Thiago Alcántara und FC Bayern:Transfer gegen die gekränkte Seele

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"Im vergangenen Jahr sind zu viele Dinge passiert, die eine gewisse Grenze überschritten haben": Pep Guardiola über den FC Barcelona. (Foto: AFP)

Pep Guardiola äußert in Riva nicht nur offensiv seinen Wunsch nach einer Verpflichtung von Barça-Spieler Thiago Alcántara. Er beschwert sich auch heftig über die Führung seines Ex-Klubs. "Dass sie Tito Vilanovas Krankheit benutzt haben, um mir zu schaden, werde ich niemals vergessen."

Von Jonas Beckenkamp

Nur noch einmal zum Mitschreiben: Der Fußballer Luiz Gustavo ist Stammspieler in der brasilianischen Nationalmannschaft. Das zu schaffen, ist gar nicht so einfach bei der harten Konkurrenz im Land des jogo bonito. Man darf also davon ausgehen, dass Gustavo ein überaus brauchbarer Mittelfeldakteur ist.

Beim FC Bayern durfte der Profi aus der Stadt Pindamonhangaba zwischen São Paulo und Rio de Janeiro sein Können in der Vergangenheit nur sporadisch zeigen - und wenn die Dinge nun ihren erwartbaren Lauf nehmen, könnte sich seine Einsatzzeit auf homöopathische Dosen reduzieren. So weit ist es gekommen. Die Bayern werden einen wie Gustavo bald nicht mehr brauchen, denn im Mittelfeld des Triple-Gewinners wird es eng.

Seit Donnerstag müssen Luiz Gustavo und seine Triple-Kollegen fürchten, dass noch ein Kandidat hinzukommt: Thiago Alcántara do Nascimento, geboren in Süditalien, 22 Jahre alt, vielseitig einsetzbares Talent mit spanischem Pass. Dass er diesen jungen Mann des FC Barcelona liebend gerne an die Isar lotsen würde, erklärte Pep Guardiola im Traininglager am Gardasee mit überraschender Offenheit: "Ja, ich will diesen Spieler. Thiago oder nichts."

Er habe Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Sportvorstand Matthias Sammer gebeten, ihm diesen Wunsch auch zu erfüllen, ergänzte der neue Trainer selbstbewusst. Er würde die fälligen 18 Millionen Euro für den U21-Kapitän der Spanier gerne investieren.

Wer ist Thiago Alcántara und was bewegt ihn, ausgerechnet das Fußballparadies Barcelona zu verlassen? Und wo soll er in der heillos überbesetzten Zentrale des Bayern-Spiels seinen Platz finden? Ausgebildet wurde der Sohn des früheren brasilianischen Weltmeisters Mazinho (nein, nicht jener Anfang der 1990er in München Gescheiterte) zunächst bei einem kleinen Klub in Galicien, ehe er 2007 in das Jugendinternat "La Masia" des FC Barcelona gelangte.

Dort traf er direkt auf Guardiola, der ihn als damaliger Coach der zweiten Barça-Mannschaft formte, förderte und zu einem wendigen Strategen aufbaute. Als Guardiola 2009 Trainer der Profis war, verhalf er dem zu diesem Zeitpunkt 19-jährigen Thiago zu seinem Debüt in der Primera División. Der bedankte sich prompt mit einem Tor.

Welche Fähigkeiten er mitbringt, durften auch die Bayern schon erfahren: Vor zwei Jahren brachte der Nachwuchsmann beim Audi Cup in der Vorbereitung große Teile der Münchner Hintermannschaft in große Schwierigkeiten - beim 2:0 Barças erzielte Thiago beide Treffer.

So leichtfüßig, technisch gewieft und clever war seit langem kein gegnerischer Fußballer mehr in der Münchner Arena aufgetreten. Immer wieder berichten Beobachter aus Spanien seither, dass der 1,72 Meter kleine Dribbler in Barcelona eigentlich als Nachfolger für den würdevoll alternden Xavi eingeplant ist. Eigentlich. Diese Pläne sind jetzt wohl Geschichte.

