Bach, Russland und Olympia:Der Strippenzieher wirkt nervös

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Widerstand aus der Politik: IOC-Präsident Thomas Bach. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Dürfen Athleten aus Russland und Belarus wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen? IOC-Präsident Thomas Bach scheint in der Debatte zunehmend die Kontrolle zu entgleiten.

Von Johannes Knuth, Courchevel

Vor ein paar Tagen stand der Ukrainer Ivan Kovbasnyuk im Zielraum von Courchevel und sprach über das Skirennfahren in Zeiten des Krieges. Er erzählte, dass er in der Armee diene, derzeit aber vom Dienst befreit sei als Spitzenathlet. Sobald die alpinen Ski-Weltmeisterschaften vorbei seien, rechne er damit, an die Front beordert zu werden. Dorthin also, wo Familie und Freunde seit einem Jahr sterben, Sportstätten zerbombt werden von russischen Kräften.

Am Sonntag stand Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), dann in Courchevel im Ziel, mit dem Rücken zur Tribüne, die vor Freude qualmte ob der bevorstehenden Männerabfahrt. Es hatte etwas Surreales, als ihn ein ukrainischer Reporter mit Kovbasnyuks Geschichte konfrontierte, auch mit dessen Aussage, dass russische Athleten von internationalen Wettkämpfen verbannt bleiben sollten, da sie Wladimir Putins Kurs schweigend mittrügen. Man verstehe das Leid, unterstütze die Ukraine, wo es gehe, entgegnete Bach. Dann fügte er an, dass man auch der olympischen Friedensmission verpflichtet sei. Und die, so Bach sinngemäß, sehe es seit jeher vor, auch Athleten aus dem Land eines Kriegstreibers zuzulassen - wenn auch ohne Flaggen, Hymnen und sonstige Abzeichen, wie es das IOC jetzt mit Russland plant.

Balanceakt: Der Ukrainer Ivan Kovbasnyuk versucht, sich auf Abfahrtsrennen zu konzentrieren, während in der Heimat Freunde und Familie sterben. (Foto: Daniel Goetzhaber/Gepa/Imago)

Eine der großen Erzählungen des Sportpolitikers Bach war stets, dass Sport und Politik strikt zu trennen seien. Welch Unsinn das ist, führten vor allem Bach und Putin in all den Jahren vor. Russland durchzog den Sport mit Geld und Funktionären wie ein Kapillarsystem.

Land und Athleten genossen im Gegenzug einen auffälligen Täterschutz, selbst als Russland ein Staatsdopingprogramm aufzog und Soldaten sich bereitmachten, auf der Krim einzumarschieren, während Bach und Putin sich bei den Winterspielen 2014 in Sotschi zuprosteten. Doch jetzt, da das Land einen weiteren Angriffskrieg entfesselt hat, droht selbst Bach, dem großen Strippenzieher, die Kontrolle zu entgleiten.

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So sehr Bach den organisierten Sport zuletzt auf Linie trimmte, formierte sich in der Politik die Opposition. Anne Hidalgo, die Pariser Bürgermeisterin und Gastgeberin der kommenden Sommerspiele, sprach sich zuletzt strikt dagegen aus, Athleten aus Russland und Belarus 2024 in Paris auflaufen zu lassen. Am vergangenen Freitag verständigten sich Politiker aus mehr als 30 Staaten grundlegend darauf, sich gegen eine Teilnahme dieser Athleten in Paris auszusprechen.

Die Teilnehmerliste reichte von den USA, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland bis zu europäischen Vertretern wie Deutschland, England und Frankreich. Eine Resolution soll gegen Ende dieser Woche stehen. "Solange Putin seinen barbarischen Krieg fortführt, dürfen Russland und Belarus nicht vertreten werden bei Olympia", hatte Großbritanniens Kulturministerin Lucy Frazer getweetet.

