Corona im Spitzensport:In der Blase ist ein Loch

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Thomas Müller im Spiel gegen Al Ahly. (Foto: imago images/Xinhua)

Der positive Corona-Test von Thomas Müller beim FC Bayern zeigt: Kein Hygiene-Konzept ist ausgeklügelt genug, um einen infektionsfreien Spielbetrieb zu ermöglichen.

Kommentar von Philipp Schneider

Vielleicht beginnt nun bei den Fußballern des FC Bayern das Grüblen, wenn sie im Flugzeug zurück nach München sitzen, im Gepäck den Weltpokal, errungen durch einen 1:0-Sieg gegen die Tigres UANL aus Mexiko. Wie viele Tage müsste ihr Teamkollege Thomas Müller, der getrennt von ihnen nach München fliegen wird, sich in der Zeit zurückversetzen. Drei, vier, fünf? Wann genau und vor allem wo traf Müller bitteschön den Wirt, der ihn mit dem Coronavirus infizierte? Hierzulande klagen sie in den Gesundheitsämtern mit gutem Recht über die fehlenden Segnungen der Digitalisierung. In Wahrheit aber würde in Zeiten des Primats der sogenannten Kontaktverfolgung eine Zeitmaschine nicht schaden, stellte man sie den Ermittlern zur Verfügung.

Zwei Tage vor seinem positiven Test am Mittwoch traf Müller auf dem Fußballplatz die Auswahl von Al Ahly, um sie im Halbfinale der Klub-WM aus dem Wettbewerb zu befördern. Drei Tage vor dem Ergebnis verbrachte er, nach allem, was man weiß, einen sonnigen Sonntag auf der palmenumsäumten Anlage des "Al Messila Resort & Spa", dessen Prospekt neben drei Therapiebecken vier sogenannte Hydro-Wellness-Welten verspricht (orientalisch, mystisch, mineralisch und blumig). In diesem Hotel, wo während des Besuchs der Bayern kein anderer Gast logiert, hätte Müller planmäßig schon am Samstag mystisch baden sollen. Wäre er nicht fünf Tage vor seinem Test auf sehr irdische Weise von den Paragraphen des Berliner Nachtflugverbots gestoppt worden, die die gesamte Mannschaft die Nacht über in die epidemiologisch betrachtet ungünstige Enge eines Langstreckenflugzeugs zwängten.

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Von Philipp Schneider

Was bitteschön, wenn in dieser Nacht, als Müller auf einem harten Feldbett der First Class von Qatar Airways logierte, das Virus tanzte im Flieger der Bayern? Wenn es dort von irgendwem auf Müller sprang, oder von Müller auf irgendwen? Wenn sich das Virus eingenistet hätte in der Mannschaft der Münchner, dann würde das auch die Mexikaner interessieren, die schon deshalb Wind bekamen vom unfreiwilligen Quartier auf dem BER-Runway, weil Klub-Chef Karl-Heinz Rummenigge und Ehrenpräsident Uli Hoeneß dessentwegen so laut auf die Trommel klopften ("Verarschung", "Skandal", "Unverschämtheit"), dass die Kunde bestimmt auch über den Atlantik drang.

Auch ein abgeschotteter Sport bleibt in Pandemiezeiten ein Risikospiel mit der Gesundheit

Die Infektionen von Leon Goretzka und Javi Martínez liegen wohl zu weit zurück, als dass diese als Coronaspender für Müller infrage kämen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Müller im Kontext einer Mannschaftsaktivität angesteckt hat (und das Virus dort auch weitergereicht hat?), dürfte dennoch enorm hoch sein. Es gibt zumindest keine Hinweise darauf, dass er seine Sicherheits-Blase illegal verlassen hätte, um sich alleine auf Fotosafari in Dohas Hochhausschluchten zu begeben. Und Müller ist nicht gerade als der introvertierteste und kontaktscheuste Münchner berühmt.

Das Vertrauen des internationalen Fußballbetriebs in das eigene Hygienekonzept ist zum Glück so grenzenlos, dass das Finale planmäßig über die Bühne ging. Dazu genügte es, die Mannschaftskollegen freizutesten und Müller in eine Ein-Mann-Isolation zu verfrachten. Was zum Glück bald feststand, zunächst aber nicht selbstverständlich war: dass Thomas Müller aus Katar ausreisen durfte, um sich in München in Isolation zu begeben. So oder so: Die Spiele mussten weitergehen! Erst recht das Finale der Klub-WM, des Prestigeobjekts von Fifa-Präsident Gianni Infantino!

Der Fußball gibt viel Geld aus für sein Hygienekonzept, es vergeht kaum ein Tag, an dem in Deutschland die Profis nicht getestet würden. Weil der Fußball reicher ist als der Handball, der bei seiner WM Anfang des Jahres allerlei befallene Mannschaften zu beklagen hatte, mag auch sein Hygienestandard höher sein. Aber der Fall Müller zeigt exemplarisch auf, dass ein Sportbetrieb in Pandemiezeiten ein riskantes Spiel mit der Gesundheit ist. Überall in Europa werden Reiseverbote ausgesprochen und Grenzen dicht gemacht. Aber die Fußballer hangeln sich lustig von der Bundesliga-Blase zur Klub-WM-Blase und dann weiter in die Champions-League-Blase. Immer weiter geht es im Flieger von Blase zu Blase, so lange, bis eine platzt. Diese Blasenschwäche mag schon daher rühren, dass die Fußballer ihren Bundesliga-Alltag nicht in der künstlichen Welt einer Hotellandschaft ohne weitere Gäste verbringen wie nun in Katar, sondern daheim bei der Familie, wo sich Partner und Kinder nur jenen Regeln unterwerfen, die für alle gelten.

Wie das Resultat einer seherischen Begabung wirkt nun rückblickend der Vorstoß der Spontanen Rummeniggekommission (SPORUKO), die in dieser Woche die Priorisierung der Ständigen Impfkommission (STIKO) infrage stellte, und anregte, Profifußballer zügig und vorrangig gegen Corona zu impfen - wegen einer möglichen Vorbildfunktion. Rummenigges windschiefe Kampagne hat nun in Müller geradezu eine unfreiwillige Werbefigur erhalten.

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