Annika Beck ist mit ihrer netten, unkomplizierten Art beliebt, sie hat das erst Ende September wieder gespürt, wie viele sie mögen, als sie nur eine Mininachricht ins Internet stellte. Da führte sie aus, dass sie sich auf ihrer Asien-Reise erkältet und den Magen verstimmt hatte, sie hatte sich sogar auf dem Platz übergeben müssen. "China war diesmal nicht ganz mein Fleckchen Erde", teilte sie erfrischend ehrlich mit und fügte an: "Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein."
Daraufhin wurde Beck mit Genesungswünschen überhäuft. Dass die Anteilnahme an ihrem jüngsten Schicksal nicht geringer ausfiel, sondern sogar eine neue Steigerung erfuhr, ist somit wenig überraschend. Auf Becks Tiefpunkt 2014 folgte nur drei Wochen später ihr Höhepunkt 2014. Annika Beck aus Gießen gewann am Samstag in Luxemburg ihr erstes Tennisturnier auf der Frauentour WTA. Eine der ersten, die online gratulierten, wie das inzwischen üblich ist, war Barbara Rittner, die deutsche Fed-Cup-Teamchefin, die nach Becks 6:2, 6:1-Finalerfolg gegen die favorisierte Tschechin Barbora Zahlavova Strycova meinte: "Bravo. Die harte Arbeit zahlt sich aus."
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Abitur mit 17
Daraus abzuleiten, Beck habe Chancen, doch noch in den Kader fürs Finale im bedeutsamsten Mannschaftswettbewerb zu gelangen, wäre allerdings nicht ganz korrekt, Rittner hat anklingen lassen, dass sie neben den gesetzten Angelique Kerber und Andrea Petkovic noch zwei aus dem Trio Julia Görges, Anna-Lena Grönefeld und Sabine Lisicki auswählen wird. Und doch nimmt die Teamchefin natürlich erfreut den größten Einzelerfolg Becks zur Kenntnis, erst vergangene Woche hatte sie die 20-Jährige gelobt und betont, sie gehöre zur neuen Generation, die "Druck macht", die "aufrückt" und auf deren Leistungen sie sich freue.
Rittner zählte dabei auch Anna-Lena Friedsam, 20, auf, die kürzlich in Linz erstmals ein Halbfinale erreichte, sowie Carina Witthöft, 19, die schon 100. der Weltrangliste ist und gerade bei den kleineren ITF-Turnieren im Torpedotempo von Erfolg zu Erfolg eilt.
Beck nähert sich mit Rang 54 nun wieder den Top 50, in die sie im Frühjahr als 43. bereits hineingerutscht war. Schon im Vorjahr stand sie im Finale in Luxemburg, wo sie noch der Dänin Caroline Wozniacki unterlag, nun kassiert sie 43 000 Dollar und erhöht damit ihr erspieltes Preisgeld seit ihrem Profistart 2009 auf gut 900 000 Dollar. Eine Zahl, die verdeutlicht, wie sehr Beck tatsächlich direkt hinter den namhafteren Fed-Cup-Kolleginnen lauert, sie wird eben nur außerhalb der Tennisszene noch nicht so wahrgenommen.
Dabei hat sie bereits einige schöne Erfolge zu verzeichnen, 2012 war sie die Jüngste in den Top 100, gewann die Juniorinnen-Konkurrenz bei den French Open und auch die deutsche Meisterschaft bei den Erwachsenen. Mit ihren Aufschlägen erzielt die 1,70 Meter große Kämpferin eher keine Geschwindigkeitsrekorde wie Sabine Lisicki, sie referiert auch eher nie über Nietzsche wie die belesene Andrea Petkovic, sie erhält auch kaum Aufträge für Fotoshootings wie Julia Görges. Beck geht eben ohne Nebengeräusche ihren Weg, dafür stets konsequent.
In der Schule übersprang sie eine Klasse, schloss mit 17 Jahren das Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,4 ab. Sie war als Kind überhaupt eher vorbildlich, spielte Geige, tanzte Ballett, ging zur Leichtathletik, zum Schwimmen, doch bündelte sie dann mit elf ihre Energie und konzentrierte sich aufs Tennis, gefördert vor allem von Vater Johannes, einem Chemie-Professor, der dem Sportinformationsdienst nun Annikas Leitmotiv so erklärte: "Wenn es so etwas gibt, dann ist es das uralte Erziehungsprinzip der Antike: mens sana in corpore sano. Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper."
Wie vernünftig Beck ihren Beruf angeht, zeigt sie auch im Umgang mit ihrem Trainer. Seit langen fünf Jahren vertraut sie der Expertise von Robert Orlik, dem sie auch den Luxemburg-Titel widmete. "Annika liebt die Konstanz", sagte Johannes Beck weiter zu dieser Partnerschaft, "für sie ist es wichtig, auch gemeinsam durch Krisen zu gehen."
Die zweifellos noch vorhanden sind. In dieser Saison kassierte Beck 13 Erstrunden-Niederlagen. Eine ernüchternde Bilanz, die angesichts ihrer Leistung in Luxemburg umso mysteriöser wirkt. Denn Beck gab ja keinen einzigen Satz ab, agierte entschlossen und beherrschte ihre Finalgegnerin Zahlavova Strycova (die sich gegen Mona Barthel im Halbfinale glatt durchgesetzt hatte), wobei ihr deren Spielweise sehr entgegenkam. Beck liebt das Kontern, das strategische Austricksen, und die Tschechin, die wahrlich ein gutes Jahr erlebt, griff oft an.
In der Weltrangliste kletterte Zahlavova Strycova auf Rang 31, auch dank ihres Viertelfinals in Wimbledon; auf dem Weg dorthin hatte sie die Australian-Open-Siegerin Li Na sowie Wozniacki besiegt. Zwar ist Luxemburg nicht gerade Wimbledon, mit 250 000 Dollar Preisgeld - Beck darf ihren Erfolg, den sie "einfach aufregend" findet, dennoch vorzeigen.
Und auch wenn sie es diesmal wohl nicht ins Fed-Cup-Team schafft wie 2013, als sie im bedeutungslosen Doppel mit Grönefeld zum Einsatz gegen Frankreich kam (und verlor), wird sie eventuell nach Prag reisen. Rittner hat die Spielerinnen der letzten zwei Jahre eingeladen. "Für mich gehören alle dazu", sagte Rittner, "jede hat ihren Anteil an unserem erfolg reichen Weg." Und er soll ja weitergehen. Beck ist definitiv bereit, mitzuwandern.