Handball-Bundesligist THW Kiel:Ende einer ewigen Serie

THW Kiel - MT Melsungen

Geschlagen von der MT Melsungen: Kiels Handballer schleichen nach der Niederlage vom Feld. 

(Foto: dpa)

In der Handball-Bundesliga tut sich Erstaunliches: Nach fast zwei Jahren reißt die Rekordserie des THW Kiel ausgerechnet zu Hause gegen Melsungen. Während dort gefeiert wird, gibt sich THW-Coach Gislason selbstkritisch.

Von Jörg Marwedel

Wenn etwas Historisches passiert, dann ist heutzutage meist eine Handykamera dabei. Felix Danner und Michael Allendorf, die zusammen 13 Treffer zum 29:25 (14:16)-Triumph des MT Melsungen beim Rekordmeister THW Kiel beigesteuert hatten, haben immer wieder das Endergebnis auf dem Videowürfel in der Kieler Arena fotografiert. 585 Tage ohne Bundesliga-Niederlage und 51 Liga-Partien mit 101:1 Punkten hatten die Norddeutschen vorzuweisen, garniert mit jener vergangenen Saison, die sie mit 68:0 Zählern abschlossen.

Die letzte Heimpleite hatte sogar 613 Tage zurückgelegen. Und während sich THW-Trainer Alfred Gislason aufmachte, dem Gegner aus der nordhessischen 14.000-Einwohner-Gemeinde zum "verdienten Sieg" zu gratulieren, entfuhr es MT-Linksaußen Allendorf, das alles sei "wie ein Lottogewinn".

Ja, es ist etwas Historisches passiert in der mit 10.250 Zuschauern wie stets ausverkauften Halle. Auch wenn das THW-Team nicht seinen besten Tag hatte, auf Rückraumspieler Aron Palmarsson sowie Kreisläufer Patrick Wienczek wegen Adduktorenproblemen verzichten musste und Welt-Torhüter Thierry Omeyer wegen einer Fußverletzung kaum eingesetzt werden konnte.

16:14 stand es zur Halbzeit, nichts deutete zunächst auf eine Sensation hin - wenngleich die Melsunger recht forsch mitspielten. "Wir wollten sie ein bisschen ärgern und locken", sagte Kreisläufer Danner, "aber wir haben nicht damit gerechnet, dass wir hier gewinnen können."

Sein Trainer Michael Roth war "überstolz" auf sein Team und beschrieb noch einmal, wie schwierig es sei, die Mannschaft auf ein solches Spiel einzustellen. Da müsse man den Spielern klarmachen, "dass gegen einen übermächtigen Gegner nicht das Ergebnis zählt, sondern die Einstellung". Dass seine Spieler aber den THW derart "aus dem Rhythmus" gebracht hatten, das hätte auch der frühere Nationalspieler kaum erwartet.

Denn auch die Melsunger hatten ja Ausfälle zu beklagen. Wie schon vier Tage zuvor beim 29:35 in Flensburg waren die Leistungsträger im Rückraum, Grigorios Sanikis und Alexandros Vasilakis, nicht dabei. Aber während sonst bei den Kielern Keeper Omeyer auch schwächere Spiele für den THW entscheidet, war es diesmal Per Sandström auf der anderen Seite, der Melsungen den siegbringenden Rückhalt gab. Der Schwede, der früher für den HSV Hamburg spielte, wehrte nicht weniger als 17 Schüsse ab.

Kiel mächtig beeindruckt

Die Kieler ließen sich von dem inzwischen auf den sechsten Tabellenplatz gekletterten Provinzklub mächtig beeindrucken; spätestens, nachdem es 14 Minuten nach der Pause plötzlich 21:18 für die Gäste stand. "Wir haben nicht 100 Prozent gegeben. Wir dachten, es geht von allein", sagte THW-Profi Christian Zeitz. Sein Trainer Gislason hatte weitere Erklärungsansätze.

Einer war, dass Torjäger Filip Jicha nach einer kurz vor der Pause erlittenen Verletzung am Wurfarm nicht mehr werfen, sondern nur noch die Bälle verteilen konnte. Die andere betraf ihn selbst. Man spiele seit vielen Monaten englische Wochen, trotzdem habe er in dieser Woche viel trainiert. "Vielleicht auch zu viel. Ich muss darüber nachdenken, ob ich meinen Teil zu der Niederlage beigetragen habe", sagte der Isländer.

Tatsächlich wirkte es, als sei bei den schon zu "Intergalaktischen" und "Überirdischen" erklärten Kielern der Akku ein wenig leer. 25 Fehlwürfe wie in diesem Spiel hatte es noch nie gegeben. Das ist "nicht zu korrigieren", sagte Gislason. Die aufstrebenden Melsunger sind ja nicht stärker als die Rhein-Neckar Löwen, die Füchse Berlin oder Flensburg. Gleichwohl werde er "vielleicht erst in paar Tagen begreifen, was meine Jungs heute auf die Platte gezaubert haben", meinte Michael Roth.

In Kiel haben die Fans die Niederlage mit Humor genommen. Auf der Internetseite der Kieler Nachrichten flachste einer: "Wenn man schon in der Hinrunde so versagt, dass man die Vorjahrespunktzahl nicht einmal mehr rechnerisch erreichen kann, dann sollte man sich mal die Frage stellen, ob der Trainer die Mannschaft noch erreicht." Stimmt, erwiderte ein anderer: "Ich denke, das oberste Ziel sollte jetzt erst einmal der Klassenerhalt sein. Danach kann man sich fragen, wie man nach einer solch schändlich vergeigten Saison wieder an alte Erfolge anknüpfen kann."

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