Süddeutsche Zeitung

Thomas Broich:"Ich habe zynisch auf die Welt geblickt"

Der Fußballer Thomas Broich wurde hoch gehandelt und stürzte tief. Ein Gespräch über seine Krise in der Bundesliga, die Flucht nach Brisbane und eine Broich-Statue, die niemand haben will.

Interview von Tim Brack

Als seine Pässe begannen, mit zunehmender Regelmäßigkeit die gegnerischen Abwehrreihen zu zerteilen, glaubten viele, Thomas Broich sei ein Mann für die deutsche Nationalmannschaft. Der feine Techniker sollte die DFB-Elf zusammen mit Talenten wie Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski in bessere Zeiten führen. Doch Broich nahm einen anderen Weg als die beiden späteren Weltmeister. Der gebürtige Münchner vergeudete sein Talent - aus Überheblichkeit, Sturheit und am Ende aus Kraftlosigkeit. Seine Geschichte ist in der Langzeit-Dokumentation "Tom meets Zizou - Kein Sommermärchen" von Aljoscha Pause dokumentiert. 2010 floh Broich nach Stationen in Gladbach, Köln und Nürnberg nach Australien. Dort fand er wieder Spaß am Fußball - und beendete nach sieben Jahren bei den Brisbane Roar seine Karriere.

SZ: Herr Broich, wie geht es ihnen nach Ihrem Abschied von Brisbane im Sommer?

Thomas Broich: Es ist ganz gut, ein bisschen Abstand von Roar zu haben. Für die Leute, die da jetzt am Werk sind, ist es vielleicht ganz gut, wenn ich mich nicht jeden Tag auf dem Gelände rumtreibe (lacht).

Wie war es in Brisbane?

Dort war meine schönste Zeit als Fußballer. Ich konnte regelmäßig und über Jahre einen Beitrag leisten. Ich war willkommen und wertgeschätzt. Zu wissen, ich kann jeden Tag und jedes Wochenende meiner Arbeit nachgehen und mich total dieser Sache verschreiben, das war für mich das schönste Gefühl überhaupt. Ich war endlich mal Teil von etwas - und auch von etwas Erfolgreichem. Das hat mir die Welt bedeutet. Ich war erleichtert, dass es so etwas überhaupt noch gibt.

Nach Ihrer Zeit in der Bundesliga war der Glaube daran verloren?

An alles. Ich habe sehr zynisch auf die Welt geblickt und mir selber nicht mehr viel zugetraut. Es war wichtig für mich, noch einmal eine so schöne Zeit erleben zu dürfen.

Sie wurden damals neben Podolski und Schweinsteiger als künftiger Nationalspieler gehandelt, dann begann der sportliche Abstieg. Was hätte passieren müssen, um Sie aufzurütteln?

Bei mir haben alle dazwischen gehauen: meine Mutter, die Mitspieler. Es gab viele Warner. Ich war aber nicht empfänglich für ihre Botschaften. Ich wurde immer sturer und entwickelte eine Jetzt-erst-recht-Haltung.

Wie wirkte sich diese Haltung aus?

Ich hab mich fehl am Platz und isoliert gefühlt. Zunehmend habe ich einen inneren Widerstand aufgebaut gegen das, was ich beruflich gemacht habe. Das hat mich innerlich aufgefressen. Am Ende musste ich mich zum Training schleppen, ich wusste nicht, warum ich da antanze.

Keine idealen Voraussetzungen für Sport.

Ich hatte psychosomatische Probleme. Wenn es schlecht läuft, hat man Blei im Körper. Man fühlt sich ungelenk, kann sich schwer bewegen. Mir ging es ständig so. Mein Körper schmerzte, jede Bewegung war eine Qual. Wenn ich gut drauf war, hatte ich solche Probleme nicht.

Wann wurde es besser?

Eigentlich erst, nachdem ich das ganze abgehakt und neu angefangen hatte. Das war auch der Grund, warum ich nach Australien gegangen bin. Maximal weit weg. Keine Image haben. In einen anderen Kulturkreis. Null Erwartungen. Plötzlich hatte ich die Möglichkeit, ein anderer zu werden.

Ihre Geschichte wird in der Langzeit-Dokumentation "Tom meets Zizou" erzählt. Regisseur Pause hat sie von 2003 bis 2011 begleitet. Wie finden Sie den Film?

Wenn man sich selber zuhören muss, was man alles von sich gegeben hat, ist das schon hart. Da ist man nicht immer stolz auf sich selber. Ich wusste damals nicht, worauf ich mich einlasse. Man stellt sich das als cooles Projekt vor und ist sich nicht bewusst, was das für eine Schwere entwickeln kann. Vor allem, wenn es in der Karriere nicht läuft. Aber gerade durch meine Krisen kam eine Komponente zum Film, die ihn nicht uninteressanter macht. Ein kleines Märchen wäre zwar schön gewesen. Aber der Film ist ja gerade deswegen relevant, weil er dieses Märchen eben nicht erzählt.

Wenn Sie einem jungen Spieler begegnen würden, der so tickt wie Sie früher. Was würden Sie ihm sagen?

