Süddeutsche Zeitung

Thomas Müller:Im Herz des Spielfelds besser aufgehoben

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Nach 999 Minuten gelingt Thomas Müller beim 5:0 des FC Bayern gegen Wolfsburg wieder ein Treffer. Dass er damit eine Wette gegen Karl-Heinz Rummenigge verliert, ärgert ihn nicht.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Durch die 999 Minuten bekam die ganze Geschichte einen Hauch von Schicksal. Irgendwer oder irgendwas wollte offenbar, dass der Müllerthomas genau in dieser 76. Minute gegen den VfL Wolfsburg den rechten Fuß in einen missglückten Schuss von Arjen Robben hält und das tut, was ihm in dieser Saison bislang nicht gelingen wollte: ein Tor. Weil er in der 76. Minute traf und nicht in der 77. Minute, hat Müller die 1000 torfreien Minuten in der Bundesliga nicht vollgemacht und hätte er früher getroffen, hätte es wieder was Beliebiges gehabt. 946 torlose Minuten? Klingt nach Buchhaltung. 999 torlose Minuten? Klingt nach höherer Macht.

Die ganze Szenerie war auch so, dass jeder im Stadion den Moment begriff. Thomas Müller selbst, der die Arme hochriss, die Fäuste ballte und sich viel zu doll freute über ein 4:0 gegen überforderte Wolfsburger. Die Mannschaft, die kollektiv zu ihm hinlief und ihn drückte. Und die Fans des FC Bayern, die erst Thomas Müller ausführlich besangen und ihn später dazu aufforderten, auf den Zaun zu steigen und mit ihnen zu feiern. Auf den Zaun stieg er nicht, aber er hüpfte vor der Fan-Kurve von allen Bayern-Spielern am höchsten.

"Es war natürlich ein schöner Moment für mich, aber jetzt auch kein weltbewegender", sagte der Endlich-wieder-Torschütze nach dem Spiel. "Ich habe zwar das Tor gejagt, aber es hat mich nicht verrückt gemacht." Verrückt vielleicht nicht, aber genervt hat es ihn schon. Auf dem Höhepunkt seiner Torlosigkeit hatte sich der Jäger der verlorenen Torgefahr ja sogar Spott aus San Marino anhören müssen ( "Du triffst nicht mal gegen Flaschen wie uns"). Das war natürlich nicht weltbewegend. Aber angenehm halt auch nicht.

Müller verliert eine Wette gegen Klubchef Rummenigge

Die Geschichte hatte eine Dynamik angenommen, dass am Ende nicht mal mehr Thomas Müller so hundertprozentig an Thomas Müller glaubte. Vor dem Spiel hatte er mit Karl-Heinz Rummenigge gewettet - gegen sich selbst. Rummenigge kam auf ihn zu und meinte: Morgen schießt du ein Tor. Müller sagte: Mach ich nicht. (Müller: "Ich musste gegen mich sein, sonst hätte es keine Wette gegeben"). Den Wetteinsatz wollten beide nicht verraten, Müller meinte nur, er hätte ihn direkt nach dem Spiel beglichen. Als ein Reporter fragte, ob die beiden um Geld oder Naturalien gewettet hätten, meinte er: "Wenn ich jetzt sage, ich hätte ihn in Naturalien ausbezahlt, weiß ich nicht, wie das so rüberkommt."

Um sich nicht nur eine Szene aus 90 Minuten rauszupicken, muss man fairerweise auch erwähnen, dass Müller auch ohne Tor eine gute Leistung gebracht hätte. Er lief viel, war im Spiel eingebunden, legte den Ball auch mal mit der Hacke auf Franck Ribéry ab und profitierte davon, zentraler Teil des Quartetts Robben-Ribéry-Müller-Lewandowski zu sein. Bisher spielte er im 4-3-3 stets den Außenstürmer, aber in einem 4-2-3-1 rückt er ins Herz des Spielfeldes - und da ist er definitiv besser aufgehoben als kurz vor der Außenlinie. Als er auf die Systemumstellung angesprochen wurde, meinte Müller zwar, dass er auch im 4-3-3 seine Chancen hatte. Aber wahrscheinlich wollte er an diesem Tag, an dem alles geklappt hat, keinen Misston liefern.

Die Stimmung beim FC Bayern waberte jedenfalls wieder knapp unter Maximum. 5:0 gewonnen, Leipzig hat verloren, wieder Tabellenführer und am Samstagabend war dann noch vereinsinterne Weihnachtsfeier. Auf das Tor von Müller angesprochen, sagte Philipp Lahm in Weihnachtsfeier-Laune: "Das ist schön für ihn und schlecht für mich. Ich lag ein Tor vor ihm und wollte das bis Weihnachten auch bleiben. Jetzt bleiben mir zwei Spiele, um den alten Abstand wieder herzustellen."

Manuel Neuer war es dann schließlich, der das aussprach, was jeder im Stadion gesehen hat. "Uns ist natürlich ein Stein vom Herzen gefallen, dass der Thomas wieder getroffen hat", sagte der Torhüter durchaus ernst. Denn: Bei allen Verweisen auf Laufbereitschaft, Arbeit für die Mannschaft und "gute Bewegungen zwischen den Linien" (Carlo Ancelotti vor dem Spiel über Müller), zählen bei einem Stürmer des FC Bayern Treffer. "Ich glaube, die Mannschaft braucht auch meine Tore", sagte Müller vor den Fernsehkameras.

Und bei allen Relativierungen war es ja auch so, dass der FC Bayern in den 999 torlosen Minuten des Thomas Müller in der Liga ein paar Punkte mehr als üblich verloren hat.

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