Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen gegen Alexander Zverev:Hinter geschlossenem Vorhang

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Die Männer-Spielervereinigung ATP will eine interne Untersuchung durchführen, um die heftigen Vorwürfe gegen Alexander Zverev zu überprüfen - es bleiben dennoch viele Fragen offen. Eine Spurensuche.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Wenn sich im Theater der Vorrang hebt, dann wissen die Leute: Jetzt gibt es was zu sehen! All die Dinge, die vorher verborgen gewesen sind, werden nun im grellen Scheinwerferlicht gezeigt, nichts bleibt mehr im Dunkeln. Das ist auch die Hoffnung in der Tennisszene, seit die ATP, die Vereinigung der männlichen Profis, vergangene Woche verkündete, eine interne Untersuchung durchführen zu wollen im komplizierten Fall der heftigen Vorwürfe der häuslichen Gewalt gegen Alexander Zverev beim Turnier in Shanghai im Oktober 2019.

"Das wird verdammt nochmal Zeit", sagte Zverev vor Beginn des Turniers in Indian Wells (wo er im Viertelfinale gegen den Amerikaner Taylor Fritz ausschied), und das ist richtig: Zwei Jahre sind eine sehr lange Zeit. Sollten die Vorwürfe, wie Zverev sagt, haltlos sein, dann ist seine Reputation viel zu lange beschädigt worden; sollten die Vorwürfe stimmen, dann hätte es zu lange gedauert, bis es deswegen Konsequenzen gibt. Selbst die elf Monate, seit die Vorwürfe zum ersten Mal publik wurden - erst auf dem Instagram-Account des mutmaßlichen Opfers, danach im Tennismagazin Racquet -, sind eine sehr lange Zeit, bis die ATP aktiv wurde.

Das wirft einige Fragen auf, unter anderem: Was werden das für Ermittlungen? Wer führt sie durch? Wer soll dabei gehört werden? Warum wird nur ein Teil der Vorwürfe untersucht? Auf eine SZ-Anfrage an die ATP antwortet diese, dass es derzeit keine Antworten gebe. Die Vereinigung, so scheint es, hat ihren Kopf durch den Vorhang gesteckt und den Leuten mitgeteilt, dass was passieren wird - und dann den Vorhang erstmal wieder zugezogen.

Die Vorfälle sollen sich im offiziellen Spielerhotel ereignet haben. Aber: kein Kommentar

Zur Erinnerung: Es geht um Vorwürfe, die am 25. August im Internetmagazin Slate erschienen sind, ein paar Tage vor Beginn der US Open. Zverevs einstige Partnerin Olga Scharipowa schildert darin detailliert mehrere Vorfälle angeblicher häuslicher Gewalt. Das hatte sie schon im November 2020 getan, damals im Tennismagazin Racquet. Autor war jeweils der Amerikaner Ben Rothenberg, der auch für die New York Times tätig ist; am Ende des ersten Artikels gibt es den Hinweis, dass Scharipowa noch mehr erzählen wolle. Das tat sie dann für diesen zweiten Bericht, in dem es vor allem um diese Vorwürfe vom Turnier in Shanghai geht, die die ATP nun untersuchen will. ATP-Chef Massimo Calvelli nannte die Vorwürfe "schwerwiegend", die Vereinigung habe "die Verantwortung, uns damit auseinander zu setzen". Warum erst jetzt? Kein Kommentar.

Zverev hat gegen die Veröffentlichung der Vorwürfe geklagt und in Deutschland eine einstweilige Verfügung erreicht. "Der Autor ignoriert das; ich denke, das wird Konsequenzen für ihn haben", sagt Zverev. Rothenberg sagt zur SZ: "Wir stehen zur Berichterstattung über diese Vorwürfe, die auf mehreren Quellen, Interviews und zusätzlichen relevanten, sichtbaren Beweismitteln basiert." Damit verweist er auf Fotos sowie Textnachrichten, die den Artikeln beigefügt sind.

Wer sich beim Turnier in Indian Wells umhört, bemerkt, dass es niemanden gibt, der sich konkret äußern will. Die klarste Aussage ist eine, die zufällig aufgezeichnet worden ist, beim Laver Cup in Boston kürzlich. Beim Spaßduell zwischen Europa- und Weltauswahl kam es zum milden Trash Talk, bei dem Zverev sagte, das Team Welt würde von nun an keinen Punkt mehr holen. Dessen Kapitän John McEnroe wiederholte diese kleine Stichelei, darauf sagte der Amerikaner Reilly Opelka: "Er hat auch gesagt, dass er unschuldig sei." Die Reaktion von McEnroe darauf, sarkastisch grinsend: "Ja - gutes Argument." Sie reden also untereinander, nur nicht öffentlich.

