Thomas Hitzlsperger:Bitte kein Durchbruch!

Allwetterspieler als Meisterschüler: Der unerwartete Titelgewinn mit dem VfB Stuttgart hat den ungewöhnlichen Karriereplan des Mittelfeldarbeiters Thomas Hitzlsperger durcheinandergebracht

Christof Kneer

Nach einer Viertelstunde ist das Spiel entschieden. Fünf zu eins steht es da schon, das kann kein Mensch mehr aufholen. Horst Heldt sitzt auf der Terrasse des Stuttgarters Klubheims, und er würde jetzt gerne diesen Gedanken zu Ende bringen. Der Anfang des Gedankens hatte sich vielversprechend angehört, aber über den Mittelteil kommt der Gedanke nicht hinaus. Herr Heldt, könnat Sie mei'm Bub a Autogramm schreiba?, fragt eine Frau. Heldt kann, er lächelt und schreibt. Der Gedanke ist zwar weg, aber immerhin, es steht jetzt sechs zu eins. Später verkürzt Thomas Hitzlsperger auf zwei zu sechs, aber ernsthaft gefährden kann er den Manager nicht mehr. Eine Stunde sitzt er auf der Terrasse und muss nur zwei Autogramme schreiben.

Thomas Hitzlsperger: The Hammer: Thomas Hitzlsperger nach einem Tor.

The Hammer: Thomas Hitzlsperger nach einem Tor.

(Foto: Foto: dpa)

Thomas Hitzlsperger ist kein Star, er ist nur der Mann, der die deutsche Meisterschaft entschieden hat. Erstens hat er im letzten Saisonspiel gegen Cottbus einen Eckball von Pavel Pardo volley genommen und mit einer kühnen Mischung aus Spann und Außenrist ins Netz gefeuert. Zweitens hat der Schalker Trainer Slomka später gesagt, der VfB sei vor allem ,,wegen der Torgefahr aus dem Mittelfeld'' Meister geworden. 13 Tore erzielte das Schalker Mittelfeld, 20 Tore das des VfB. Für die Differenz kam Hitzlsperger persönlich auf - er schaffte sieben Saisontore, und wenn man es genau nimmt, hieß der Unterschied zwischen Titel und Nicht-Titel also: Hitzlsperger.

Thomas Hitzlsperger sitzt jetzt hier auf der Klubterrasse, kein Autogrammjäger kommt, und er nimmt sich Zeit für diesen Gedanken, der in etwa so kompliziert ist wie ein Volleyschuss nach einem Eckball. Mit einer kühnen Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut spricht Hitzlsperger über Hitzlsperger, und über das, was er geschafft hat im vergangenen halben Jahr. "Diese Meisterschaft ist eine Bestätigung dafür, dass ich was richtig gemacht habe", sagt er selbstbewusst. "Man muss aber auch differenzieren: Ich war nicht immer gut, wenn die Leute das so gesehen haben'', sagt er demütig. Er hat etwas geschafft, was man im Branchenjargon Durchbruch nennt - und jetzt versucht er, diesen Durchbruch bloß ja keinen Durchbruch sein zu lassen. "In meiner Karriere gab's noch nie einen Durchbruch, und da kommt auch keiner mehr'', sagt Hitzlsperger, "für einen Durchbruch bin ich zu alt.'' Er ist 25.

Bitte kein Durchbruch!

Thomas Hitzlsperger ist sich selbst ein bisschen unheimlich zurzeit. Ein Durchbruch würde ihm Angst machen, ,,in meiner Karriere ging es immer langsam bergauf, mit vielen Unterbrechungen''. Er ist fest davon überzeugt, dass seine Karriere nur so funktionieren kann. Er hat keinen durchgestylten Karriereplan, er sagt: ,,Mein Karriereplan heißt: besser werden. Und wenn ich die nächste Stufe erreicht habe: wieder besser werden.''

Im Moment lernt er gerade, wie es ist, deutscher Meister zu sein. ,,In der nächsten Saison wird man bestimmt keinen Super-Hitzlsperger sehen'', sagt der Meisterschüler, ,,aber hoffentlich einen, der eine stabile Saison spielt.'' Sein Karriereplan basiert auch auf der Grunderkenntnis, dass er ,,kein Ronaldinho'' ist. ,,Als ich mit 18 nach England gewechselt bin, da hab' ich noch gedacht, dass vielleicht mal ein Star aus mir wird'' - aber schon mit achtzehneinhalb hatte er sich selbst durchschaut. Diese Grunderkenntnis hält ihn wach. Er kennt seine Grenzen, und er versucht, sie immer weiter hinauszuschieben. ,,Ich habe mir vorgenommen, einfach ein guter Profi zu werden, einer, mit dem man was anfangen und auf den man sich verlassen kann.''

