Thomas Tuchel und der BVB:Letzter Akt einer langen Beziehungskrise

Lesezeit: 4 Min.

  • Der BVB entlässt Trainer Thomas Tuchel trotz des Pokalsieges am vergangenen Wochenende.
  • Am Ende soll es in Dortmund immer weniger Rückhalt für ihn gegeben haben.
  • Der Coach verabschiedet sich via eines neu eingerichteten Twitter-Accounts - Klubboss Watzke schreibt einen offenen Brief.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Der letzte Akt verlief so, wie vorher schon so viele zwischen Thomas Tuchel und Borussia Dortmund: Es schien zwei Drehbücher zum selben Film zu geben. Die Trennung vom BVB kommunizierte der Trainer per privater Twitter-Nachricht selbst - nur Minuten, nachdem ihm seine Chefs, Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc, die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt hatten. Auf eine gemeinsame, diplomatische Abschiedserklärung für die Öffentlichkeit legte der entlassene Tuchel offenbar keinen Wert. Die Unmöglichkeit, noch auf gemeinsame Nenner zu kommen, war an diesem schwül-sonnigen Dienstagmittag im idyllisch gelegenen Mannschaftshotel L'Arrivée zu einem Schlusspunkt gelangt.

Bundesliga
:BVB trennt sich von Thomas Tuchel

Trotz des Pokalsiegs muss der Dortmunder Trainer gehen. Er selbst findet es "schade, dass es nicht mehr weitergeht".

Dass es trotz des sportlich erfolgreichen Saisonfinales - mit der direkten Champions-League-Qualifikation als Bundesliga-Dritter und dem DFB-Pokalsieg in Berlin - noch diese Woche zur Trennung kommen würde, war längst klar. Eine "Aussprache unter Männern" hatten Zeitungskommentare und Einträge in Fußball-Fanforen gefordert. Doch allen näher Beteiligten war bewusst, dass es nichts mehr auszuräumen gab.

Tuchel scheidet dem Vernehmen nach nicht im Guten - zumindest von großen Teilen der Mannschaft, des Managements und des Klubs. Tuchel selbst, bisher nicht als Digital-Kommunikator aufgefallen, schrieb bei Twitter: "Ich bin dankbar für zwei schöne, ereignisreiche und aufregende Jahre. Schade, dass es nicht weitergeht." Bei Fans, Mitarbeitern und Mannschaft bedankte er sich sachlich-artig.

Auch Geschäftsführer Watzke wählte ein paar Stunden später einen ungewöhnlichen Weg der Kommunikation. In einem "offenen Brief" an die 150 000 Mitglieder und zahllosen Fans ließ Watzke tief blicken: Er und Sportdirektor Michael Zorc hätten sich "in der Zusammenarbeit mit dem Trainerteam aufgerieben". Bei der Beendigung von Tuchels Vertrag, der eigentlich bis 2018 gegolten hätte, sei es nicht um Banalitäten gegangen, wie teilweise kolportiert wurde - man habe mit Tuchel weder gemütlich "Bier trinken" noch "Skat spielen" wollen, und man erwarte auch nicht, dass die Klubverantwortlichen und ein BVB-Trainer "dicke Freunde" sein müssen - wie es sieben Jahre lang bei Watzke, Zorc und Jürgen Klopp der Fall war.

Vor allem viele der langgedienten Spieler im BVB-Kader hatten - spätestens seit dem Sprengstoff-Anschlag auf den Dortmunder Bus am 11. April und der nachfolgenden Medienoffensive ihres Trainers - die Brücken zu Tuchel abgebrochen, heißt es. Wie zerrüttet das Vertrauensverhältnis am Schluss gewesen sein muss, ließ sich am Wochenende des gemeinsamen Pokal-Triumphs beobachten. Tuchel hatte vor dem Endspiel im Berliner Olympiastadion den Spielmacher Nuri Sahin zunächst noch zum Aufwärmen geschickt, ihn dann aber in letzter Minute aus dem Kader gestrichen. Das wurde als Retourkutsche Tuchels gegen den zuletzt formstarken, aber Tuchel-kritischen Sahin gewertet.

Eine Stunde nach dem Abpfiff marschierte dann eine Spieler-Abordnung von Tuchel-Gegnern ins ARD-Studio, angeführt von Kapitän Marcel Schmelzer und seinem Stellvertreter Marco Reus. Schmelzer, sonst für Loyalität bekannt, kritisierte die Ausbootung Sahins offen: "Mich hat es sehr geschockt, weil ich es einfach nicht verstehe. Wenn Julian Weigl ausfällt, ist Nuri der einzige Spieler, der es auf dieser Position mindestens genauso gut kann. Wir stehen alle hinter Nuri."

