Ter Stegen in der Kritik:Otto fliegt am Ball vorbei

Club Atletico de Madrid v FC Barcelona - La Liga

Zu passiv? Barelonas Torhüter Marc-André ter Stegen kann den Schuss von Atleticos Fernando Torres nicht abwehren.

(Foto: Getty Images)
  • Barcelona diskutiert über den deutschen Torwart Marc-André ter Stegen, der sich plötzlich Schwächen leistet.
  • Die Fürsprachen sind inzwischen weniger mächtig.
  • Auch Rivale Claudio Bravo stichelt.

Von Javier Cáceres

Es ist aus Gründen der psychischen Hygiene in Ordnung, dass Marc-André ter Stegen keine chilenischen Medien konsumiert; nicht zuletzt, weil sie vor Chauvinismus triefen. Das ist auch der Grund dafür, dass ter Stegen am anderen Ende der Welt so schlecht wegkommt: Der deutsche Torwart steht beim FC Barcelona in direkter Konkurrenz zum chilenischen Nationalkeeper Claudio Bravo.

In der vergangenen Saison war der Arbeitsplatz bei Barça gesplittet worden: Bravo hielt in der Liga (0,5 Gegentore pro Partie), ter Stegen in Champions League (0,76) und Pokal (0,62) - und nun, als sich gerade andeutete, dass sich diese Arbeitsteilung in dieser Saison wiederholen würde, verletzte sich Bravo an der Wade. Umso kritischer beäugt Chiles Presse nun die Flugdienste des "Otto", wie Deutsche in Chile gern genannt werden: Sie notiert nicht nur alle Gegentore, die ter Stegen kassiert hat, bislang elf in fünf Spielen. Sie wirft ihm auch vor, sich einige "Condoritos" geleistet zu haben: tölpelhafte Flugeinlagen.

Im Stile eines Liberos

Aber ob das in allen Fällen stimmt? Einig ist sich die Fachwelt da nicht. Das liegt auch daran, dass das Anforderungsprofil an einen Keeper bei einer so offensiven Elf wie dem FC Barcelona mit den klassischen Aufgaben eines Torwarts nicht mehr viel gemein hat. Ein Barça-Torwart muss möglichst nahe an der letzten Verteidigungslinie stehen, im Stile eines Liberos Pässe in den Rücken der Abwehr abfangen, als Anspielstation zur Verfügung stehen, sich also ins Passspiel einfügen - und so hyperkonzentriert sein, dass er die wenigen Bälle, die dann doch aufs Tor kommen, auch fängt. Womit man wieder bei ter Stegens angeblichen "Condoritos" wäre.

Grundsätzlich gilt, dass jeder Ball zumindest theoretisch haltbar ist. Die Fläche, die ein menschlicher Körper abdeckt, ist größer als der Ball, es ist also nur eine Frage der Raumgeometrie bzw. des Stellungsspiels des Torwarts. Bei Barças 2:1-Sieg bei Atlético Madrid wurde ter Stegen angelastet, beim Führungstor durch Fernando Torres zu passiv gewesen zu sein; statt den Winkel zu verkürzen, harrte er zu lange aus.

Heftiger waren die Debatten nach dem Champions-League-Spiel beim AS Rom. Ter Stegen stand so weit vorm Tor, wie ein Kondor hoch fliegt; Romas Florenzi sah's und jagte den Ball aus mehr als 50 Metern Entfernung über ter Stegen hinweg von der rechten Außenlinie an den linken Innenpfosten: Tor!

Unglückliche Selbstverteidigung

Es war einer dieser Treffer, bei denen auch der beste Torwart eigentlich nur applaudieren kann; das Problem war nur, dass ter Stegen schon beim spanischen Supercup-Hinspiel gegen Athletic Bilbao (0:4) ein Tor aus 50 Metern kassiert hatte. Da half nur wenig, dass ihm Trainer Luis Enrique ("das Tor geht auf meine Kappe; ich sage ihm, dass er so weit vorm Tor stehen muss") und sogar Konkurrent Bravo beisprangen: "Ein Torwart bei Barça muss solche Risiken eingehen."

Jetzt aber, bei ter Stegens jüngstem "Condorito", waren die Fürsprachen schon weniger mächtig. Im Spiel gegen Levante (4:1) war ter Stegen nach einer kurz ausgeführten Ecke an einem Flankenball vorbeigeflogen. Statt die Schuld auf sich zu nehmen, sprach er davon, dass Zuordnungen nicht gestimmt hätten und der Weg zum Ball durch zu viele Leute versperrt war.

"Wir Torhüter sind Dickhäuter", sagt Konkurrent Bravo

Diese unglückliche Selbstverteidigung verstärkte das Bild eines zu selbstsicheren Torwarts, der aus Überschätzung zu unnötigen Risiken neigt. Andererseits wird in Barcelona positiv registriert, dass er gefestigt genug ist, an Fehlern nicht zu knabbern. "Wir Torhüter sind Dickhäuter", sagte auch Bravo gerade und wollte das - angeblich - anerkennend auf ter Stegen gemünzt wissen. Ob das stimmt?

Im Sommer war zu beobachten, dass der hyperehrgeizige ter Stegen seinen Urlaub verkürzte, um zu dokumentieren, dass er ab sofort in allen drei Wettbewerben im Tor stehen will. Der lässige Bravo hingegen ("Ich brauche die Erholung!") kostete den Urlaub demonstrativ aus und überließ es seiner Ehefrau, ter Stegen via Twitter zu triezen: "Mein Mann geht nicht nach Barcelona, um sich auf die Bank zu setzen." Angeblich versuchte ter Stegen, Bravo in der Kabine zur Rede zu stellen, eine mittelprächtige Idee. Am Dienstag trainierte Bravo schon wieder mit, und auch wenn es noch nicht reichen wird für das Spiel am Mittwoch bei Celta de Vigo, so überfliegt er ter Stegens Nest im Stile eines Kondors: stets die Condoritos im Blick.

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