Süddeutsche Zeitung

Testspiel Deutschland gegen Italien:Sauhunde und falsche Neuner

Bundestrainer Löw will beim Testspiel gegen Italien den Ernstfall proben und experimentiert nach den Ausfällen von Klose und Gomez mit einer Formation ohne gelernten Angreifer. Lothar Matthäus hat seine ganz eigene Meinung dazu.

Von Thomas Hummel

Lothar Matthäus muss sich wohl keine Sorgen mehr machen. Sein Rekord von 150 Länderspielen wird das Jahr 2014 mit ziemlicher Sicherheit überstehen, und Rekorde sind einem Mann wie Lothar Matthäus sicher wichtig. So bleibt man im Gespräch. Jetzt durfte er der Zeitung Express in Köln ein Interview geben, in dem er einen neuen Typus Fußballer entwarf: den Sauhund.

In Erinnerung an die Niederlage im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 gegen Italien sagte Matthäus: "Einer hätte dem Balotelli zeigen müssen: Jetzt hast du uns zweimal verarscht, jetzt ist es vorbei! Das haben wir uns aber irgendwie gefallen lassen." Das habe eine deutsche Mannschaft zu seiner Zeit anders gehandhabt, "nicht nur ich, auch Typen wie Rudi Völler. Da waren einige Sauhunde drin. Da musst Du dir eine gelbe Karte einhandeln, um ein Zeichen zu setzen." Der Führungsspieler- und Leitwolf-Debatte fügt Matthäus nun die Sauhund-Diskussion hinzu.

Ob Miroslav Klose je die Ambition hegte, ein Sauhund zu werden, darf bezweifelt werden. Es ist nicht einmal klar, ob er einen Reiz verspürt, diesen Lothar Matthäus vom Thron der Länderspiel-Statistik zu stoßen. Sollte er diesen Plan je verfolgt haben, muss er ihn nun wohl endgültig abschreiben, denn Klose ist verletzt und fehlt für die beiden Testspiel-Klassiker am Freitag in Mailand und am Dienstag in London. Wirkt Klose bei allen weiteren vermutlich vier Testspielen vor der WM mit und käme die deutsche Mannschaft in Brasilien ins Finale, kommt er doch nur auf 141 Länderspiele.

Der dann 36-Jährige könnte anschließend freilich zu einer Matthäus-Kopie mutieren - und einfach weitermachen. So wie das Vorbild mit 39 Jahren auf der damals schon ausgestorbenen Position des Liberos die EM 2000 spielte, könnte Klose auf der dann vermutlich ausgestorbenen Position des Mittelstürmers die EM 2016 bestreiten.

Bundestrainer Joachim Löw beschäftigt sich bereits jetzt mit der Frage, wie ein Spiel trotz Stürmermangels zu bestreiten ist. Denn mit Miroslav Klose und Mario Gomez fallen die Stürmer Nummer eins und zwei weiterhin aus. Gomez fehlt nach einer Knieverletzung seit Wochen, besuchte die Nationalmannschaft in München zwar, absolvierte aber nur Lauftraining. Klose fiel bei einem Spiel seines Klubs Lazio Rom am Wochenende gegen Parma nach einem Foul so unglücklich hin, dass er nun ebenfalls nicht dabei ist. "Miro Klose wird die beiden Spiele nicht mitmachen können. Er hat sich am Schulterband verletzt. Das ist sehr schmerzhaft. Nach ersten Prognosen wird er zwei bis drei Wochen ausfallen", sagte Löw. Klose werde zunächst in München bleiben und sich von den DFB-Ärzten behandeln zu lassen.

So wird mindestens in einem Spiel der Mönchengladbacher Neuling Max Kruse seine nächste Chance als variabler Mittelstürmer erhalten. "Es ist im Training immer eine Freude, ihn zu sehen", lobte Löw fast überschwänglich. Vor allem Kruses Bewegungsabläufe und Abschlussstärke beeindrucken den Bundestrainer. Doch der 25-Jährige hat eben noch keine 130, sondern erst fünf Länderspiele bestritten und galt bislang als Notlösung in vorderster Linie.

Weil der Stürmermarkt im deutschen Fußball sonst nicht viel hergibt und der Stuttgarter Timo Werner mit seinen 17 Jahren doch zu jung ist, experimentiert Löw bekanntermaßen mit einer Formation ohne gelernten Angreifer. Die taktische Idee lieferte Carlos Alberto Parreira auf einer Trainersitzung in Rio de Janeiro 2003, als der WM-Trainer Brasiliens von 1994 das 4-6-0-System beschrieb und als revolutionären Schritt predigte. Inzwischen ist Spanien mit einer ähnlichen Formation Europameister geworden und der FC Barcelona unter Trainer Pep Guardiola hat die "falsche Neun" für Lionel Messi erfunden.

Löws Präferenz für die falsche Neun liegt auf Mario Götze. "Marco Reus und Andre Schürrle sehe ich als Außenspieler. Thomas Müller kann auch im Zentrum spielen, ist aber außen noch wertvoller", erklärte Löw. Also darf sich Götze auf einen Einsatz im Angriffszentrum freuen, ob gegen die bekannt giftigen italienischen Verteidiger oder gegen die eher als rustikal beschriebenen Engländer, das wusste Löw noch nicht.

Der Bundestrainer beschrieb die Italiener nochmals als "clever und abgebrüht", was eher dem leicht durchtriebenen Stürmertyp Kruse zupass kommen würde. Auch dem Matthäus'schen Sauhund-Gedanken käme der Mönchengladbacher näher als der mitunter verspielte Götze. Doch wie es am Freitag in Mailand auch immer kommt, allzu sicher sein darf sich ohnehin niemand. Aus Italien ist zu vernehmen, die Gastgeber würden den Testkick nicht sehr ernst nehmen. Sie wollen sich die Deutschen erst wieder vornehmen, wenn es richtig um was geht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1817759
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/hum/schma
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.