Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen:In der spanischen Rotationsfalle

Barcelona's goalkeeper ter Stegen throws the ball to his team mates during their Champions League Group F soccer match against Paris St Germain at the Parc des Princes Stadium in Paris

Noch gilt Marc-André ter Stegen nur als große Zukunftshoffnung beim FC Barcelona.

(Foto: REUTERS)

Marc-André ter Stegen ging mit großen Erwartungen zum FC Barcelona - doch spielen darf er nur in der Champions League. Dort unterläuft ihm auch noch ein grober Fehler. Rückhalt vom Trainer kann er nicht erwarten.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Wie ein Hampelmann hing er in der Pariser Herbstluft, Beine und Arme weit abgespreizt, den Kopf leicht gedreht. Für einen Torwart in Aktion ist das ja eine durchaus passende, dynamische Haltung, im Handball wie im Fußball. So lässt sich der Winkel des Angreifers verengen, so verschließt man eine ganze Menge Löcher im Tor. Oft wenigstens. Diesmal nicht.

Alle spanischen Zeitungen zeigten dieses Bild von Marc-André ter Stegen in der Hampelmann-Pose, in der 27. Minute des Champions-League-Spiels seines FC Barcelona beim französischen Meister Paris Saint-Germain - als sei dieses Bild die beste Illustration für den verpatzten Auftritt der Katalanen: Ecke für Paris, eng aufs Tor gezogen, hinterer Pfosten.

Die ersten Gegentore der Saison

Ter Stegen konnte sich in der entscheidenden Sekunde nicht entscheiden, ob er den Ball aus der Luft greifen oder auf seine Vorderleute vertrauen soll. Er machte halb-halb, timte schlecht, der Hampelmann hing im gefährlichen Nichts. Der Ball fand den Weg ins Tor - mit dem Kopf hineinbefördert von einem Italiener, dem klein gewachsenen Marco Verratti, 1,65 Meter, den sie in der Heimat liebevoll "Verrattino" nennen und der nur sehr selten Tore schießt. Dieses zwischenzeitliche 2:1 war gar Verrattis erstes Tor, seit er für Paris spielt, in bald zweieinhalb Jahren. Eine Sensation also.

Das machte es umso bitterer für Marc-André ter Stegen. PSG gewann - ohne die Topspieler Ibrahimovic und Thiago Silva - überraschend 3:2, Barça verlor nicht nur sein erstes Spiel, es kassierte auch die ersten Gegentore der Saison. Und obwohl der junge deutsche Torhüter nicht alle Schuld trug, merkte die Zeitung Sport ernüchtert an: "Von einem Torhüter Barças erwartet man, dass er auch mal etwas scheinbar Unhaltbares hält." Oder mal einen gefährlichen Querpass antizipiert, den Gefahren sicher entgegenfliegt. Ter Stegen aber gelang keine Glanztat.

Noch gilt der frühere Mönchengladbacher in Barcelona nur als große Zukunftshoffnung. Die Gegenwart aber würden viele lieber anderen Händen überlassen. Als Barça ter Stegen nach langen Verhandlungen für zwölf Millionen Euro verpflichtet hatte, hatte es den Anschein, als setze ein reiflich überlegter Generationswechsel ein. Der Deutsche sollte Victor Valdés beerben, der seine ganze Karriere für den Verein gespielt hatte, auch während der titelreichen Ära mit Pep Guardiola.

Der Sportchef Barcelonas, die baskische Torwartlegende Andoni Zubizarreta (126 Länderspiele), ließ ter Stegen über Jahre beobachten. Es hieß, er passe zu Barça, sei stark mit den Füßen und stark auf der Linie, den Rest werde er lernen. Zur Begrüßung sagte Zubizarreta: "Ter Stegen wird in dieser Saison die '1' tragen." Es hörte sich wie eine sichere Wette an. Der Mann ist ja vom Fach.

"Keiner der drei ist gesetzt"

Was dann aber geschah, mutet rätselhaft an. Barça engagierte auch noch Claudio Bravo, den Torhüter von San Sebastián und Chile, der gerade eine bemerkenswerte WM gespielt hatte - ebenfalls für zwölf Millionen Euro. Und dieser Bravo, 31 Jahre alt und mit dem Ruf eines soliden Schlussmanns ohne Firlefanz, erklärte, er gehe fest davon aus zu spielen. Jedenfalls sah er sich nicht als gefügige, geduldige Nummer zwei hinter dem Jungstar.

Aus dem Nachwuchsteam, Barça B, wurde zudem Jordi Masip in den Kader der ersten Mannschaft befördert, und auch der rechnete sich gute Chancen auf Einsätze aus. Dem neuen Trainer, Luis Enrique, gefiel dieses Konkurrenzdenken offenbar ganz gut, zum Saisonbeginn sagte er: "Keiner der drei ist gesetzt, jeder hat 33 Prozent Chancen."

Nur in der Champions League steht ter Stegen im Tor

Es ist nicht überliefert, ob sich ter Stegen in dieser Phase auch mal gefragt hat, ob dieser Transfer in die Ferne der richtige Schritt war, ob er sich von der Liebe des Gladbacher Publikum nicht vorschnell entfernt hat. In der Saison-Vorbereitung war er zudem verletzt, in der Meisterschaft spielt seither immer Bravo - noch immer ohne Gegentor. Ter Stegen steht nur in der Champions League im Tor, Masip wird wohl im Pokal zum Zug kommen.

Rotation auf der hintersten Position: Was es früher nur selten gab, ist in Spanien zur Mode ausgewachsen. Alle drei großen Vereine pflegen sie, auch Real und Atlético Madrid. Die Torhüter sind, und hier passt das Bild in einem anderen Sinn, zu Hampelmännern geworden - vom Trainer nach Belieben und vielleicht auch nach Publikumsreaktionen bedient. Unterläuft einer einen Eckball, bangt er schon um seinen Platz.

Nun laufen erste Debatten in der Angelegenheit: Bekommt dieses ständige Rotieren der Individualistenrolle? Oder ist festes Vertrauen in diesem spezifischen Fall nicht förderlicher?

Ter Stegen scheint nach dem Pariser Abend erst mal schlechte Karten zu haben. Dabei verlor Barça gegen PSG über 60 Bälle im Mittelfeld, eine ungeheuerliche Quote für dieses Künstlerensemble. Da flatterten also Gleichgewicht und Herz gewaltig, ohne Verschulden des Torwarts. Auf den Flanken waren die Außenverteidiger Jordi Alba und Dani Alves mal wieder so sehr mit Stürmen beschäftigt, dass sich den Parisern hinten Einfallstore öffneten.

Und die Schwäche Barças bei gegnerischen Standards ist auch nicht neu. Wäre dem Torwart eine Glanzparade geglückt, eine dieser vermeintlich unmöglichen Rettungsaktionen, wäre er jetzt ein Held. So ist er ein Hampelmann.

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