Süddeutsche Zeitung

Terror und Sport:Warum die Spiele weitergehen müssen

Für Großveranstaltungen gibt es keinen absoluten Schutz, sie sind leicht und sehr verletzbar. Trotzdem muss alles versucht werden, dass im Sommer 2016 in Frankreich die Fußball-EM ausgetragen werden kann.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

War der Fußball ein direktes Ziel? Oder nur ein Medium? Ein Verstärker für die Nachrichten des Schreckens aus Paris?

Die Ermittlungen müssen zeigen, ob die Attentäter mit Sprengstoffgürteln bis ins Stadion dringen wollten. Oder ob es ihnen genügte, vor den Toren zu lauern und dort die Aufmerksamkeit der Welt herbei zu bomben. Mit dem Länderspiel Frankreich - Deutschland als der Kulisse für die Ikonografie des Terrors. Für die zynischen Bilder aus dem Zentrum der Stadt. Jedenfalls wäre es für entschlossene Attentäter ein Leichtes gewesen, sich irgendwo unter die 80 000 Zuschauer einzureihen. Auf dem Hinweg, auf dem Rückweg, für Großveranstaltungen gibt es keinen absoluten Schutz, Großveranstaltungen sind so leicht und so sehr verletzbar.

München 1972 war der folgenreichste Terror-Anschlag

Deswegen ist es so schwer, für solche Ereignisse in die Verantwortung zu treten. Ihre Durchführung zu riskieren. Und deshalb haben die Debatten längst begonnen, rund um die Frage, ob die Fußball-Europameisterschaft, die im Sommer 2016 im tief erschütterten Frankreich zur Austragung kommen soll, für jene, die sie besuchen wollen, sicher sein kann. Die Frage drückt nicht erst seit dieser schwarzen Freitagnacht vor dem Stadion, sondern spätestens seit dem Anschlag im Januar 2015 auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Der Anschlag am Stadion hat die Ängste im Hinblick auf das Turnier konkretisiert.

Für solch gigantische Ereignisse wie eine EM gibt es keine absolute, allenfalls eine relative Sicherheit. Die auch darauf Bezug nimmt, dass bei den großen Sport-Veranstaltungen der Vergangenheit, vor denen die Terrorangst stets ein Thema war, gemessen an den Befürchtungen vergleichsweise wenig passiert ist. Bis heute blieb die Geiselnahme im Olympischen Dorf bei den Spielen 1972 in München mit 17 Toten der folgenreichste Anschlag.

Mehr als zwei Jahrzehnte danach, bei den Spielen 1996 in Atlanta, deponierte ein Verwirrter, der Aktivist einer Terrororganisation namens "Army of God" war, einen Sprengsatz in einem Papierkorb des Olympiaparks - zwei Menschen starben, 111 wurden verletzt. 2010 wurde beim Africa-Cup in Angola ein Anschlag auf den Bus der Fußball-Auswahl von Togo verübt, bei dem drei Menschen ums Leben kamen.

Jedoch schien es stets noch eine imaginäre Hemmschwelle zu geben. Denn der Kern, der Sport selbst, wurde bei diesen Attentaten nicht massiv attackiert. Bis zum Mai 2013, bis zum Boston-Marathon, bei dem es zu einem Novum kam: Vier Stunden nach dem Start wurden direkt vor dem Zielraum zwei Bomben gezündet - drei Menschen starben, mehr als 260 wurden verletzt. Der Bombenleger Dschochar Zarnajew hatte ins Herz gezielt.

"The Games must go on" - diesen Satz, der in allen Krisenlagen des Sports zitiert wird, sprach IOC-Präsident Avery Brundage kurz nach dem Palästinenser-Attentat auf die israelische Mannschaft 1972 in München. Nach einer Rücksprache mit Israels Botschafter und einem Tag Pause ging es weiter. Viele haben das bis heute nicht verstanden.

Nichts darf sich die Gesellschaft durch Gewalt aufzwingen lassen

Reinhard Rauball, der Interimschef des Deutschen Fußball-Bundes, hat nun mit zu entscheiden, ob trotz einer Welt im Schockzustand an diesem Dienstag in Hannover das Testspiel der Nationalelf gegen die Niederlande angepfiffen wird. Er argumentiert heute kaum anders als jene, die damals in München zu entscheiden hatten: Man dürfe der Gewalt nicht weichen, dürfen jenen, die die Tat verübt haben, nicht auch noch den Triumph der Absage lassen. Auch wenn zuvor schon gewiss ist, dass die Darsteller, die Schweinsteigers, Müllers und Podolskis, einen emotionalen Zwiespalt nicht werden überbrücken können: Pietätvoll zu trauern und beflissen zu spielen.

Das Resultat wird Nebensache sein. Wie auch kaum jemand weiß, dass bei Abpfiff des Länderspiels Frankreich - Deutschland am Freitag ein 2:0 auf der Tafel im Stade de France stand. An jenem Ort, an dem im Juli 2016 das Finale der Europameisterschaft stattfinden soll. The Games must go on?

Es ist richtig, dass alles versucht wird, dass im Sommer 2016 im schwer verletzten Frankreich eine Europameisterschaft ausgetragen werden kann. Niemals darf sich die freie, aufgeklärte Gesellschaft gewaltsam diktieren lassen, worin sie Ablenkung, Zuspruch und Vergnügen sucht. Aber es wird ein harter Weg werden, dieses Turnier zu sichern. Denn der Fußball lockt die Massen. Massen, für die es keinen absoluten Schutz gibt. Massen, die Bilder liefern, die sich schrecklich leicht missbrauchen lassen.

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SZ vom 15.11.2015/fued
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