Ansonsten hört man die immergleichen Antworten: Gut, dass es diese Untersuchung gebe. Abwarten, was dabei rauskommt. Ja, es brauche im Tennis klare Regeln bei Fällen wie diesem, um alle Seiten zu schützen, zumal Tennisprofis dauernd um die Welt reisen: Zverev ist Deutscher, der jedoch in Monte Carlo lebt. Scharipowa ist Russin, die Vorfälle sollen sich in den USA, China und der Schweiz ereignet haben - wer ist da im großen Rahmen zuständig? In anderen Sportarten und Ligen gibt es bereits klare Regeln und klare Konsequenzen. Die Lage im Tennis ist komplizierter, weil die Profis keine Angestellten sind, sondern Selbstständige.

Scharipowa hat angekündigt, weder straf- noch zivilrechtlich gegen Zverev vorgehen zu wollen

Klar, es sind laufende Ermittlungen, man kann nicht jeden Zwischenstand veröffentlichen; allerdings drehen sich die Fragen derzeit gar nicht mal so sehr um Schuld und Unschuld, dafür gibt es ja die Ermittlungen - die Fragen gibt es eher zur Untersuchung selbst, Antworten darauf wären durchaus interessant. Also, zum Beispiel: Warum untersucht die ATP nur diesen Fall in Shanghai? Zverev soll Scharipowa zufolge auch bei den US Open und später beim Laver Cup handgreiflich geworden sein. Das Grand-Slam-Turnier fällt nicht in die Zuständigkeit der ATP, wohl aber dieses Spaßturnier, das von Roger Federers Agentur Team8 organisiert wird. Es ist seit Mai 2019 offiziell Teil des ATP-Kalenders, die Vorfälle sollen sich, wie die in Shanghai, im offiziellen Spielerhotel ereignet haben. Aber: kein Kommentar.

Zweite Frage: Wer führt diese Untersuchung durch? Mitarbeiter der ATP, die sich sonst um Strafen wegen Schlägerwerfens kümmern - oder unabhängige Experten? Die Begriffswahl der ATP, die von einer "internen Untersuchung" spricht, deutet eher auf die erste Variante hin, und das führt sogleich zur nächsten Frage: Kann sie etwaige Zeugen zu Aussagen bewegen? SZ-Informationen zufolge ist unklar, ob Scharipowa an der Untersuchung teilnehmen will, sie kann dazu keinesfalls gezwungen werden. In beiden Artikeln betont sie, dass sie ihre Geschichte erzählen, Zverev aber nicht schaden wolle. Ihre Geschichte habe sie erzählt, warum sollte sie Teil einer Untersuchung sein wollen, bei der Zverev am Ende suspendiert, also bestraft werden könnte?

"Ich hoffe, dass es eine echte, gründliche Untersuchung gibt", sagt Mary Carillo. Die bekannte TV-Kommentatorin war kürzlich beim Laver Cup nicht aktiv; so lange der Fall nicht aufgearbeitet sei, könne sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, die Leistungen von Zverev zu würdigen: "Ich hoffe, dass Olga aussagt; ich würde aber auch respektieren, wenn sie es nicht tut. Ich glaube nicht, dass sie wollte, dass sich das so lange ohne Ergebnis hinzieht." Zur Erinnerung: Scharipowa hat auch angekündigt, weder straf- noch zivilrechtlich gegen Zverev vorgehen zu wollen. Zur Untersuchung hat sie sich noch nicht geäußert - es ist nicht bekannt, ob und wann sie das tun wird.

Der Journalist Ben Rothenberg hat einen Großteil der Ermittlungen erledigt, aber die ATP hat ihn noch nicht kontaktiert

Das gilt auch für andere Zeugen, die ATP hat nicht die rechtliche Grundlage, Zeugen vorzuladen, wie sie ein Gericht hat. Die einhellige Meinung unter Experten in Indian Wells: Journalist Rothenberg habe den Großteil der Ermittlungen erledigt und mutmaßliche Beweise gesammelt, es sei möglich, bei Nicht-Teilnahme der Zeugen Aussagen und Dokumente aus dessen Artikeln zu verwenden. Also dann, Frage an Rothenberg: Hat sich die ATP denn gemeldet? Antwort: "Nein, die ATP hat mich zum Thema Ermittlungen nicht kontaktiert, aber ich würde es begrüßen, wenn sie das täte."

Die ATP hat mit ihrer knappen Ankündigung mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben, die mangelnde Transparenz seitdem sorgt nicht gerade für Vertrauen - für alle Beteiligten übrigens. "Man hat sich bislang nicht ordentlich darum gekümmert. Das ist auch nicht gut für Zverev, weil es über den Köpfen schwebt, bis es geklärt ist", sagt zum Beispiel Andy Murray. Carillo ergänzt: "Was es nicht geben sollte: eine aufgeweichte Erklärung in ein paar Monaten."

Die ATP hat durch den Vorhang geblickt und eine Untersuchung angekündigt. Es blicken nun sehr viele Leute in Richtung Bühne. Wenn sich der Vorhang hebt, wird die Spielervereinigung nicht nur ein Ergebnis präsentieren dürfen. Im Interesse aller Beteiligten sollte sie, im grellstmöglichen Licht, auch darlegen können, wie sie zu diesem Ergebnis gekommen ist. Es sollte danach möglichst keine Fragen geben.

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