Thomas Bach und die Dopingstudie:Mächtiger Mann merkwürdig machtlos

Leichtathletik-WM Moskau

Thomas Bach (Mitte) bei der Leichtatlethik-WM in Moskau mit Hochsprung-Weltmeister Raphael Holzdeppe (rechts) und dem Drittplatzierten Björn Otto.

(Foto: dpa)

DOSB-Präsident Thomas Bach hat die Dopingstudie initiiert, doch der mächtigste deutsche Sportfunktionär hat angeblich immer noch keinen Einblick erhalten - und lehnt deswegen eine inhaltliche Auseinandersetzung ab. Der Eindruck entsteht: Bach führt lieber einen Kleinkrieg um Formalitäten.

Ein Kommentar von Boris Herrmann

Thomas Bach gilt als einer der mächtigsten Männer im Weltsport. Bald will er sogar der mächtigste von allen sein. Sein Karriereplan sieht vor, am 10. September den Thron im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu erklimmen. Gemessen daran wirkt Bach in seiner Funktion als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gerade erstaunlich machtlos. Wenn man ihn richtig versteht, hat er immer noch keinen Einblick in den unveröffentlichten 800-Seiten-Abschlussbericht der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" erhalten. Dabei hat Bach dieses Projekt, wie er sagt, persönlich initiiert.

Der Bericht der HU-Berlin ist seit langem fertig. Den Beiratsmitgliedern des Auftraggebers vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) liegt er seit März 2012 vor. Im BISp-Beirat sitzen auch die DOSB-Vertreter Gudrun Doll-Tepper, Ingo Weiss und Olav Spahl. Die hätten Verschwiegenheitsklauseln unterzeichnet, so der DOSB, weshalb sie Bach den Text leider nicht weiterleiten durften. Es versteht sich von selbst, dass man nichts inhaltlich aufarbeiten kann, was man offiziell gar nicht kennt.

Einerseits ist es eine gute Nachricht, dass Verschwiegenheitsklauseln in der deutschen Sportpolitik noch was gelten. Andererseits gelten sie offenbar nur dann, wenn sie gelten sollen. Der ehemalige Bundesminister Hans-Dietrich Genscher hat sich den 800-Seiten-Bericht binnen weniger Tage auf dem kleinen Dienstweg vom Innenministerium besorgt, wie er selbst berichtete. Von dort hat ihn unter anderem auch die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag bekommen. Nur Thomas Bach, der mächtige Bach, schafft es partout nicht, an dieses Dokument heranzukommen?

Sicher, der DOSB hat die HU-Historiker aufgefordert, ihren Bericht selbst zu veröffentlichen, wohlwissend, dass sie das wegen der ungeklärten Haftungsfrage derzeit nicht tun werden. Das BISp hat auf öffentlichen Druck bekanntlich eine deutlich kürzere Version im Internet veröffentlicht. Auf diese Fassung bezieht sich Bach offenbar, wenn er sagt: "Es gibt nicht viel Neues im Vergleich zu dem, was bereits bekannt war."

Um noch einmal ein paar zentrale Thesen zusammenzufassen, die in beiden Versionen der Studie auftauchen: In der alten Bundesrepublik wurde systemisch gedopt. Einige der einflussreichsten Sportmediziner haben über Jahrzehnte mit Doping experimentiert, und einige Politiker scheinen das zumindest geduldet zu haben. Neben Anabolika und Testosteron wurden in den Siebziger- und Achtzigerjahren auch schon die leistungssteigernde Wirkung von Wachstumshormonen, Insulin und Epo erprobt.

Sportler wurden dabei zum Teil wie Versuchskaninchen benutzt, bekannte Nebenwirkungen ignoriert. Staatliche Organisationen haben diese Experimente aus Steuermitteln finanziert. Es steht ferner der Verdacht im Raum, dass Anabolika auch an Minderjährigen ausprobiert wurden. Nicht nur in diesem Zusammenhang sind offenbar brisante Akten verschwunden. Außerdem gibt es Indizien, dass positive Dopingtests bekannter westdeutscher Sportler von Kontrolleuren diskret entsorgt wurden.

Wenn das alles nichts Neues ist für Bach, dann muss die Frage erlaubt sein: Wieso hat er das eigentlich nie gesagt?

Brisanter Blick in die Gegenwart

Anschlussfrage: Seit wann weiß er es denn? In seiner Zeit als aktiver Sportler will der Fecht-Olympiasieger von 1976 vom Thema Doping so gut wie nichts mitbekommen haben. Wusste er denn schon mehr, als er 1982 ins Nationale Olympische Komitee berufen wurde, als er 1991 ins IOC aufrückte oder 2006 die Präsidentschaft des DOSB übernahm? Oder hat er vom "systemischen Doping" aus den Zwischenberichten der HU-Forscher 2010 und 2011 erfahren?

Als der erste Zwischenbericht veröffentlicht wurde, hieß es, man müsse erst den Abschlussbericht abwarten, um die Ergebnisse bewerten zu können. Jetzt liegt der Abschlussbericht vor, und nun heißt es: Stand ja schon das meiste in den Zwischenberichten. So kann man sich natürlich auch um eine inhaltliche Auseinandersetzung drücken.

Bach verweist stets auf seine Null-Toleranz-Politik. Abgesehen von Verweisen ist davon aber wenig zu spüren. Er spricht sich weiterhin gegen ein Anti-Doping- Gesetz aus. Die Forderung nach einer Opferrente hat er zumindest nicht aktiv unterstützt. Es gibt von ihm allerlei Absichtserklärungen, aber wenig konkrete Initiativen. Die Dopingstudie war zumindest mal so eine Initiative - seit sie fertig ist, beteiligt sich der DOSB aber vor allem am Kleinkrieg um Formalitäten und nicht an der Aufarbeitung der Inhalte.

Dass diese Inhalte von den HU-Historikern nur bis zum Jahr 1990 aufgearbeitet werden konnten und nicht, wie der Studientitel verspricht, "bis heute", wird allgemein beklagt. Gestritten wird, wer daran schuld ist, die Forscher oder die Auftraggeber (BISp) und Initiatoren (DOSB). Hier steht Aussage gegen Aussage. Fakt ist: Die mutmaßlich brisanteste Teilstudie ist nie zustande gekommen.

Wie brisant der Blick in die Gegenwart hätte werden können, ergibt sich aus zwei anderen Forschungsprojekten. Eine Studie der Universität des Saarlandes kam vor einigen Jahren zu dem Fazit, dass 30 bis 35 Prozent der deutschen Spitzensportler dopen. Eine anonymisierte Erhebung im Auftrag der Deutschen Sporthilfe ließ Anfang 2013 ähnliche Schlüsse zu. 5,9 Prozent der Athleten räumten dabei ein, "regelmäßig" zu Dopingmitteln zu greifen. Weitere 40,7 % drückten sich an dieser Stelle vor einer Antwort. Fast schon skurril mutet es vor diesem Hintergrund an, dass die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) 2012 bei 8567 Trainingskontrollen gerade einmal acht Sportler mit verbotenen Substanzen erwischt hat - eine Fahndungsquote im Promillebereich.

Man möchte meinen: Auch das könnte für den mächtigsten deutschen Sportfunktionär ein Anlass sein, um ein paar konkrete Vorschläge zum Anti- Doping-Kampf vorzulegen. Von Thomas Bach war dazu zuletzt zu hören: "Wir haben Vertrauen in unsere Nada."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: