Wimbledon:Mit der Kraft der guten Niederlagen

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Sie hatte schon fast aufgegeben: Donna Vekic. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Donna Vekic wurde mit 15 entdeckt. Doch dann ging sie durch eine lange und anstrengende Lernphase. 13 Jahre später steht sie nun im Halbfinale in Wimbledon – weil sie auch in düsteren Zeiten nie aufgegeben hat.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Der große Andre Agassi hat das beste Tennisbuch geschrieben, das je verfasst wurde, „Open“ heißt es und ist viel mehr als eine Autobiografie. Es ist ein literarisches Meisterwerk, bei dem der Pulitzerpreisträger J. R. Moehringer half, die richtigen Worte zu finden. Im Kern setzt sich der achtmalige Grand-Slam-Gewinner mit der menschlichen Seele auseinander, deren Brüchigkeit vor allem eben in seiner Disziplin stets droht.

„Beim Tennis ist man auf einer Insel. Von allen Sportarten, die Männer und Frauen spielen, kommt Tennis der Isolationshaft am nächsten“, urteilte an einer Stelle Agassi gar mal. An anderer Stelle offenbarte er, ein Sieg fühle sich „nicht so gut an wie eine Niederlage, und das gute Gefühl hält nicht so lange an wie das schlechte. Nicht annähernd“, allein diese Weisheit Agassis kann heute noch wohl jeder Akteur der Branche nachempfinden, und jemand wie Donna Vekic ganz sicher.

Mit 15 Jahren war sie teils schon auf höchstem Niveau

Vor sieben Wochen wollte sie hinwerfen. Erneut. Sie fühlte sich leer, kraftlos, mutlos, so sehr, dass sie wenige Tage vor dem Start von Roland Garros zu ihrem Trainer Nikola Horvat sagte: „Hör zu, ich möchte mich von den French Open zurückziehen. Ich möchte nach Hause gehen. Ich möchte eine längere Pause machen. Ich hatte keine Energie, keine Motivation, weiterzumachen.“

Sieben Wochen später sitzt dieselbe Donna Vekic, nun 28 Jahre alt, im Media Theatre von Wimbledon, die Strahler sind auf sie gerichtet, sie lächelt und sagt: „Es ist verrückt, wie sich im Tennis so schnell die Dinge ändern können. Ich bin jetzt im Halbfinale.“

Das diesjährige Frauenturnier im All England Club hatte sich schon früh zu einem Wettbewerb mit vielen Überraschungen entwickelt. Erst zog die Powerfrau Aryna Sabalenka aus Belarus zurück, dann verloren die Titelverteidigerin Marketa Vondrousova aus Tschechien und die Weltranglistenerste Iga Swiatek aus Polen, auch US-Open-Siegerin Coco Gauff verabschiedete sich. Irgendjemand strandet dann aber mal im Halbfinale.

Natürlich hatten die Briten und allen voran die englischen Medien gehofft, dass ihr Darling Emma Raducanu es weit schaffen würde, doch die immer noch erst 21-jährige frühere US-Open-Gewinnerin schied gegen die Qualifikantin Lulu Sun aus – die dann im Viertelfinale wiederum von Vekic besiegt wurde. Für Wimbledon aus lokaler Church-Road-Sicht war diese Entwicklung schon ein Stimmungseinbruch, aber für Vekic, solche Geschichten gehen dann gerne unter, bedeutet ihr Erreichen der Runde der letzten Vier die Welt.

Die Kroatin aus Osijek mag noch keine 30 sein, und doch ist sie längst eine Veteranin der Profitour. Mit 15 stieg sie bereits auf höchstem Niveau ein, sie galt vielleicht nicht als Wunderkind, aber knapp dahinter. Die inzwischen verstorbene Trainerlegende Nick Bollettieri sah in ihr „das größte Versprechen im Frauentennis seit Maria Scharapowa“, das war eine Ansage. Vekic hat sich auch rasch etabliert auf der WTA Tour, allerdings noch mit großen Ausschlägen. Erst 2019 stand sie mal, bei den US Open, in einem Grand-Slam-Viertelfinale, ihr zweites verbuchte sie 2023 bei den Australian Open. In Melbourne hatte sie auch verraten, dass sie, insbesondere nach Verletzungsphasen, zweimal schon ihren Beruf aufgeben wollte. Der Grat zwischen siegessicherem Selbstbewusstsein und zweifelnden, düsteren Gedanken ist bei Tennisprofis eben ein schmaler. Nicht ohne Grund achten längst mehr Spieler auf mentale Gesundheit.

Niederlagen machen Vekic zu schaffen, aber sie lässt sich nicht unterkriegen

„Ich musste wirklich tief in mich gehen und mich selber pushen“, schilderte Vekic, die Ende Mai, bereits innerlich labil, in der dritten Runde in Paris in einem dramatischen Match gegen die Serbin Olga Danilovic verlor. Seelenstiche wie solche Niederlagen bleiben hängen, das ist Vekic auch in Wimbledon anzumerken, die wiederholt von diesem „herzzerreißenden“ Erlebnis erzählte, als sei es gestern passiert. Warum sie dennoch weitermachte, mal wieder, hat mit ihrem Charakter zu tun. Denn aus dem früheren Sternchen, die ein paar Jahre auch mit dem Schweizer Profi Stan Wawrinka liiert war und viele Rote-Teppiche-Fotos hergab, ist längst eine Arbeiterin geworden, eine Grinderin, sagt man im Tennis zu dieser Gattung. Sie lässt sich am Ende doch nicht unterkriegen.

Der Lohn ist, dass Vekic – die bislang in der Ukrainerin Dajana Jastremska nur auf eine Spielerin aus den Top 30 traf – nun bei ihrer 43. Grand-Slam-Teilnahme seit 2012 das erste Mal um den direkten Finaleinzug kämpft; das zweite Halbfinale bestreiten die Kasachin Jelena Rybakina und die Tschechin Barbora Krejcikova. Vekics Gegnerin, die Italienerin Jasmine Paolini, 28, bereits bei den French Open gerade im Endspiel gewesen, glänzt auch in Wimbledon. Natürlich sei sie stolz auf sich, sagte Vekic, sie betonte aber auch, wie viel Anteil ihr Team am Erfolg habe, „ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie an mich glaubten, als ich es nicht tat.“ Seit eineinhalb Jahren berät sie auch die Amerikanerin Pam Shriver, die 21-malige Grand-Slam-Siegerin im Doppel.

Was sie aus ihrem Weg gelernt habe, wurde Donna Vekic in Wimbledon auch gefragt, und da antwortete sie unspektakulär, aber eben zutreffend: „Ich nehme an, niemals aufzugeben.“ Gerade eine wie sie weiß: „Manchmal ist das nicht leicht.“

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