Warum Thiago gewillt ist, die Katalanen zu verlassen und eine Ausstiegsoption aus seinem bis 2015 geltenden Vertrag nehmen wird, ist Gegenstand von Spekulationen. Bisher galt er in Katalonien zwar als große Zukunftshoffnung und kommender Mann in der Mitte, doch Stammspieler waren oft die erfahreneren Kräfte wie Xavi, Iniesta, Mascherano oder Busquets. Guardiola hingegen plant ihn in München als wichtige Stütze ein - und nicht als Garnitur der Ersatzbank: "Niemand verlässt gerne Barcelona - außer es geht um mehr Einsatzzeit. Und Thiago will öfter spielen. Das ist unsere Chance."

Dabei hatte Guardiola vor seinem Dienstantritt bekräftigt, keinen Spieler aus Barcelona mit zu den Bayern bringen zu wollen. Seine Haltung war als "Gentlemen's Agreement" zu verstehen - bei seinem Herzensklub, mit dem er alles gewonnen hatte, wollte Guardiola nicht wildern. Doch noch während der Pressekonferenz in Riva wurde deutlich, dass seine Liebe zu Barça erkaltet ist.

Ein katalanischer Reporter fragte ihn nach seiner Beziehung zu seinem alten Klub. In seiner Muttersprache redete sich Guardiola daraufhin regelrecht in Rage: "Ich war 6000 Kilometer weg und hatte die Vereinsspitze gebeten, mich in Ruhe zu lassen. Doch sie haben das nicht befolgt, sie haben ihr Wort gebrochen", sagte der 42-Jährige.

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Sein Amtsnachfolger, Tito Vilanova, war damals bereits an Ohrspeicheldrüsenkrebs erkrankt, was eine Operation und weitere Behandlungen notwendig machte - Barça fehlte in dieser Phase sichtlich eine ordnende Hand, es fehlte ein Plan. Nun beschwerte sich Guardiola darüber, dass ihn sein Ex-Klub damals zurückholen wollte und ihn offenbar auch unter Druck setzte.

In Riva sagte er weiter: "Im vergangenen Jahr sind zu viele Dinge passiert, die eine gewisse Grenze überschritten haben. Dass sie Tito Vilanovas Krankheit benutzt haben, um mir zu schaden, werde ich niemals vergessen." In Spanien kursierten schon länger Berichte darüber, dass Guardiola Vilanova während dessen Behandlung in New York nie besucht habe. "Ich habe ihn gesehen", rechtfertigte sich Guardiola: "und wenn ich ihn nicht sehen konnte, dann nur, weil es nicht möglich war. Wie können Sie nur glauben, dass ich ihm so etwas antun würde, nachdem wir so lange Seite an Seite gearbeitet haben? Das ist schlechter Stil."

Fast fünf Minuten sprach Guardiola auf Katalanisch und es machte den Eindruck, als wäre ein Ventil geöffnet worden, das lange Zeit unter hohem Druck stand. Adressat der Vorwürfe sind die Verantwortlichen von Barça um Präsident Sandro Rosell. Haben die Animositäten nun dazu geführt, dass der Bayern-Trainer seinem Ex-Klub seinen vielleicht besten Nachwuchsspieler herauspicken will und das auch öffentlich und offensiv äußert?

Thiago Alcántara hat eine Ausstiegsklausel, er kann Barcelona für 18 Millionen Euro verlassen. Sein Berater heißt Pere Guardiola und ist der Bruder des Bayern-Trainers. Es liegt also nur noch am Vorstand des Triple-Gewinners, das Festgeldkonto zu erleichtern. Am 24. Juli können sie das Geld dann persönlich übergeben - da kommt der FC Barcelona zum Testspiel nach München.

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