Süddeutsche Zeitung

Tennisturnier in Hamburg:Getöse und Kindergebrüll für Tommy Haas

Zu Olympia darf er nicht - obwohl Tommy Haas derzeit sein bestes Tennis spielt. Beim Heimturnier am Hamburger Rothenbaum bezwingt er im Viertelfinale Florian Mayer eindrucksvoll in zwei Sätzen, ist nach Philipp Kohlschreibers Niederlage der letzte Deutsche im Feld und träumt vom Titel. Mayer hingegen liefert eine denkwürdige Pressekonferenz.

Carsten Eberts, Hamburg

Tommy Haas zeigte seinen Bizeps. Zwei, drei Mal reckte seine Faust in die Luft, als er sich den Applaus des Hamburger Publikums abholte. Starke Vorstellung, wollte er damit sagen, nach seinem Viertelfinalsieg am Freitagnachmittag gegen Florian Mayer. Das Publikum sah es ähnlich. Es johlte, applaudierte im Stehen, bis auch der Stadionsprecher sagte: "Tommy, starke Vorstellung."

Gerade einmal fünf Spiele gab Haas ab, 6:1 und 6:4 hieß es am Ende in einem sehr einseitigen deutschen Duell. Der 34-Jährige spielt derzeit wohl sein bestes Tennis. In einem Alter, von dem Haas selbst nicht dachte, dass er dann noch seinem Sport nachgeht. "Ich bin selbst sprachlos, wie konstant und gut ich heute gespielt habe", erklärte Haas verblüfft, "früher dachte ich, wenn man 30 ist, ist die Karriere vorbei." Jetzt steht er im Hamburger Halbfinale. Zum ersten Mal seit 1997.

Hamburg ist Tommy-Haas-Land, daran bestand auch an diesem Nachmittag wenig Zweifel. Ganz in der Nähe der Tennisanlage am Rothenbaum wurde er geboren, nirgendwo sonst schwappt Haas eine derartige Euphoriewelle entgegen, wenn er gegen die kleine gelbe Filzkugel drischt. Mayer hatte vor dem Spiel generös erklärt, das Getöse und Kindergeschrei um seinen Gegner störe ihn nicht. Haas habe schließlich ein ganz anderes Standing in Deutschland - und habe sich diesen Rang auch verdient.

Es störte Mayer doch - und wie. Er spielte schlecht, richtig schlecht, und lieferte nach dem Spiel eine denkwürdige Pressekonferenz ab. Er wolle gar nichts sagen, erklärte Mayer zunächst, lehnte sich gelangweilt zurück, schmollte auf seinem Stuhl. Dann sagte er doch etwas: Dass ihn sein eigenes Spiel ankotze. Dass er irgendwann an einem Punkt angekommen sei, wo ihm alles egal war. "Das war peinlich heute, das ist mir bewusst", sagte Mayer, "das war unterirdisch. Es gibt solche Tage, bei mir leider häufiger als bei anderen."

Jeder hatte zuvor gesehen, dass Haas und Mayer zwei grundsätzlich verschiedene Spielertypen sind. Während sich Haas auch mit Mitte 30 immer noch behende ins Spiel rauft, mit dem Stuhlschiedsrichter diskutiert und sich so auf Betriebstemperatur motzt, ist Mayer eher der stille Stratege. Der zu Boden blickt, wenn ihm ein Ball misslingt (was sehr oft geschah). Und viel zu schnell den Kopf hängen lässt.

Haas hingegen fand ausgesprochen gut ins Spiel, und dass, obwohl zunächst kaum ein erster Aufschlag im dafür vorgesehenen Feld landete. Er breakte Mayer zweimal, setzte einige Bälle krachend auf die Linie, gewann den ersten Satz locker 6:1. Mayer fiel höchstens durch seine spektakulär vergebenen Volley- und Schmetterbälle auf. Und durch seine hängenden Schultern. Vielleicht wäre das Match anders verlaufen, hätte Mayer beim Stand von 1:0 und 40:15 zu Beginn des zweiten Satzes einen seiner beiden Breakbälle genutzt.

Doch wieder machte Haas die wichtigen Punkte. In der wohl kritischsten Phase, beim Stand von 3:4, half ihm sogar das Publikum: Sein Kinderfanclub in den oberen Rängen forderte lautstark ein Ass, Haas schlug sofort ein Ass, von der Tribüne plärrte es glockenhell herunter: "Danke, Tommy!" Haas verlor fortan kein Spiel mehr. Und holte den zweiten Satz 6:4.

Haas' formidable Spätform in diesem Tennissommer ist natürlich eine spezielle Pointe für das verbandsinterne Hickhack, das den derzeit wohl besten deutschen Profi in den vergangenen Wochen in den Mittelpunkt rückte. Haas war vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nicht für das olympische Tennisturnier in London nominiert worden; und das, obwohl er im Finale Rasenturniers von Halle immerhin den Weltranglistenersten Roger Federer bezwungen hatte.

Haas sprach von einer "top-peinlichen" Angelegenheit, gar von einer "Schande", DOSB-Chef Thomas Bach erklärte knapp, der Spieler hätte die Leistungskriterien bis zum Stichtag am 11. Juni nicht erfüllt. Erst danach gewann Haas das Turnier in Halle. Der DOSB hätte eine Ausnahme machen müssen. Tat dies aber nicht.

Philipp Kohlschreiber ist vom DOSB für Olympia nominiert worden, in Hamburg ist sein Turnier aber beendet: Der 28 Jahre alte Augsburger musste sich erwartungsgemäß dem an Nummer eins gesetzten Spanier Nicolas Almagro mit 5:7, 5:7 geschlagen geben. Bereits im vergangenen Jahr war Kohlschreiber an Almagro gescheitert. dieser trifft in der Runde der letzten Vier auf Juan Monaco aus Argentinien. "Er hat sehr gut gespielt und ich musste viel kämpfen", sagte Kohlschreiber, "ich hatte meine Chancen, aber er hat in den entscheidenden Phasen die besseren Entscheidungen getroffen."

Tommy Haas verlor am Freitag kein Wort mehr über die strittige Olympia-Entscheidung. Er ist nun der letzte Deutsche im Turnier und hat noch viel vor, am Samstag trifft er im Halbfinale auf den Kroaten Marin Cilic. "Ich bin jetzt 34 und stehe im Halbfinale", sagte Haas. Dann ging er zurück zu seiner Familie, die ihn beim Heim-Turnier in Hamburg die ganze Woche über begleitet: "Vielleicht ist es mein letztes Mal hier, deshalb genieße ich das."

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