Süddeutsche Zeitung

Frauen-Endspiel in Wimbledon:Ein sehr politisches Finale

Die tunesische Wimbledon-Finalistin Ons Jabeur trägt die Last eines Kontinents - bisher mit großer Leichtigkeit. Auch ihre Gegnerin Jelena Rybakina hat eine politisch aufgeladene Vita.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Da saß sie, die Frau, die in ihrer Heimat "Ministerin des Glücks" gerufen wird, und strahlte. Grinsend erklärte Ons Jabeur, wie sie das finde, diesen Titel erhalten zu haben. "Ich meine, es ist nett, dass sie mich so nennen", sagte sie. "Es ist wirklich unglaublich. Vielleicht denken Sie, einen Minister des Glücks einzustellen. Es ist lustig", sie grinste jetzt noch mehr, "der gegenwärtige Minister sagt auch zu mir: ,Hello, Minister!'" Jabeur, die eine großartige Erzählerin ist, setzte noch eine Pointe drauf. Als sie unmittelbar danach gefragt wurde, ob sie finde, Boris Johnson habe mit seinem Rückzug als Premierminister das Richtige getan, erwiderte sie schlagfertig: "Keine Ahnung, ich bin doch die Ministerin des Glücks." Natürlich war da das Gelächter groß im Pressekonferenzraum des All England Clubs, und niemand konnte widersprechen.

Jabeurs Zuständigkeitsbereich, das war schon vor diesem Turnier weitgehend bekannt, ist es wahrlich, Menschen zu erfreuen. Ihrer Rolle wohnt indes schon eine gewisse politische Bedeutung bei, längst geht es bei ihr um mehr als ihr cleveres, variantenreiches Tennis. Die 27-Jährige aus Ksar Hellal südlich von Monastir ist aktuell die Nummer zwei der Weltrangliste und hat sich nun, nach dem Sieg im Halbfinale gegen die umjubelte Tennis-Mutter Tatjana Maria, ins Endspiel von Wimbledon gespielt.

Jabeur eilt gerade von Rekordeintrag zu Rekordeintrag. Nun also ist sie die erste Frau aus Tunesien, aus dem arabischen Raum und aus Afrika, die um den größten Titel in ihrem Sport kämpft. Sie gilt vielen als großes Vorbild, ihren Landsleuten, Frauen, Kindern und solchen, die an die Ideale einer freien, gleichberechtigen Welt glauben. Jabeur ist zweifellos eine gesellschaftlich relevante Figur geworden, die bedeutsamste, die sich in der Weltspitze des Frauentennis aufhält allemal.

Jabeurs Gegnerin Jelena Rybakina hat sich fast unbemerkt für das letzte Duell qualifiziert

Ihre Gegnerin an diesem Samstag wiederum wird Jelena Rybakina sein, die sich fast ein wenig unbemerkt für das letzte Duell qualifizierte, im Halbfinale war sie erstmalig auf dem Centre Court vorstellig geworden und hatte mit ihrem kompromisslosen Stil Simona Halep deutlich 6:3, 6:3 in die Schranken gewiesen. Ihre Geschichte ist eine ganze andere, aber ebenfalls eine höchst politische. Ihre Größe - 1,83 Meter - lässt auch ihr Spiel groß und mächtig erscheinen. Doch wie bei Jabeur schwingt bei Rybakina eine ganz andere Note mit, und man muss wohl festhalten: So bedeutungsschwer aufgeladen war ein Finale an dieser traditionsreichen Stätte lange nicht.

Rybakina, 23, wurde in Moskau geboren. Dass sie in Wimbledon teilnehmen kann, liegt daran, dass sie für Kasachstan antritt. 2018 schon hatte sie Nation und Verband gewechselt, ausführlich erklärte sie in der Pressekonferenz in gutem Englisch, dass sie damals bei ihrer Entwicklung, obwohl sie eine erfolgreiche Juniorin gewesen war, nicht vorankam. Kasachstan habe ihr dann angeboten, sie deutlich mehr zu fördern, und sie nahm das Angebot an.

Das alles war im Grunde auch längst bekannt, doch angesichts der Umstände, dass Wimbledon aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine alle russischen und belarussischen Profis von dieser Turnierausgabe ausschloss, geriet Rybakina, ob sie wollte oder nicht, in ihrer Medienrunde unter Druck.

Die in Moskau geborene Kasachin Rybakina versuchte mal höflich, mal bestimmt klarzumachen: Ich lebe jetzt ein anderes Leben

Man merkte, wie unangenehm ihr diese Themen waren, aber sie versuchte höflich und manchmal doch bestimmt die Botschaft zu entsenden: Ich lebe jetzt ein anderes Leben. Und das ist wohl auch so. Rybakina betonte, sie nun "auf der Tour stationiert", denn "ich reise jede Woche". Zwischen Turnieren trainiere sie in der Slowakei. Sie übte auch mehrmals in Dubai. "Ich lebe nirgends, um ehrlich zu sein", sagte sie und verneinte, sich noch oft in Russland aufzuhalten. Konkreter wurde sie an dieser Stelle nicht. Ob sie in Moskau noch einen Wohnsitz hat, ließ sie offen.

Es waren zwei außergewöhnliche Pressekonferenzen mit den beiden Finalistinnen, globale Themen drangen in diesen gedämpften, Ehrfurcht ausstrahlenden Raum, in dem sich der Tenniskosmos am liebsten sonst mit sich selbst beschäftigt.

Bei Jabeur überwogen die leichteren, die heiteren Aspekte. Sie liebe Barbecue, sie freue sich, dass das Endspiel ausgerechnet auf einen besonderen Feiertag in der Heimat falle, Eid al Adha, das islamische Opferfest, findet nun statt.

Rybakina, die 23. der Weltrangliste und vor einem Jahr als Viertelfinalistin bei den French Open schon mal aufgefallen, verkörperte auch viel Freude. Ihre Schwester begleite sie, sie sei ihr Talisman, erzählte sie. Sie werde sich geehrt fühlen, vor der Royal Box aufzutreten, Catherine, die Herzogin von Cambridge, wird ja auch die Siegerschale namens Venus Rosewater Dish überreichen. Doch auffallend oft wiederholte sie, dass auch der kasachische Verbandspräsident ihr gratuliert habe - ihr war bewusst, dass viele gerade auf solche Nuancen achten. So distanzierte sie sich auf diese Weise auch von ihrem Geburtsland.

An diesem Samstagnachmittag aber wird definitiv der Sport zu seinem Recht kommen, und das Duell der beiden wird auch Duell unterschiedlichen Temperaments werden. Die extrovertierte Jabeur kündigte bereits an, sie erwarte im Erfolgsfall eine "spezielle Feier". Die introvertierte Rybakina, die fast regungslos ihr offensives, mutiges Grundlinientennis runterspult, versprach immerhin, sollte ihr der große Coup gelingen: "Ich lächle." Und als sie das sagte, da lächelte sie tatsächlich schon mal. Es stand ihr.

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