Theo Zwanziger im Interview:"Wir sind Freunde, keine Feinde"

DFB-Präsident Theo Zwanziger über das Scheitern der Vertragsverlängerung mit Joachim Löw und Oliver Bierhoff - und die Konsequenzen fürs WM-Jahr.

Philipp Selldorf

SZ: Herr Zwanziger, der DFB wollte den Vertrag mit Bundestrainer Joachim Löw verlängern, und Joachim Löw wollte die Arbeit als Bundestrainer auch fortsetzen - warum konnte man sich dann nicht einigen?

Theo Zwanziger im Interview: Theo Zwanziger glaubt nicht, dass die Vertragsdebatte das WM-Jahr belastet.

Theo Zwanziger glaubt nicht, dass die Vertragsdebatte das WM-Jahr belastet.

(Foto: Foto: Reuters)

Theo Zwanziger: Weil die Wünsche der sportlichen Leitung der Nationalmannschaft - sie sind ja im geschlossenen Team gekommen, nicht der Bundestrainer allein - nicht mit unseren Vorstellungen vereinbar waren. Jetzt sind wir mit einem Vorhaben nicht zurande gekommen, das sich beide Seiten gewünscht hatten. Aber als großen Knall würde ich das nicht bewerten: Wir haben lediglich die Entscheidung getroffen, die Gespräche bis nach der WM auszusetzen. Situationen wie diese hatten wir doch öfter in den vergangenen zehn Jahren - beispielsweise vor fast genau vier Jahren, als heftig über die Besetzung des DFB-Sportdirektors diskutiert wurde.

SZ: Sie haben bereits im Dezember die Vertragsverlängerung mit Löw zur beschlossenen Sache erklärt. War das - aus heutiger Sicht - ein Fehler?

Zwanziger: Ich würde es nicht als Fehler bezeichnen. Wenn ich gewusst hätte, wie weit die Vorstellungen auseinandergehen, dann wäre es ein Fehler gewesen. Aber ich war mir sicher, dass wir zusammenkommen und bin deshalb ganz entspannt in den Winterurlaub gegangen. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass das von Joachim Löw anders gesehen wird.

SZ: Hat es die von Ihnen verkündete Handschlag-Vereinbarung mit Löw wirklich gegeben? Oder war das sozusagen eine symbolische Interpretation?

Zwanziger: Es war ein Vier-Augen-Gespräch. Natürlich haben wir uns die Hand gegeben - wir sind ja höfliche Menschen. Wir waren uns einig, das hat der Bundestrainer doch auch selbst gesagt. Und wenn sie die Meinungsäußerungen von mir und Löw nachlesen, dann gab es da keine großen Unterschiede, es ging nur um Details. Die großen Unterschiede gab es erst, als Oliver Bierhoff in einem Gespräch Mitte Januar neue Fakten geschaffen hat, indem er uns Entwürfe für völlig neue Verträge präsentiert hat - da ist eine ganz andere Dimension entstanden. Für mich kam das völlig überraschend. In den vergangenen sechs Jahren hätten wir eigentlich keine Verträge gebraucht, das wurde einfach gelebt. Wir haben die neuen Vertragsforderungen dann geprüft und festgestellt: Das ist keine Basis. Das können wir nicht machen. Da wäre manches auch mit unserer Satzung gar nicht vereinbar gewesen.

SZ: Bierhoff hat den Wunsch nach einer Sonderzahlung und nach mehr Zuständigkeit bei einer eventuellen Neubesetzung des Cheftrainerpostens vorgebracht. Von einer "Gratifikation" ist die Rede - als Bonus für die zurückliegenden sechs Jahre.

Zwanziger: Über wirtschaftliche Daten in Verträgen spreche ich generell nicht, aber dass sie in diesem Fall auch einen Rolle gespielt haben, ist ja mittlerweile bekannt. Entscheidend war aber: Wir wollten verlängern, doch wir wollten keinen neuen Vertrag machen. Aber das, was uns Mitte Januar auf den Tisch gelegt wurde, war etwas ganz anderes als bisher. Wir sind ein gemeinnütziger Verband! Ich liebe diese Nationalmannschaft, aber ich habe einen Verband zu führen und ich muss reflektieren, was sozial und wirtschaftlich verantwortbar ist. Oliver Bierhoffs Forderung nach mehr Kompetenz - und zwar ableitend aus ursprünglichen Befugnissen des Verbandes - war nicht machbar. Ich hätte dann drei oder vier Anträge auf Satzungsänderung beim nächsten Bundestag stellen müssen.

SZ: Beginnt die Verhandlung nicht erst dann, wenn die eine Seite ihre Forderung auf den Tisch gelegt hat?

