der zweite Linkshänder im deutschen Team war die unglückliche Gestalt in Herning und kaum zu trösten. Dabei hatte Baum im Achtelfinale doch schon für Boll Revanche an Adrian Crisan genommen. Nur Minuten nach dem 4:2-Erfolg schickten die Schiedsrichter jedoch ihre Hiobsbotschaft: Baums schwarzer Belag war zu dick, genau 0,05 Millimeter.

Es folgte die Disqualifikation und Baum gab kleinlaut zu: "Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich bin noch nie mit meinem Schläger durchgefallen, habe daher auch nicht mehr gemessen. Das war mein Fehler, ich hätte die Schläger vorher noch mal testen lassen müssen."

"Unprofessionell", nannte dies DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig, "eine Katastrophe", ereiferte sich Ex-Weltmeister Steffen Fetzner. Nach einer "grandiosen Saison" (Schimmelpfennig) für die deutschen Tischtennisspieler mit Silber bei der Team-WM in Dortmund und zwei Bronzemedaillen in London ein Fehler, der zu verschmerzen ist. "Der DTTB gehört zu den erfolgreichsten deutschen Sportverbänden im Jahr 2012", sagte Schimmelpfennig.

In Herning sprangen am Ende vier Medaillen heraus: Neben Bolls Gold und Ovtcharovs Doppel-Bronze gewann der deutsche Meister Bastian Steger (Saarbrücken) mit Bronze sein erstes EM-Edelmetall im Einzel. Die Damen von Bundestrainerin Jie Schöpp blieben hinter den eigenen Erwartungen zurück und mussten sich mit Platz drei für das Doppel Kristin Silbereisen/Jiaduo Wu (Kroppach) zufrieden geben.

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