Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Die Tennis-Welt plant für den schlimmsten Fall

  • Nun steht auch Wimbledon vor der Absage, doch längst geht es im Tennis um mehr: Die ganze Saison droht auszufallen.
  • "Wir müssen für den schlechtesten Fall planen und auf das Beste hoffen", sagte Australian-Open-Chef Craig Tiley dem Sydney Morning Herald.

Von Gerald Kleffmann

Gerade wurde bekannt, dass es einen neuen Dopingfall im Tennis gibt, bei Ashley Kratzer, 21, wurde GHRP-6 nachgewiesen, das im Zusammenhang mit Wachstumshormonen steht. Die Amerikanerin, 480. der Weltrangliste, war beim WTA-Turnier im Januar in Newport Beach, wo sie in der Qualifikation verlor, positiv getestet worden. Der Internationale Tennis-Verband (ITF) hat sie vorerst gesperrt, das Verfahren geht seinen Gang, und womöglich würde nun intensiver über Körpertuning im Tennis debattiert werden, wären die Zeiten normal.

Wie außergewöhnlich sie jedoch sind, dokumentiert eine andere, völlig unverfängliche Geschichte. Roger Federer veröffentlichte am Montag ein 22 Sekunden langes Twitter-Video, er trägt Kapuze, blaue Weste, schlägt im Schneetreiben einen Ball gegen eine Tenniswand, durch die Beine, hinterm Rücken. "Will mal sichergehen, dass ich noch Trickschläge kann", schrieb der 20-malige Grand-Slam-Sieger dazu. Vier Millionen Mal wurde das Video angeklickt, bis Dienstag erhielt es 200 000 Likes; Zahlen, die eine Sehnsucht greifbar machen: Fan- wie Tennisgemeinde dürstet es nach ihrem Sport, nach ihren Protagonisten. Doch die können gerade auch nichts tun, außer sich im Idealfall mit einer Wand zu messen.

Wimbledon ist offenbar so gut wie kein anderes Turnier abgesichert

Die Corona-Pandemie hat natürlich auch die Tennistouren lahmgelegt. Und wie es aussieht, müssen die Profis nicht nur weiter in Wartestellung verharren, sondern sich bereits mit dem Gedanken befassen, dass die komplette Saison ausfällt - auch wenn es erst Anfang April ist. Craig Tiley, der mächtige Chef von Tennis Australia und Turnierdirektor der Australian Open, sprach es als Erster aus: "Wir müssen für den schlechtesten Fall planen und auf das Beste hoffen", teilte er dem Sydney Morning Herald offen mit: "Meine persönliche Sicht ist, dass es fürs Tennis schwer wird, in diesem Jahr noch mal zurückzukommen." Denn, und das mache diesen Sport so besonders, er bedinge "globales Reisen, und das ist wahrscheinlich das Letzte, was dann wieder geht", erklärte Tiley. Er räumt Sportevents, bei denen die Sportler und Zuschauer rein inländisch zusammenfinden, höhere Chancen ein, irgendwann mal wieder ausgerichtet werden zu können. Tennis wird es demnach mit am schwersten in der Sportwelt haben, zur Normalität zurückzufinden.

An diesem Mittwoch wird die nächste Absage erwartet, die Verantwortlichen des All England Clubs wollen über ihr vom 29. Juni bis 12. Juli geplantes Turnier in Wimbledon entscheiden. Das Urteil hat Dirk Hordorff vor drei Tagen vorweggenommen: Der Rasenklassiker werde definitiv ausfallen, "da gibt es keinen Zweifel dran", sagte der Vizepräsident des Deutschen Tennis-Bundes beim TV-Sender Sky: "Das ist notwendig in der jetzigen Situation." Eine Verschiebung auf einen späteren Termin sei nicht mal theoretisch möglich, erklärte Hordorff: "Wimbledon hat durch den Rasen und die besonderen Lichtverhältnisse eigene Gesetze." Monetär im Übrigen ist das Turnier offenbar so gut wie kein anderes gegen den zu erwartenden Ausfall abgesichert. "Wimbledon war - wohl als einziges Grand-Slam-Turnier - schon vor vielen Jahren voraussehend genug, sich auch gegen eine Pandemie zu versichern, sodass der finanzielle Schaden dort minimiert sein dürfte", verriet Hordorff.

Mit dem unvermeidlichen Verzicht Wimbledons ist schon mal klar, dass die gesamte Rasensaison ausfallen wird. Wenngleich noch keine offizielle Mitteilung erfolgte, weder von den Turnieren noch von den Touren der ATP (Männer) und WTA (Frauen). Bislang wurde nur eine Pause bis zum Ende der Sandplatzsaison ausgesprochen (bis 7. Juni). Betroffen in hohem Maße ist im Monat Juni der deutsche Markt, vor Wimbledon stünden Stuttgart, Halle (beide ATP-Tour) sowie erstmals Berlin und Bad Homburg (WTA-Tour) an.

Die Turniere fallen nun wie Dominosteine um, und man muss kein Pessimist sein, um zu vermuten, dass es so weitergehen dürfte. Nach der Rasensaison zieht der Tross für gewöhnlich nach Nordamerika weiter, mit dem Höhepunkt der US Open in New York, ehe Asien mit China und Japan ansteht. Sogar Wuhan, vermutlich der Ursprungsort des Coronavirus, steht als Station der Frauentour auf dem Programm. Abschließend warten die letzten Turniere in der Halle. Die vielen in Los Angeles im Staples Center ausgetragenen Veranstaltungen, die wie Virenschleudern wirkten, sind eine Warnung, dass der Sport vorerst Events unterm Dach ausschließen sollte. Geisterspiele werden gar nicht groß diskutiert - Tennis lebt vom Publikum.

Eine britische Spitze in Richtung Frankreich

Der Versuch des Sandplatz-Grand-Slams in Paris, die Veranstaltung durch die eigenmächtige Verlegung in den September zu retten, erweist sich bei den Planspielen nebenbei zunehmend als Eigentor. Erst reagierten die anderen Fraktionen empört, nun ist höchst fraglich, ob Roland Garros überhaupt im Herbst stattfindet. Aber Geld, die oberste Währung des Profisports, diktierte da eben noch das Vorgehen. 260 Millionen Euro würden der Fédération Française de Tennis "davonfliegen", behauptete Lionel Maltese, beim französischen Verband für wirtschaftliche Belange zuständig, in Medien. Eine Summe, die verdeutlicht, wie viel Druck ökonomisch im Tennis herrscht.

"Der wichtigste Aspekt ist die öffentliche Gesundheit, und wir sind entschlossen, verantwortungsbewusst zu handeln", kündigte derweil Richard Lewis an, der Geschäftsführer des All England Club. Ein Satz voller Vernunft und auch ein wenig als britische Spitze gegen Roland Garros zu verstehen. So viel Zeit muss sein, auch in einer Pandemie.

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SZ vom 01.04.2020/tbr
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