Golf:Tiger Woods - der fehlbare Perfektionist

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Tiger Woods begeistert die Massen beim Masters in Augusta. (Foto: Gregory Shamus/AFP)

14 Monate nach seinem schweren Autounfall kehrt die Golf-Ikone zum Masters in Augusta zurück. Auch seine schlechten Schläge werden bejubelt - weil es nicht mehr darum geht, wie er spielt, sondern was er für seinen Sport bedeutet.

Kommentar von Felix Haselsteiner

Zuschauer-Rekorde sind auf Golfplätzen nicht so einfach messbar, auch beim berühmten Masters nicht. Anders als in Stadien verteilen sich die Menschen auf einem großen, freien Feld - und die genaue Zahl der verkauften Eintrittskarten ist ein gut gehütetes Geheimnis des Augusta Nation Golf Clubs.

Man kann daher nur ungefähr abschätzen, wie viele Menschen sich am Donnerstag um 11.04 Uhr am ersten Abschlag des Augusta National Golf Club eingefunden hatten. Es könnten zehntausend gewesen sein, vielleicht auch fünfzehntausend, der Rest der Anlage wirkte in diesen Minuten vergleichsweise leergefegt. Ein Rekord wird es vermutlich gewesen sein. Wer das Glück hatte, da zu sein, pilgerte in eine Richtung: zu Tiger Woods. Wer immer konnte, musste sich diesen einen Schlag ansehen. Und wer es schaffte, irgendwie in die vorderen Zuschauerreihen zu kommen, ist nun auf einem der ikonischen Bilder von Woods Karriere verewigt.

Die Rückkehr des 46-jährigen Woods nach Augusta ist auch für ihn selbst ein einzigartiger Moment, auch - oder gerade weil - seine Laufbahn schon voll mit einzigartigen Momenten ist: Die innige Umarmung mit seinem Vater Earl nach seinem ersten Masters-Sieg 1997; die zahllosen traumhaften Golfschläge, die ihm weltweit 108 Turniersiege einbrachten; aber auch Woods, der seine Familie und seine Ehefrau betrog und der bei einer Polizeikontrolle nicht mal eine gerade Linie entlang laufen konnte, weil er so zugedröhnt war. Dann der erneute Sieg beim Masters 2019, diesmal lagen ihm seine Kinder in den Armen. Und im vergangenen Jahr, am 23. Februar 2021, schließlich dieses Bild eines Autowracks in Los Angeles, in dem Tiger Woods bei einem Unfall fast sein Leben verloren hätte.

Am 23. Februar 2021 verunglückte Tiger Woods mit seinem SUV in Rancho Palos Verdes bei Los Angeles. Er überlebte den Autounfall schwer verletzt. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Lange war unklar, ob der erfolgreichste Golfspieler der Geschichte überhaupt jemals wieder ein Turnier spielen würde. Dass er nun beim Masters antritt, wirkt manchmal so, als würde eine Runde aus alten Zeiten übertragen werden. Blickte man in die Gesichter der Zuschauer, die ihn am Donnerstag über den berühmten Platz im US-Bundesstaat Georgia verfolgten, war Ungläubigkeit zu sehen. Keiner schaute mehr darauf, wohin Woods' Ball flog. Wie er spielte, war irrelevant.

Die Leute schüttelten schon staunend den Kopf, wenn er einfach nur an ihnen vorbeischritt. Begeistert bejubelten sie jeden guten Schlag und ebenso begeistert jeden schlechten, sie bejubelten quasi jeden Schritt, den Woods tat, immer in der Hoffnung, dass das reparierte Knie hält. Und was tat er, der Unnahbare, der seine Fans seit 25 Jahren meist kühl ignorierte, weil es ihm nur um den nächsten Sieg ging? Er lächelte zurück.

Gruß ans Publikum: Tiger Woods. (Foto: Mike Blake/Reuters)

Er genoss es, wieder der Sportler zu sein, der irgendwann größer wurde als der Sport. Alles, was heute im Golf normal erscheint - die hohen Preisgelder, die internationale Aufmerksamkeit, die sportliche Athletik der Spieler - all das geht auf ihn zurück. Auch deshalb ist kein Mitspieler neidisch auf Woods, wenn er alle Aufmerksamkeit bekommt, sobald er an einem Turnier teilnimmt. Die Generation, die heute die Weltspitze bildet, ist mit Woods aufgewachsen und von ihm inspiriert worden.

Tiger Woods war immer Perfektionist und fehlbar gleichzeitig - das macht ihn zur Faszination für die Massen

Manche Sportlerkarrieren definieren sich durch sportliche Brillanz, oder durch eine Mischung aus Talent und Arbeit, Roger Federer oder Michael Schumacher etwa sind der sportlichen Perfektion so nahe gekommen wie kaum jemand sonst. Andere definieren sich über Höhen und Tiefen, über menschliche Dramen und den Willen, trotzdem immer weiter zu machen. Tiger Woods vereint beides auf sich, er ist Perfektionist und doch fehlbar. Er war das Wunderkind, er arbeitete mehr als alle anderen, aber die Bilder seiner Karriere erzählen nicht nur sportliche, sondern vor allem menschliche Geschichten.

Jahrelang mussten die Zuschauer am ersten Abschlag in Augusta aushalten, dass er sie ignorierte, obwohl sie ihn damals schon feierten. Dann mussten sie ihm seine Fehltritte verzeihen und ihm dabei zusehen, wie er sich mal nach Verletzungen und am Ende sogar aus einem die Böschung hinabgestürzten, völlig zerstörten SUV heraus zurück kämpfte. Weil sie seine Karriere in all diesen Dimensionen erlebten, können sie ihm so ungläubig zujubeln, wie sie es heute tun.

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