Premier League:Chelsea braucht mehr als einen Werner

Premier League - Chelsea v Liverpool

Timo Werner (re., oben) und Thiago (unten): Wiedersehen in der Premier League

(Foto: Neil Hall/REUTERS)

Das erste Heimspiel des FC Chelsea wird zur Offenbarung: Timo Werner ist gut aufgelegt, trotzdem steht am Ende ein 0:2 gegen Liverpool. Thiago gelingt bei seiner Premiere gleich mal ein Rekord.

Von Sven Haist, London

Die Rufe nach Timo Werner waren nicht zu überhören. Als wäre "Timo" eine neue englische Vokabel, die erst gelernt werden müsse, hallte der Vorname des deutschen Nationalspielers durch die Stamford Bridge; je nach Aussprache der Mitspieler und Trainer in den Varianten "Tiiimo", "Timmmo", "Timooo" oder "Tiiimooo". Es war Werners erstes Heimspiel für den FC Chelsea, die "Timo"-Rufe hatten im Duell mit dem FC Liverpool anfangs sowohl Lob als auch Kritik zum Inhalt.

Im Lauf der Partie aber wurde die Intonation immer eindeutiger: die Rufe klangen zunehmend nach verzweifelten Appellen - verbunden mit der Hoffnung, der für 53 Millionen Euro von RB Leipzig verpflichtete Angreifer könne mit seiner Explosivität den übermächtig erscheinenden Meister im Alleingang besiegen. Am Ende mussten die Londoner akzeptieren, dass Timo Werner allein nicht genügen wird, um zum Liga-Primus aufzuschließen, der in der Vorsaison 33 Punkte vor dem Viertplatzierten Chelsea lag. Die Bestandsaufnahme am Sonntagabend förderte nun kaum zutage, was das neue Team kann, sondern vor allem, woran es mangelt.

Liverpools souveränes 2:0 manövriert besonders Trainer Frank Lampard in seiner zweiten Chelsea-Saison in eine Situation, in der ihm schon jetzt skeptische Analysen folgen. Nach der teuren Runderneuerung des Kaders muss der Trainer im laufenden Betrieb die für eine Viertelmilliarde Euro geholten Zugänge ins Team integrieren. Hakim Ziyech (Ajax Amsterdam), Thiago Silva (Paris Saint-Germain) und Ben Chilwell (Leicester City), die neben Werner und dem zweiten deutschen Nationalspieler, Kai Havertz, unter Vertrag genommen wurden, fehlen wegen Trainingsrückstands. Als wären all diese Themen nicht schon heiß genug, hat Lampard mit eigenwilliger Taktik und Personalauswahl weitere Feuer der Kritik entfacht.

Wie schon beim 3:1-Auftaktsieg in Brighton verwunderte der 42-Jährige mit seiner Startelf gegen Liverpool, indem er den müde wirkenden Havertz erneut aufstellte. Havertz war erst vor zwei Wochen von Bayer Leverkusen ohne jegliche Vorbereitung zur Mannschaft gestoßen, nachdem ihn Chelsea mit einer Ablösesumme von mindestens 80 Millionen Euro zum bislang teuersten deutschen Spieler gemacht hatte. Das 21-Jährige stand nach seiner Premiere im rechten Mittelfeld diesmal als zentrale Spitze gegen Weltklasseverteidiger Virgil van Dijk auf verlorenem Posten - zur Pause wechselte Lampard ihn aus.

In bislang 125 Spielminuten hat Havertz bislang kein einziges Mal den Ball im Strafraum des Gegners berührt. Offenkundig hält seine Form noch nicht mit den Erwartungen mit - das dürfte auch im Team für Diskussionen sorgen. Denn Olivier Giroud - mit fünf Treffern in sechs Partien zum Saisonende an der Qualifikation zur Champions League beteiligt - wäre prädestiniert gewesen, vorne den Ball zu halten und für Entlastung zu sorgen. Stattdessen saß Giroud wiederholt auf der Bank.

Noch schlimmer als den französischen Weltmeister erwischte es den deutschen Nationalverteidiger Antonio Rüdiger, der nicht mal im Kader zu finden war. Vorige Saison nahm Rüdiger nach kurierter Leistenverletzung eine tragende Rolle ein; er riet seinen Landsleuten Werner und Havertz zum Wechsel. Allerdings scheint Rüdiger seit der Ankunft des künftigen brasilianischen Abwehrchefs Thiago Silva, 35, aus der Gunst des Trainers gefallen zu sein. In der internen Hierarchie wurde er zuletzt hinter Silva, Andreas Christensen, Kurt Zouma und Fikayo Tomori auf Position fünf zurückgestuft. "Ich habe fünf Innenverteidiger und kann keinen Kader benennen, der drei davon auf der Bank hat", erklärte Lampard kurz angebunden. Aber auch die aktuelle Idee von ihm ging nicht auf: Kurz vor der Halbzeit erhielt der Däne Christensen als letzter Mann nach einem Foul an Sadio Mané die rote Karte.

75 Zuspiele in 45 Minuten

Jürgen Klopp nutzte die Hinausstellung auf der Gegenseite eiskalt aus - mit der Einwechslung von Thiago Alcantara. Für den Strategen, erst am Freitag für 30 Millionen Euro beim FC Bayern ausgelöst, glich die Überzahl einem Willkommensgeschenk: Er zog das Spiel umgehend an sich. Mit 75 Zuspielen in 45 Minuten - mehr als jeder Chelsea-Spieler in der gesamten Partie - führte sich der 29-Jährige mit einem Passrekord in der Premier League ein. Getoppt wurde seine Leistung nur durch zwei Treffer von Mané (50./54.). Das Führungstor, dem ein Doppelpass zwischen Mohamed Salah und Roberto Firmino vorausging, demonstrierte einmal mehr die Extraklasse des Angriffstrios. Und sie lieferte ein Indiz dafür, warum sich Werner, um den sich auch Klopp intensiv bemüht hatte, wohl gegen Liverpool entschieden hatte. Bei Chelsea ist das Team nämlich voll auf ihn justiert. Eine Viertelstunde vor Schluss holte Werner einen Elfmeter gegen Thiago heraus. Jorginho vergab kläglich, passend zum Gesamtauftritt.

Chelsea begünstigte den souveränen Erfolg des Meisters mit einer riskanten Formation nach der Halbzeit, die nur drei Mittelfeldspieler und dafür zwei Stürmer aufwies. Dadurch gelang es den Londonern nicht, die Seiten ausreichend abzudecken. Als Lampard seine Überlegungen korrigierte, indem er einen Angreifer ins Mittelfeld zog, war das Spiel entschieden. Beim zweiten Treffer nutzte Mané zudem ein schweres Missgeschick des seit Monaten umstrittenen Torwarts Kepa Arrizabalaga aus; dessen Ablösung bei Chelsea steht kurz bevor. Der Senegalese Édouard Mendy wird für 25 Millionen Euro nach London wechseln, wie Stade Rennes jetzt bekannt gab. Nicht gerade ein Gewinngeschäft, wenn man bedenkt, dass Chelsea vor zwei Jahren 80 Millionen Euro Ablöse für Kepa an Atheltic Bilbao entrichtet hatte.

Aufrichten kann sich der Klub immerhin an Werner. Mit einer schönen Einzelaktion brachte er in der Schlussminute den resigniert auf der Bank sitzenden Lampard zum Applaudieren. Nach dem Spiel war es ihm sichtlich ein Anliegen, die Wege von Jürgen Klopp zu kreuzen. Schließlich gab es eine kurze Umarmung - mehr war für Chelsea nicht zu holen.

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