Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 17:Weiter, immer weiter

Das Drama "The Wrestler" handelt von einem alternden Kämpfer, der weiß, dass es vorbei ist, und trotzdem nicht aufgibt. Hauptdarsteller Mickey Rourke verleiht dem Film eine überwältigende Wucht.

Von Johannes Schnitzler

Sportfilme haben es von Natur aus schwer: Der geneigte Sportfan erkennt sofort, dass selbst begnadete Schauspieler nicht zwingend Topathleten sind und Topathleten noch seltener begnadete Darsteller. Doch in den vergangenen Jahren ist die Auswahl gelungener Filme immer größer geworden: Die SZ-Sportredaktion stellt 22 von ihnen vor und kürt damit die - höchst subjektiven - 22 besten. Diesmal Platz 17: "The Wrestler".

Wie jedes halbwegs ernst zu nehmende Sportdrama handelt Darren Aronofskys "The Wrestler" (2008) nur vordergründig von Sieg oder Niederlage. Randy "The Ram" Robinson ist ein Verlierer, so viel ist von Anfang an klar. Die sonnengelbe Farbe seines Haars ist ebenso falsch wie sein Kampfname, das Herz dieses "geilen Rammbocks" hat den ersten Infarkt hinter sich, in seinem Ohr steckt eine Hörhilfe. Seine große Zeit - oder was er dafür hält - ist lange vorbei.

In den 1980ern war er ein Star der Showringkampfbranche. Zwanzig Jahre später steht Robin Ramzinski hinter der Delikatessentheke eines Supermarkts, die blondierte Mähne unter eine Plastikhaube gestopft, und schaufelt Käsesalat in Plastikbecher. In miefigen Provinzturnhallen prügelt er sich immer noch für ein paar Dollar, um den Wohnwagen-Stellplatz bezahlen zu können. Mit der Stripperin Cassidy (Marisa Tomei), seiner einzigen echten Bezugsperson, philosophiert er über Hair-Metal-Bands, die untergegangen sind wie seine Träume. Für seine Tochter (Evan Rachel Wood), um die er sich nie gekümmert hat, ist er ein verantwortungsloser Arsch.

"Ich habe immer versucht, so zu tun, als ob du nicht existierst, aber ich kann nicht. Du bist mein Mädchen, mein kleines Mädchen", sagt er, als er einen letzten unbeholfenen Anlauf nimmt, um wenigstens dieses zertrümmerte Verhältnis zu kitten. Was ihn dazu treibt, ist weniger späte Vaterliebe als der Mut der Verzweiflung. "Ich bin ein altes, zermatschtes Stück Fleisch. Und ich bin allein. Und ich verdiene es, ganz allein zu sein. Ich will nur nicht, dass du mich hasst." Die Vergangenheit kann weh tun, das weiß er. "Aber so wie ich es sehe, kannst du entweder davor weglaufen. Oder du lernst daraus." Ohne zu viel zu verraten: Robinson hat nichts daraus gelernt. Auch seine Tochter wird er verlieren.

Rourkes schauspielerische Bravour

Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte der trostfreien Art. Es ist die Geschichte von Mickey Rourke. Rourkes Darstellung dieses White-Trash-Antihelden ist pure Selbstreflexion: gefeierter Hollywood-Star in den Achtzigern, Möchtegern-Boxer in den Neunzigern, Lachnummer mit verbeulter Visage in den 2000ern. Rourke, zur Drehzeit Mitte fünfzig, verkörpert dieses klobige Wrack mit der Zartheit und Würde eines in die Jahre gekommenen Kämpfers, der weiß, dass es vorbei ist, und trotzdem nicht aufgibt.

Angeblich sollte eigentlich Sylvester Stallone die Rolle des "Ram" Robinson spielen. Die Parallelen zu dessen Leinwand-Alter-Ego Rocky Balboa sind augenfällig: Ehemaliges Sportidol kämpft sich mehr schlecht als recht durchs Leben, fällt hin, steht wieder auf, fällt wieder hin. "Der Punkt ist nicht, wie hart einer zuschlagen kann, es zählt bloß, wie viele Schläge er einstecken kann und trotzdem weitermacht", sagt Stallone in "Rocky V" (nebenbei bemerkt: nicht sein bester Film).

Gedreht wurde "The Wrestler" zu großen Teilen in Philadelphia, der Stadt, aus deren Prekariat sich der "italienische Hengst" Balboa nach oben arbeitet - um am Ende, vom Leben und dessen vielen kleinen Toden gezeichnet, doch nur wieder dort anzukommen. Stallone hatte seiner Figur 2006 in "Rocky Balboa" aber gerade erst einen angemessenen Abgang von der großen Leinwand verschafft (der später durch die "Creed"-Filme getoppt wurde). Waren wohl ein paar Parallelen zu viel.

Aronofskys "Wrestler" setzt am selben Punkt an. Was ihn deutlich unterscheidet, ist Rourkes schauspielerische Bravour. Er verleiht diesem Drama um das verlorene Paradies der Jugend glaubhaft Tiefe und eine überwältigende Wucht. Wenn er in der letzten Einstellung vom obersten Ringseil springt, weiß er, dass die Landung brutal sein wird. Es ist die Tragik eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat. Es ist wie in diesem Song der Metal-Band Cinderella: "Don't know what you got (till it's gone)".

"The Wrestler - Ruhm, Liebe, Schmerz" (The Wrestler), 2008, Regie Darren Aronofsky

Bereits erschienene Rezensionen:

Platz 22: "Free Solo"

Platz 21: "Rush"

Platz 20: "Die nackte Kanone"

Platz 19: "Slap Shot"

Platz 18: "Foxcatcher"

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