Der letzte Gang von Alexander Zverev war ein schwerer. Sein Blick: glasig. Er schaute ins Nichts. Als er am Netz ankam und Taylor Fritz die Hand gab, blieb er stehen. Und redete und redete auf den Amerikaner ein. Irgendwann lösten sich die zwei doch, keine Minute später hatte Zverev seine Taschen gepackt und sich unter Applaus vom Platz getrollt. Es war ein Moment, der einem Tiefschlag für den deutschen Tennisprofi gleichkommen musste, denn er hatte ein sicher geglaubtes Achtelfinalmatch noch verloren. So war es der Weltranglisten-Zwölfte Fritz, der beim Sieger-Interview sprach: „Es war unglaublich, das zu tun. Das hier auf dem Centre Court zu tun, einen 2:0 Satzrückstand aufzuholen.“ Dem 26-Jährigen war dies tatsächlich gelungen, er hatte 4:6, 6:7 (4), 6:4, 7:6 (3), 6:3 gewonnen.
Für Zverev, der eine neue Liebe zum Rasenbelag entdeckt hatte und sich zurecht Titelchancen machen durfte nach drei vorzüglichen Auftritten in der ersten Woche, bleibt die ernüchternde Erkenntnis: In Wimbledon hat er weiterhin in bislang acht Teilnahmen kein Mal das Viertelfinale erreicht. Fritz kämpft nun am Mittwoch gegen den Italiener Lorenzo Musetti, 22, um den Halbfinaleinzug.
Dabei hatte diese Partie für Zverev so gut angefangen, der Rahmen hatte auch gepasst. Pep Guardiola, den er bewundert, saß zwar diesmal nicht in der Royal Box wie noch in der dritten Runde, als Zverevs Match ebenfalls auf dem Centre Court angesetzt war. Dafür schaute – unweit der Regisseurin Claire van Kampen und des Komikers Lenny Henry – Fürst Albert von der Ehrenloge aus zu, quasi Zverevs Wohnort-Chef in Monte Carlo. Zverev setzte seine aufgeräumte Taktik der vergangenen drei Runden zunächst zwei Sätze lang fort, mit einem Aufschlag als Basis, der für Fritz, der es geahnt hatte, nur schwer zu knacken war.
Fritz war zweifellos ein besserer Gegner als der Spanier Roberto Carballés Baena, der Amerikaner Marcos Giron und Norrie zuvor, nur präsentierte Zverev abermals sein mächtiges Spiel, das Kontrahenten zu erdrücken vermag wie ein Ringer, der den anderen zu Boden wirft und sich dann draufwirft. Nicht mal sein bandagiertes Knie beraubte ihn anfangs dieser Fähigkeit; gegen Norrie hatte sich Zverev bei einem Rutschmanöver verletzt und später zunächst öffentlich Entwarnung gegeben.
Im ersten Satz reichte Zverev ein Break zum 5:4, um den ersten Durchgang zu sichern. Im zweiten Satz wurde die Partie ebenbürtiger, im Tiebreak setzte sich Zverevs Klasse durch. Dann kippte das Match, später, auf der Pressekonferenz, erklärte der humpelnd erschienene Zverev, dass ihm doch das Knie massive Probleme bereitet habe. „Ab dem vierten und fünften Satz hatte ich große Mühe, aufzuschlagen und auf mein Bein zu springen“, sagte er. Beinahe hätte er auch auf den Einsatz verzichtet, am Sonntag hätte er heftige Schmerzen im Knie verspürt, erst beim Warmspielen am Montag habe er entschieden, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Zverev gab als Befund ein „Knochenödem, Knochenprellung, was auch immer“ an. Er müsse nicht operiert werden, auch sein Olympia-Start sei nicht in Gefahr. In Paris wolle er seinen Titel verteidigen. Ob er nächste Woche beim ATP-Turnier in Hamburg antritt, sei noch unklar.
Auf einmal wirkt Zverev eine Nuance weniger spritzig
Zverevs Spiel zerbrach Ende des dritten Satzes, ein Doppelfehler brachte Fritz das entscheidende 5:4 ein. Es war das erste Mal, dass Zverev bei diesem Turnier ein Aufschlagspiel verlor oder einen Satz. Fortan wirkte Zverev weniger spritzig, sein Gesicht verriet erste aufkommende Zweifel, das Selbstsichere war ihm abhandengekommen. Fritz dagegen gewann genau dieses, steigerte sich, vor allem beim Aufschlag war er wie ein Bollwerk. Grand-Slam-Turniere sind nicht ohne Grund so schwer zu gewinnen, weil so viel passieren kann im Verlaufe der benötigten sieben Siege zum Titel. Diesmal glänzte Fritz im Tiebreak.
Im fünften Satz holte Fritz das Break zum 3:1 und transportierte diesen Vorteil souverän bis ins Ziel. „Ich war heute auf einem Bein“, urteilte Zverev. Eine 2:0-Satzführung hatte er einmal schon auf noch dramatischere Weise verspielt, 2020 im Finale der US Open gegen den Österreicher Dominic Thiem. Der Weltranglisten-Vierte Zverev jagt vorerst also weiter seinem großen Traum nach. In dieser Saison bleiben ihm nur noch die US Open Ende August, um endlich seinen ersten Grand-Slam-Titel zu erringen. Chancen in seiner Karriere hatte er ja schon einige.
2022 stoppte ihn, in grandioser Form, ein Sturz bei den French Open im Halbfinale, damals rissen sieben Bänder in seinem rechten Knöchel. Und jüngst fehlte ihm im Endspiel von Paris nur ein Satz zur Trophäe. Dass er wiederholt auf durchaus tragische Weise kurz vor dem Ziel scheiterte, sei für ihn „das Schwierigste. Irgendwann fängt man wirklich an zu glauben, dass es vielleicht für einen nicht gedacht ist. Aber es ist, wie es ist.“ Er gab sich kämpferisch. „Ich mache immer noch alles dafür, dass ich erfolgreich bei Grand Slams bin.“