Das IOC verbittet sich eine Einmischung aus der Politik - und mischt sich dort selbst ein

Nun ist aus Berlin zu hören, dass längst nicht alle Staaten so entschieden in diese Richtung drängen. Für das IOC ist die Allianz so oder so brisant. Wenn erst einmal eine Position gegen den Olymp errichtet ist, droht dieser isoliert zu werden - und könnte irgendwann seine Lebensadern gefährden: die Zuwendungen von Sponsoren, TV und Publikum.

Entsprechend nervös reagierte Bach jetzt in Courchevel. "Am Ende liegt es nicht an Regierungen zu entscheiden, wer an Sportevents teilnimmt", sagte er. Das wäre "das Ende" dieser Großereignisse. Allerdings hat das so auch niemand aus der Politik vor. Diese fordert das IOC bloß auf, so wie das IOC immer wieder Forderungen an die Politik richtet oder im Hintergrund Strippen zieht, sei es bei Anti-Doping-Gesetzen oder wenn staatliche Ermittler durch den olympischen Sumpf waten.

Apropos Forderungen: Der Spiegel berichtete jetzt über ein Schreiben, das das IOC zuletzt hastig an die Nationalen Olympischen Komitees aus den rund 30 betroffenen Ländern schickte. IOC-Direktor James Macleod unterstellte den Politikern darin Falschaussagen, ohne Beispiele zu nennen. Das IOC bat seine NOKs jedenfalls darum, auf die Politiker einzuwirken, damit diese die Resolution nicht unterzeichneten oder die "Position der olympischen Bewegung" berücksichtigten. Der DOSB, das für Deutschland zuständige NOK, teilte auf Anfrage mit, man habe die Mail des IOC nicht erhalten. Man habe sich aber mit dem Bundesinnenministerium informell ausgetauscht. Das IOC wollte die Vorgänge auf Anfrage nicht kommentieren.

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Bach führte derweil seinen olympischen Eiertanz in Frankreich fort. Er fragte, weshalb Tennisspieler aus Russland und Belarus zuletzt bei den Australian Open antreten durften, nicht aber russische Schwimmer oder Turner bei internationalen Wettkämpfen. Weder erwähnte er, dass ukrainische Athleten in Melbourne mit russischen Flaggen provoziert worden waren, noch die eisige Stille zwischen Athleten beider Länder. Warum, konnte man genauso gut fragen, ist im Tennis nicht das möglich, was große Teile der restlichen Sportwelt betreiben?

Man könne, lamentierte Bach weiter, Athleten nun mal schwer die Teilnahme verweigern, das sei ein fundamentales Menschenrecht. Schon spannend, wie sehr das IOC plötzlich sein Faible für die Menschenrechts-Charta entdeckt, sobald es nicht mit Potentaten Geschäfte schmiedet. Als das IOC zuletzt in Peking zu Gast war, hatte es Bach lange geschafft, die Uiguren, denen in China offenkundige Menschenrechtsverbrechen widerfahren, nicht einmal zu erwähnen. Später flüchtete er sich in die Floskel, der Sport könne nicht die Probleme der Weltpolitik lösen.

Umso schräger eine These, mit der Bach seinen Vortrag in Courchevel unterstrich. "Die Geschichte wird zeigen, wer mehr für den Frieden tut - diejenigen, die kommunizieren, oder die, die isolieren oder spalten wollen", sagte er. Als sei weniger Russland das Problem, das seine Sportler offenkundig dazu aufruft, den Krieg zu unterstützen. Jenes Russland, das die Erfolge seiner Sportler seit Jahren als gesellschaftlichen Kitt nutzt. In Bachs Welt sind offenbar diejenigen das Problem, die ein Land stützen, das nicht gegen Athleten aus dem Land des Aggressors antreten will. Während die Athleten des angegriffenen Landes bald womöglich an der Front kämpfen, wie der Abfahrer Ivan Kovbasnyuk.

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