Zwanziger: Nein, nein. Das ist bereits im Grundsatz auseinandergegangen. Mein Selbstverständnis war: Wir machen keine neuen Verträge. Aber als ich den Entwurf studiert habe, war mir klar, dass von Seiten der sportlichen Leitung ein völlig neues Verständnis eingebracht wird. Darüber hatten wir im Dezember nie gesprochen. Aber offensichtlich hat Oliver Bierhoff den Wunsch entwickelt, dass seine Rolle mehr gestärkt wird. Im Gespräch bleiben? Ich wusste, dass wir uns jetzt entweder auf einer verantwortbaren Basis verständigen - das heißt: moderate Erhöhung der Vergütung, eine Regelung über die Zuständigkeiten bei der U21-Mannschaft und ein eigenes Budget für Oliver Bierhoff zur Abwicklung gezielter Maßnahmen - oder dass wir die ganze Sache vertagen. Unser Angebot war am Rande der Verantwortbarkeit. Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten: Ich kann den Amateurfußballern und Millionen von ehrenamtlich tätigen Helfern nicht verkaufen, dass wir ohnehin sehr gut dotierte Verträge nochmals deutlich aufstocken.

SZ: Hat es denn überhaupt Verhandlungen im eigentlichen Sinne über die Details gegeben?

Zwanziger: Worüber sollten wir im Gespräch bleiben? Feilschen über Prozente?

SZ: Nach unserem Wissen war das Gegenangebot des DFB an eine 48-Stunden-Zeichnungsfrist gebunden. Können Sie verstehen, dass Löw/Bierhoff dieses Ultimatum als Nötigung empfinden?

Zwanziger: Wir waren unter Zeitdruck: Die nächste Sitzung des DFB-Präsidiums wäre erst im März gewesen, ich konnte die Sache nicht so lange kochen lassen. Und wenn man soweit auseinander ist, worüber soll ich dann verhandeln? Ob wir aus sieben fünf Prozent machen? Dafür muss ich kein Kolloquium einberufen, und ich muss sagen, das ist unter meiner Würde. Es wäre auch unter der Würde der anderen Beteiligten. Das sind doch Leute mit starkem Niveau, die fähig sein müssen, zügig zu entscheiden. Den ersten Bundestrainer-Vertrag mit Jogi Löw habe ich innerhalb einer Nacht in Stuttgart geschlossen. Nötigung? Nötigung besteht, wenn ein Mensch die Wahl zwischen zwei Übeln hat. Worin besteht hier das Übel?

"Das hätte ich von Löw und Bierhoff nicht erwartet"

SZ: Die finanzielle Forderung mag anspruchsvoll gewesen sein. Aber die Nationalmannschaft bewegt sich auf den Höhen des Profifußballs.

Zwanziger: Es ist Profifußball - aber es ist Profifußball im Verband. Unsere sportliche Führung wird von uns sehr gut vergütet, und dazu gibt es auch noch Werbeeinnahmen für sie. Die kommen ihnen vor allem deswegen zugute, weil ihnen die Nationalmannschaft die entsprechende Ausstrahlung verleiht.

SZ: Können Sie verstehen, dass Joachim Löw und Oliver Bierhoff die Veröffentlichung ihrer zentralen Forderungen am Tag der Präsidiumssitzung in der Bild-Zeitung als gezielte Indiskretion, als Intrige verstehen?

Zwanziger: Diese Veröffentlichung hat mich genauso irritiert. Vom DFB hat niemand etwas rausgegeben, Wolfgang Niersbach nicht, ich selbst nicht, und es hat auch niemand mit meiner Billigung getan. So etwas ist nicht unser Stil.

SZ: Ist dieser Vertrauensbruch überhaupt noch reparabel?

Zwanziger: Selbstverständlich. Ich sehe das nicht als Vertrauensbruch, wir sind doch erwachsene Männer. Wir haben solche Situationen doch früher schon erlebt. 2006 der Ärger mit Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff um Matthias Sammers Berufung zum Sportdirektor, das war ein bisschen härter. Und was ist passiert? Ich habe mit Oliver einen neuen Vertrag geschlossen, und wir haben anschließend vier Jahre wunderbar zusammengearbeitet. Beide Seiten hatten eben andere Vorstellungen: Ich bin von Details ausgegangen, die sportliche Leitung von wesentlich weitergehenden Begriffen. Die haben wir nicht zusammengebracht, Punkt. Und jetzt geht es weiter: Alle Beteiligten haben volle Loyalität zugesagt. Löw, Bierhoff, Köpke, Flick, die Spieler und der DFB: Alle wollen eine gute WM spielen. Der Status Quo ist doch komfortabel. So wie es der Bundestrainer gesagt hat: Wir werden uns weltmeisterlich vorbereiten.

