Süddeutsche Zeitung

Golf:Woods verkörpert die große amerikanische Erzählung

Der US-Golfer ist für viele der Beweis, dass sich Träume erfüllen lassen, selbst wenn man am Boden liegt. In seinem Leben musste er schon zahlreiche Widerstände überwinden.

Von Gerald Kleffmann

Jim Nantz ist ein bekannter Sportkommentator in den USA. Seit vielen Jahren überträgt sein Sender CBS das berühmteste Golfturnier der Welt, das Masters in Augusta, Georgia. Es gibt nur wenige, die ein derartiges Gespür für Pathos besitzen wie Nantz. Mit seiner sonoren Stimme kann er berührende Momente noch berührender wirken lassen. Aber an diesem Sonntagabend schwieg er. Zweieinhalb Minuten lang, im Fernsehen eine Ewigkeit. Nantz wusste: Keine Worte konnten diese Augenblicke so gut zur Geltung bringen wie Schweigen. Und so blieben die Zuschauer allein mit Tiger Woods, dem Unnahbaren. Ein Mann, ein Mythos.

Man hörte jeden Jubelschrei des 43 Jahre alten Amerikaners, nachdem er den Ball mit dem letzten Schlag zum Sieg eingelocht hatte. Sah, wie Woods seinen Sohn, dann die Tochter herzte, wie er seiner Mutter einen Kuss gab, den Manager drückte. Immer wieder brüllte er seine Freude heraus. Als Woods weitereilte, teilte sich die Menge, als sei dieser Golfspieler ein Heiliger. Und für viele Anhänger ist er das tatsächlich. Zeit seines Lebens reichte seine Strahlkraft weit über den Sport hinaus.

Eldrick Tont "Tiger" Woods trat mit zwei Jahren in einer Fernsehshow vor dem legendären Komiker Bob Hope auf und führte seinen Golfschwung vor. An diesem Sonntag gewann er nun seinen 15. Major-Titel; jedes Jahr werden vier dieser riesigen Veranstaltungen ähnlich wie die Grand-Slam-Turniere im Tennis ausgetragen. Zum fünften Mal wurde Woods nun das hässliche, aber bedeutende grüne Sieger-Jackett in Augusta überreicht. US-Präsident Donald Trump gratulierte mit einem Tweet, ebenso dessen Vorgänger Barack Obama. Die globale Anteilnahme ist gewaltig, und das liegt nicht nur daran, dass Woods elf Jahre lang kein Major gewonnen hat und seit 2005 nicht mehr in Augusta. Woods' Schaffen in all seinen Extremen beinhaltete stets die große amerikanische Erzählung, dass jeder alles erreichen könne, wenn er nur fest genug daran glaube. Er ist für viele der Beweis, dass sich Träume erfüllen lassen, selbst wenn man am Boden liegt.

Tiger Woods dient seit jeher als Projektionsfigur für alle möglichen Menschen und Anliegen. Anfangs wurde er in die Rolle des Kämpfers für benachteiligte ethnische Gruppen gedrängt. Von Beginn an von seinem Vater Earl, einem Vietnam-Veteranen, intensiv als Golfer gefördert, wenn nicht sogar gedrillt, setzte sich Woods als Dunkelhäutiger in einem Sport durch, in dem die Weißen dominierten. Allerdings hat Woods diese gesellschaftspolitische Rolle nie gemocht, was verständlich wird, betrachtet man seine Herkunft. Der 2006 gestorbene Vater Earl und seine Mutter Kultida bescherten Woods afrikanische, indianische, chinesische, thailändische und holländische Wurzeln. Er selbst sieht sich als "Cablinasian", eben als jemanden mit vielen Abstammungen.

Diese Wurzeln trugen dazu bei, dass Woods weltweit Fans fand, deren Zahl wuchs mit seinen Erfolgen genauso wie sein Reichtum. Längst ist er Milliardär, auch dank üppigster Werbeverträge. Aber all sein Geld konnte ihn nicht vor körperlichen und privaten Problemen bewahren. Im Jahr 2009 zerbrach die Ehe mit Elin Nordegren, einem schwedischen Model. Es folgten Therapien, erst wegen Sexsucht, später wegen Medikamentenmissbrauchs. Sportlich verlor er den Anschluss, dazu kamen vier Rückenoperationen. Wie nah er dem Karriereende war, gestand er jüngst, als er sagte: "Ich war schon durch."

Aber die amerikanische Erzählung handelt eben auch vom Aufstehen. Und Tiger Woods stand auf. Against all odds, gegen alle Widerstände. Woods kurierte Körper und Seele, er fand sein begnadetes Spiel wieder. Im Jahr 1997, als er mit dem ersten seiner fünf Masters-Titel für Furore sorgte, hatte er seinen Vater in Augusta umarmt. Nun waren seine Kinder für ihn da. "Ich könnte nicht glücklicher sein", sagte er.

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SZ vom 16.04.2019/tbr
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