Das ist lustig, weil ich solchen Versionen von mir tatsächlich begegne. Und sie tun mir ein bisschen Leid, weil sie es eigentlich gut meinen, aber sich ein wenig verlaufen haben. Aber gerade wenn man jung ist, stößt vieles auf taube Ohren. Bei mir war es ähnlich. Ich war auf einem Höhenflug, alles lief. Ich hätte nie geglaubt, dass es eine Schattenseite geben könnte. Die hat mich dann kalt erwischt. Es ist echt gefährlich, wenn du als junger Spieler rasant aufsteigst.

In Brisbane wurden Sie zum Fußballer des Jahrzehnts gewählt. Sind Sie jetzt eine Vereinslegende bei Roar?

Den Verein und die Liga gibt es ja noch nicht so lang. Da ist es dann auch nicht so schwer, so einen Status zu erlangen. Wenn man über 50 Jahre Bundesliga redet oder zehn Jahre A-League, ist das schon ein Unterschied.

Ein Fan bemühte sich in einer Online-Petition sogar darum, dass eine Statue von ihnen vor dem Stadion errichtet wird. Stand heute: null Unterschriften. Enttäuscht?

(lacht) Null ist ein bisschen wenig.

Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach der aktiven Karriere?

Ich befinde mich gerade in der Übergangsphase, in der ich überlege: Was mache ich eigentlich? Bleibe ich dem Fußball verbunden? In vierzig, fünfzig Jahren gönnt man sich sonst nie so ein Break. Wenn er mir jetzt auferlegt wird, ist das ganz recht.

Bleiben Sie dem Fußball verbunden?

Ich habe richtig Lust darauf, Trainer zu werden. Das ist völlig absurd. Als ich aus Deutschland weg gegangen bin, hätte ich mir das nicht vorstellen können. Damals hatte ich eine Anti-Haltung entwickelt zu allem, was mit Fußball zu tun hat. Es wäre das Letzte gewesen, was mir in den Sinn gekommen wäre.

Was für ein Trainer-Typ werden Sie sein? Laptop-Trainer oder Traditionalist?

Wahrscheinlich beides ein bisschen. Ohne Laptop geht es nicht mehr. Man muss Spiele analysieren, die Taktiktafel rausholen und Statistiken interpretieren. Auf der anderen Seite gibt es noch sehr viele Trainer, die auf eine altmodische Art und Weise erfolgreich sind - vielleicht ist es auch eine zeitlose Art und Weise. Ich glaube, dass eine Mischung das Erfolgsrezept ist.

Welcher Trainer hat Sie stark beeinflusst?

Ich hatte in Australien das Glück, einen überragenden Trainer zu haben: Ange Postecoglou (heutiger Nationaltrainer Australiens, Anm. d. Red.). Das hört sich jetzt komisch an, aber er war der Erste, der mir Fußball begreiflich gemacht hat. In der Bundesliga stand ich unter dem Eindruck: Man haut sich rein und trainiert jeden Tag. Klar, spielst du mal mit einer Dreier- oder Viererkette. Aber was das bedeutet und warum man Spiele gewinnt oder verliert, das war für mich ein Rätsel.

Was hat Postecoglou anders gemacht?

In Australien hat er mit geringeren Mitteln versucht, den Fußball des FC Barcelona spielen zu lassen. Das war am Anfang schwierig, aber als wir das begriffen haben, waren wir 36 Spiele in Serie ungeschlagen, sind zweimal Meister geworden. Wenn du so etwas als Spieler mitmachst, erkennst du, was mit einer ausgeklügelten Taktik machbar ist. Er war auch menschlich richtig gut. Er hat im Leben unheimlich viel mitgemacht, viele Rückschläge, also war er sehr reflektiert und einfühlsam.

Könnten Ihre negativen Erfahrungen später ein Vorteil als Trainer sein?

Wenn man viele Rückschläge erlitten hat oder durch viele Krisen musste, dann lernt man die eine oder andere Sache. Man kann sich viel besser in Menschen reinfühlen.

Sehen wir Sie wieder in der Bundesliga?

Es ist nicht so, dass alles darauf hinauslaufen muss. Wichtig ist, erst mal anzufangen, reinzukommen und zu sehen, wo ich hinpasse. Wo habe ich Stärken, wo Schwächen?

Beim Publikumspreis des Deutschen Fußballbotschafters, der seit 2013 verliehen wird, rangierten Sie direkt hinter Spielern wie Schweinsteiger, Kroos oder Podolski. Wie erklären Sie sich Ihre Beliebtheit?

(lacht) Das müssen die ganzen Studenten gewesen sein, die mich gewählt haben. Ich glaube, dass man immer viel in eine Person rein liest und sich dann ein Stück weit seelenverwandt fühlt. In Australien haben mir junge Backpacker beim Training oder den Spielen zugesehen. Es war witzig zu sehen, wie die ticken, weil ich wahrscheinlich auch mal so getickt habe.

Weil Sie der tragische Held sind, mit dem sich viele Menschen besser identifizieren können als mit den Stars?

Ich habe eine bewegende Geschichte, mit der Leute etwas anfangen können. Die typischen Erfolgskarrieren sind spannend. Aber meine kleine Randgeschichte ist es eben auch.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2017/schm
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