Mit rührender Zielstrebigkeit arbeitet Hitzlsperger seitdem an sich, er vertraut den kleinen Schritten mehr als den großen Sprüngen. Vor 14 Monaten, bei der WM-Vorbereitung in Genf und Sardinien, wurde seine Teilnahme noch unter Ulk verbucht; im Trainingslager gewann er Bogenschießen und Kartrennen, und Spötter durften behaupten, Hitzlsperger habe auch den zu Erholungszwecken anberaumten Uhrmacherkurs klar für sich entschieden. Hitzlsperger bei der WM, das sah aus wie ein Irrtum - oder maximal wie die Belohnung für einen treuen Athleten, von dem gesichert zu sein schien, dass er seine Reservistenrolle zur Weiterbildung nutzt und nicht als Zuträger der Boulevardpresse.

Hitzlsperger hat nicht enttäuscht, als ihm Bundestrainer Klinsmann vor dem Achtelfinale gegen Schweden das berühmte Kabinenreferat zuschanzte. Er hat gesagt, dass das bestimmt ein großer Tag für die Spieler werde und dass die Nation die Daumen drücke. Man weiß nicht genau, ob er sich eher zu den Spielern oder zur Nation gerechnet hat. Er gehörte einerseits zum Kader, wobei seine Spielwahrscheinlichkeit in etwa so hoch war wie die einer Großleinwand. In seinem halblinken Mittelfeld spielte unverdrängbar Bastian Schweinsteiger, der so viel besser war und so viel jünger. Schweinsteiger gehörte die Zukunft, Hitzlsperger nicht mal die Gegenwart. Jetzt aber, ein gutes Jahr später, hat Hitzlsperger bei der Wahl zum Fußballer des Jahres zehn Stimmen erhalten, zwei mehr als Michael Ballack. Bastian Schweinsteiger bekam eine.

Bitte kein Durchbruch!

Thomas Hitzlsperger hat es seinen Kritikern immer leicht gemacht, er hat ein Spiel, das nicht leicht zu verstehen ist. Er spielt so athletisch, dass man dahinter gerne ein überschaubares Talent vermutet - ein Missverständnis, wie die vorige Saison gezeigt hat. In dieser Meistersaison war Hitzlsperger das, was er immer sein wollte, ein guter Profi, einer, mit dem man was anfangen und auf den man sich verlassen kann. Er war torgefährlich und passsicher, führungsstark und strategisch begabt, ein aufrechter Allwetterspieler. ,,Wir ziehen auch alle den Hut vor Thomas'', sagt Horst Heldt.

In diesen Tagen werden sie Hitzlspergers Vertrag bis 2010 verlängern, aber wenn sie ehrlich sind, dann haben sie ihm diese Entwicklung auch nicht zugetraut. Als Trainer Veh im Februar 2006 in die Stadt kam, galt Hitzlsperger als Altlast - wie er und sein Trainer dann doch zusammenfanden, das ist eine Geschichte, die in komprimierter Form zeigt, wie Hitzlsperger seine Karriere begreift. Er kam von der WM zurück, und weil Linksverteidiger Magnin nicht in der besten Form war, wurde halt der Hitzlsperger nach links hinten gesteckt. Er war zu anständig, um sich gegen diese wenig artgerechte Haltung zu verwehren, im ersten Saisonspiel hat er fürchterlich schlecht gespielt. Er ist dann gleich aus dem Kader geflogen, aber irgendwann ist er im Trainerbüro aufgekreuzt. "Ich hab' gefragt: Trainer, was muss ich besser machen, hab' ich eine Chance im Mittelfeld? Er hat sie mir zugesichert, und irgendwann hat er gemerkt: Hoppla, den kann ich ja brauchen.'' Verkannt werden, erst nichts sagen, dann das Gespräch suchen, Ratschläge annehmen, lernen, arbeiten - das ist der rote Faden, der sich durch diese Karriere zieht.

Was er machen würde, falls Deutschland 2010 Weltmeister wird, nach einem Volleyschuss von Hitzlsperger möglicherweise? Er würde sagen, dass er jetzt dringend weiterarbeiten muss, um besser zu werden. Das würde er sagen, während Horst Heldt auf der Terrasse Autogramme schreibt.

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