Man müsse den Trainer nach einer Erklärung fragen. Auf dem Triumph-Korso am nächsten Tag in Dortmund, bei dem 200 000 Zuschauer die Route des Spieler-Trucks säumten, blieben einige Spieler deshalb augenscheinlich auf Distanz - es kam jedenfalls nicht zu vielen kollektiven Jubelfotos. Das alles erscheint umso ungewöhnlicher, weil sich die sportliche Bilanz unter Tuchel sehen lassen kann. Das Unverständnis vieler BVB-Fans und des breiteren Fußballpublikums für die Ursachen des Konflikts und für die Unversöhnlichkeit des Klubs mit dem fachlich geschätzten Trainer dürfte der Anlass für Watzkes Brief gewesen sein.

Für die Beendigung der Zusammenarbeit mit Tuchel hatte sich der Geschäftsführer zuvor noch die Zustimmung aller Vereinsgremien geholt. Dem Vernehmen nach gab es auch dort keine starken Fürsprecher für den Trainer, unter dem der BVB es erstmals geschafft hatte, zwei Spielzeiten nacheinander kein einziges Heimspiel zu verlieren. Tuchel selbst hatte zuletzt mehrmals erklärt, er könne keinen nennenswerten Konflikt mit den Spielern erkennen, ansonsten wären die starken Leistungen des Teams zuletzt aus seiner Sicht nicht möglich gewesen. Und in der Vorwoche war in einer Sport-Zeitung berichtet worden, die Spieler hätten sich bei einer Art Vertrauensfrage mehrheitlich pro Tuchel ausgesprochen.

Das soll zu internen Dementi der Spieler geführt haben. Tuchel selbst dementierte die Story später. Unterschätzt wurde in dem Konflikt bisher auch, dass vor allem Sportdirektor Michael Zorc seit fast einem Jahr mit Tuchel keine Arbeitsgrundlage mehr sah. Viel mehr als mit Watzke trug der Trainer offenbar eine Dauer-Auseinandersetzung mit Zorc aus, der als Architekt der sportlichen Erfolgsserie und der viel gerühmten Transferpolitik der Borussia gilt. Ausdrücklich gehe es um "Loyalität und Verlässlichkeit", so Watzke in seinem offenen Brief, um "Vertrauen, Respekt, Team- und Kommunikationsfähigkeit", nicht nur um den rein sportlich zählbaren Erfolg.

Eine offenbar gezielte Breitseite gegen Tuchel, dem man diese Tugenden wohl nicht mehr recht zutraute. Watzke schreibt weiter: "Vertrauensschutz" sei "seit mehr als einem Jahrzehnt elementarer Bestandteil unserer Führungskultur." Auch damit erinnerte der BVB-Boss an die siebenjährige Zusammenarbeit mit Vorgänger Klopp, der mit seiner wuchtigen Persönlichkeit sicher auch nicht verdächtig ist, ein Leisetreter gegenüber Vorgesetzten zu sein. Im Klub heißt es, man wolle das Kapitel abschließen.

Dazu könnte beitragen, dass man vom Bundesliga-Konkurrenten aus Leverkusen hören kann, Thomas Tuchel sei im Gespräch mit den Bayer-Verantwortlichen. Tuchel und sein Berater haben das bislang ebenso bestritten, wie die Leverkusener Verantwortlichen es in der Öffentlichkeit tun. So oder so, Tuchel wird sich um neue potente Arbeitgeber sicher keine Sorgen machen müssen. Er gilt weiterhin als besonderes Trainer-Talent. Zudem ist von knapp zwei Millionen Euro vereinbarter Abfindung die Rede.

Dortmund dagegen hat sich offenbar längst mit Lucien Favre, 59, verständigt, der zuletzt mit OGC Nizza einen erstaunlichen dritten Rang in Frankreich erobert hatte. Allerdings wird der BVB den Südfranzosen eine Millionen-Ablöse zahlen müssen, um den Schweizer aus seinem laufenden Vertrag zu bekommen. Das schien am Dienstagnachmittag aber im BVB-Umfeld keinen zu stören. Die Erleichterung, die die Nachricht der vollzogenen Trennung dort verbreitete, lässt in Dortmund wieder an ein ruhigeres Arbeiten denken.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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