Alexander Zverev in Wimbledon:Als wäre er Charlie Brown, den das Pech verfolgt

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„Es ist bitter für mich“: Die Bilanz von Alexander Zverev bleibt weiterhin unvollendet. (Foto: Henry Nicholls/AFP)

Alexander Zverev hat auch im achten Versuch das Viertelfinale in Wimbledon verpasst. Die Selbstzweifel, vielleicht nie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen zu können, sind nun so groß wie noch nie beim 27-Jährigen.

Von Gerald Kleffmann, London

Die Tür ging auf, heraus kam die freundliche Dame des All England Club, die die Pressekonferenz mit Alexander Zverev leiten sollte. Sie würde sich verzögern, sagte sie im Media Theatre, dem einem Kinosaal ähnlichen Hauptraum. Zverev sei noch beim Physio, das dauere. Es gebe eine neue Durchsage. Die zwei Dutzend Reporter machten sich auf den Weg zurück zu den Arbeitsplätzen, doch just in dieser Sekunde tauchte Zverev im Treppenhaus auf, Manager Sergej Bubka an der Seite. Zverev humpelte, das Knie war natürlich weiterhin bandagiert. Er schleppte sich die Stufen hoch, als sei er auf den letzten Metern bei der Besteigung eines Achttausenders.

Jemand, der so mühevoll geht, kann kein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Das war sofort klar.

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Der alte Novak Djokovic ist zurück: Zuerst fertigt der Serbe den jungen Dänen Holger Rune im Achtelfinale ab, dann legt er sich mit gegnerischen Fans an – und weist sogar den Platz-Interviewer in die Schranken.

Von Gerald Kleffmann

„Ich war heute auf einem Bein. Ich denke, es war ziemlich offensichtlich, dass ich nicht bei 100 Prozent war“, sagte Zverev recht zügig, „am Ende bin ich stolz, dass ich gekämpft habe“. Niedergeschlagen, aber auch mit sich im Reinen sah er aus. „Vielleicht werde ich irgendwann ein bisschen mehr Glück haben“, tröstete er sich. Die Ohnmacht, die er verspürte, füllte regelrecht den Raum aus.

„Paris möchte ich gewinnen. Und die Flagge tragen“, sagt Zverev

Wieder einmal war Zverev, der Weltranglisten-Vierte und beste Profi aus dem nicht ganz kleinen Tennisland Deutschland, bei seiner, wie er es nennt, Jagd auf seinen Traum gescheitert. Wieder einmal schwang mächtig viel Drama mit. Eine Knieverletzung, erlitten in der dritten Runde gegen den Briten Cameron Norrie, war der Grund dafür, dass er im Achtelfinale 6:4, 7:6 (4), 4:6, 6:7 (3), 3:6 gegen den Amerikaner Taylor Fritz verlor – und wie in sieben Versuchen zuvor das Viertelfinale in Wimbledon verpasste.

Er habe „ein Knochenödem und eine Zerrung in der Kapsel“, teilte Zverev mit, erst beim Warmspielen hätte er entschieden anzutreten. Ab Mitte des dritten Satzes allerdings sei ihm die Kontrolle über den eigenen Körper entglitten und damit übers Match: „Ich konnte nicht mehr so pushen, wie ich es am Anfang getan habe. Dann ist es halt schwierig, wenn ich an der Grundlinie nicht so richtig laufen kann, nicht so richtig fighten kann und dann auch noch ohne Aufschlag spiele.“

Seine Ausführungen klangen nachvollziehbar, jeder hatte ja gesehen, wie sein missglücktes Rutschmanöver in der Partie zuvor verlaufen war; sein Bein war komplett überstreckt worden. Das Beruhigende für Zverev ist nun trotz der Schwellung des Knies, dass er von einer raschen Genesung ausgeht: „Es ist nichts, das außergewöhnlich schlimm ist, dass ich operiert werden muss oder dass ich länger ausfalle“, meinte er, „es ist eine Sache von ein, zwei Wochen, und das war’s.“ Noch sei offen, ob er kommende Woche beim ATP-Turnier in seiner Geburtsstadt Hamburg mitwirken könne. Bei den Olympischen Spielen im August aber gehe er fest von einem Start aus. „Ja, Paris möchte ich gewinnen“, sagte er mit fester Stimme und strahlte gar kurz Leichtigkeit aus, als er lächelnd hinzufügte: „Und die Flagge tragen.“

Mit einem Aufschlag wie Thors Hammer: Alexander Zverev hatte Wimbledon und dem kniffligen Rasenbelag gerade erst seine Liebe erklärt - und bis zu seinem Aus beeindruckend gespielt. (Foto: Mosa'ab Elshamy/AP)

Sein Knie wird heilen, innere Wunden allerdings dürften bleiben. Es sprach für die Ehrlichkeit Zverevs, dass er zugab, mit diesem frischen Misserfolg zu hadern. Dieser reiht sich ja ein in eine Serie von Niederlagen, die allmählich von einer gewissen Tragik künden. Zverev selbst konnte in Wimbledon wie ein Kronzeuge rauf und runter beten, wo er warum mal wieder den ersehnten ersten Grand-Slam-Titel verpasste. Als wäre er Charlie Brown, den das Pech verfolgt.

„Irgendwann fängt man wirklich an zu glauben, dass es vielleicht für einen nicht gedacht ist.“

Bei den US Open 2020 fehlten Zverev nur zwei Punkte im Finale gegen den Österreicher Dominic Thiem. Bei den French Open 2022, in überragender Form, rissen ihm im Halbfinale beim Rutschen und Umknicken sieben Bänder im rechten Knöchel, damals hatte er „wirklich das Gefühl, dass ich mit Rafael Nadal mithalten kann“. 2024 wird er auf eine neue, intensive Probe gestellt: Bei den Australian Open führte er im Halbfinale mit 2:0 Sätzen gegen den Russen Daniil Medwedew und verlor. In Paris führte er im Finale mit 2:1 Sätzen gegen den Spanier Carlos Alcaraz und verlor. Nun wieder ein ähnliches Erlebnis in Wimbledon. Mit diesen Rückschlägen umzugehen, sei „das Schwierigste“, räumte Zverev ein. „Irgendwann fängt man wirklich an zu glauben, dass es vielleicht für einen nicht gedacht ist.“ So sehr hatte er noch nie eigene Zweifel zum Ausdruck gebracht.

Der Frust hatte ja auch einen besonderen Verstärker. Wimbledon und dem kniffligen Rasenbelag hatte er gerade erst zum ersten Mal seine Liebe erklärt und dann tatsächlich beeindruckend gespielt, mit einem Aufschlag wie Thors Hammer, zumindest drei Runden und dann noch mal zwei Sätze lang. „Ich habe den Ball so gut wie noch nie im Schläger gehabt“, fand er. Die Auslosung, gab er zu, sei für ihn auch vielversprechend gewesen. Und jetzt ist er abermals an einem Punkt, an dem er sagen muss: „Es ist bitter für mich.“ Er darf sich wirklich im Hamsterrad fühlen.

Mitgefühl kommt sogar von der Konkurrenz, der 24-malige Grand-Slam-Sieger Novak Djokovic sagte: „Wenn man seine Ergebnisse sieht, wenn man sein Spiel sieht, alles, was er in dem Sport bisher geschafft hat, verdient er sicherlich einen Grand-Slam-Titel.“ Zverev, so ist sein Naturell, wird es natürlich weiterhin versuchen. „Ich mache immer noch alles dafür, dass ich erfolgreich bei Grand Slams bin“, sagte der 27-Jährige. So selbstsicher wie sonst wirkte er nicht dabei.

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