SZ: Herrscht jetzt Sprachlosigkeit zwischen der Verbandsführung und der sportlichen Leitung?

Zwanziger: Warum denn? Alle Dinge im täglichen Geschäft sind geregelt, ich brauche mich gar nicht einzumischen. Wir sind Freunde, wir sind keine Feinde. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Projekt. Am Wochenende bei der Auslosung zur Europameisterschaft 2012 in Warschau werden wir uns wiedersehen, und dann werden wir miteinander reden.

SZ: Die jetzige Situation ist zur Konfrontation geworden und schließt nicht aus, dass Löw hinschmeißt. Haben Sie diese Gefahr bei Ihrem Nein zu weiteren Gesprächen einkalkuliert?

Zwanziger: Das würde ich überhaupt nicht verstehen. Das erwarte ich auch nicht. Dafür schätze ich ihn viel zu hoch ein.

SZ: Die auslaufenden Verträge der sportlichen Führungskräfte werden für ständige Debatten sorgen, was das Arbeitsklima im WM-Jahr belasten wird. Das Risiko ist Ihnen bewusst?

Zwanziger: Ein Verband muss Schönes und Belastendes ertragen, das habe ich gelernt. Wir hatten einen Wettskandal, und wir sind auch darunter nicht zerbrochen. Wir leben halt nicht in einer heilen Welt, es gibt Eitelkeiten, Begehrlichkeiten, Befindlichkeiten. Es ist nicht die Schicksalsfrage der Nation, ob ein Bundestrainer mit einem auslaufenden oder laufenden Vertrag ins Turnier geht. Jetzt gehen wir halt in die WM in der angedachten Konstellation. Ich will ihn behalten. Wenn wir die WM erfolgreich spielen, dann werde ich mit Löw sprechen. Und wenn wir nicht so erfolgreich spielen, dann auch. Er wird immer mein erster Ansprechpartner sein.

SZ: Bierhoffs Anspruch auf ein Vetorecht bei der Besetzung des Bundestrainerpostens wurde offenkundig als mindestens ebenso problematisch angesehen wie der Wunsch nach einer Extrazahlung. Aber er besitzt doch bereits ein verbrieftes Vorschlagsrecht und der DFB hätte ja immer das letzte Wort behalten - im Ernstfall könnte er Bierhoff schließlich immer noch kündigen.

Zwanziger: Auf dieser Basis konnte ich den Vertrag nicht abschließen. Diese offensive Ausdehnung der Kompetenzen wäre mit den Grundsätzen des DFB nicht vereinbar gewesen. Eine Nationalmannschaft-GmbH mit dem DFB als Aufsichtsrat - das geht nicht. Wie weit kann ein gemeinnütziger Verband gehen, um seine Strukturen denen eines Bundesligaklubs anzupassen? Da haben wir bisher unglaublich viel getan. So viel Freiraum, wie wir in den laufenden Verträgen dem Bundestrainer und seinem Stab überlassen, das gibt es bei keinem anderen Verband der Welt.

SZ: Viele Beobachter werten es so, dass Bierhoff im Verband mehr Gegner als Freunde hat, und dass er diese Kluft mit seinem Vorgehen vergrößert hat. Stimmt dieser Eindruck?

Zwanziger: Oliver hat 15 Minuten vor dem Präsidium gesprochen, das war korrekt und fair. Er war von der Berechtigung und der Sachgerechtigkeit seiner Forderungen sehr überzeugt. Wir waren das nicht. So ist das halt. Aber ein Teammanager muss ja auch kantig und ein bisschen umstritten sein. Er hat eine starke Stellung, ich habe ihn immer sehr gemocht und gefördert, er sitzt im Präsidium des DFB - wann hat es das je gegeben? Jetzt muss man ihm und dem Bundestrainer sagen: Bleibt ein bisschen ruhiger, besinnt Euch auf Eure Stärken.

SZ: Besteht im Verband die Sorge, dass die Nationalelf sich als autonome Elite-Einheit zu weit vom DFB entfernt?

Zwanziger: Diese Auffassung ist aufgekommen. Wir haben eine Menge gemeinsam durchgesetzt, vieles modernisiert, aber jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem ich mich ein bisschen überfordert fühle. Denn ich bin es, der am Ende die Forderungen im Verband durchsetzen muss.

SZ: Sind Sie verärgert, dass Oliver Bierhoff und Joachim Löw Sie in diese Lage gebracht haben?

Zwanziger: Ich bin nicht verärgert, aber ich hätte es nicht erwartet, dass ich von ihnen in so eine Situation gebracht werde.

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