Tennis:Wie am Broadway

Wegen Misserfolges keine Vorstellung mehr. Zwar zeigen die deutschen Darsteller bei den US Open unterhaltsame Partien, doch die Bilanz der ersten Runde lautet: Zwölf von 17 Startern sind gescheitert.

Von Jürgen Schmieder, New York

Auf dem Broadway, dieser wunderbaren Theaterstraße in New York, wird von Oktober an ein beeindruckendes Schauspiel aufgeführt. Bruce Willis gibt in der Stephen-King-Adaption Misery einen schillernden Schriftsteller, der im nächsten Roman seine populärste Figur töten und die Buchserie so beenden will. Er wird von einer wütenden Leserin entführt und dazu gezwungen, gefälligst eine neue Dramaturgie zu entwickeln, in der die fiktive Figur überlebt und weitere Abenteuer erlebt. Die Frau ist derart wild zu Fortsetzungen entschlossen, dass sie die Waffe auch gegen sich selbst richten würde.

Ganz so weit musste Andrea Petkovic nicht gehen gegen Caroline Garcia, ein wildes Drama gab es dennoch zu bestaunen auf dem Grandstand, dem drittgrößten Platz auf der Tennisanlage von Flushing Meadows. Petkovic schimpfte mit sich selbst, sie haderte mit den Entscheidungen der Linienrichter und der Schiedsrichterin, sie verzweifelte derart an dieser Partie, dass ihre Stöhngeräusche während der Ballwechsel vor allem für amerikanische Ohren wie deftige Flüche klangen - es hörte sich mitunter so an, als würde sie bei jedem einzelnen Schlag nicht "Uffaa!", sondern "Uh, Fuck!" brüllen.

"Zwischendurch hatte ich Panik", gesteht Andrea Petkovic nach dem Marathon-Match

Gegen Ende des zweiten Satzes beschloss Petkovic, ihren Charakter von weinerlich-wütend in aktiv-aggressiv zu verändern, der Handlung eine Wendung zum Guten zu geben und für eine Fortsetzung zu sorgen bei diesem Turnier. Sie spielte Garcia nicht aus, sie rang sie entschlossen nieder - aus dem fluchähnlichen Stöhnen wurde nach vielen Ballwechseln ein aufmunterndes "Come on!", nach dem verwerteten Matchball zum 3:6, 6:4, 7:5 präsentierte sie einen lang gezogenen Jubelschrei. "Zwischendurch hatte ich richtig Panik, es war ein enges Spiel mit zahlreichen kniffligen Momenten", sagte sie nach der Partie: "Ich bin natürlich erleichtert, dass es gut ausgegangen ist."

Wer am Dienstag zu den Partien mit deutscher Beteiligung spazierte, die den ganzen Tag über stattfanden, der wurde zumeist prächtig unterhalten. Vor allem aber kam er sich wie schon bei den anderen Grand-Slam-Turnieren in diesem Jahr vor wie auf dem Broadway, wo viele Stücke wegen Misserfolgs keine zweite Woche erleben. In Melbourne und Paris hatte jeweils nur Julia Görges das Achtelfinale erreicht, in Wimbledon war keine Frau über die dritte Runde hinausgekommen. Die Männer waren bei allen Turnieren vor Beginn der zweiten Woche gescheitert.

Die ersten beiden Tage bei den US Open sandten eine ähnlich bittere Botschaft an das deutsche Tennis, bei zwölf von 17 Darstellern lautete das Urteil: abgesetzt nach der ersten Vorstellung. Die Übriggebliebenen hatten etwas Zeit vor der zweiten Runde. Den Mittwoch konnten die verbliebenen fünf Deutschen zum Theaterbesuch nutzen - alle hatten einen Ruhetag. Als letzter Mann ist allerdings nur noch der Augsburger Philipp Kohlschreiber im Rennen.

Neben Petkovic' aufreibender Partie mit fröhlichem Ende gab es auch zwei heitere Sommerkomödien mit Angelique Kerber (6:3, 6:1 gegen Alexandra Dulgheru), Sabine Lisicki (6:1, 6:4 gegen Aliaksandra Sasnowitsch) und Mona Barthel (5:7, 7:6, 6:1 gegen Zwetana Pironkowa) zu bestaunen. Grundsätzlich setzte sich jedoch der düstere Eindruck vom Montag fort, als fünf von fünf deutschen Teilnehmern gescheitert waren. Es gab eine Farce mit Julia Görges (3:6, 4:6 gegen Anna Schmiedlova), Standard-Niederlagen von Carina Witthöft (2:6, 4:6 gegen Garbiñe Muguruza), Annika Beck (4:6, 6:1, 4:6 gegen Jelena Ostapenko) und Benjamin Becker (7:6, 4:6, 4:6, 1:6 gegen Denis Istomin), zur besten Sendezeit auf der größten Bühne eine interessante, aber erfolglose Aufführung mit der Nebendarstellerin Laura Siegemund (1:6, 1:6 gegen Petra Kvitova). Dustin Brown bot auf einem der hintersten Plätze gegen den Niederländer Robin Haase eine Slapstick-Komödie, bei der er eine 2:0-Satzführung verspielte und seinen Sympathisanten das Lachen verging.

Aus all den fröhlichen und traurigen Partien ragte ein prächtiges Drama heraus, das die Zuschauer fast dreieinhalb Stunden fesselte. Es fand auf einem Nebenplatz statt, Off-Broadway sozusagen, in der Theaterbranche hätte so eine packende Vorstellung durchaus Chancen, mit einem Tony, dem amerikanischen Theater- und Musical-Preis ausgezeichnet zu werden, weil die Handlung bestach, zudem die beiden Darsteller zu glänzen wussten. Alexander Zverev, 18, gab den jugendlichen Herausforderer, der seinen erfahrenen Gegenspieler Philipp Kohlschreiber, 31, von der Bühne schubsen wollte.

Es war eine dynamische, dramatische und mitunter durchgeknallte Darbietung beider Akteure, mit irren Ballwechseln und wundersamen Wendungen. Nach dem Gewinn des ersten Satzes fiel Zverev in eine Schockstarre, befreite sich jedoch im vierten Durchgang und erhöhte im entscheidenden Satz das Tempo. Gegen Ende wirkte die Partie so, als würde ein Vater mit seinem ehrgeizigen Sohn Tischtennis spielen: Der Filius rackert, er wuselt umher und probiert neue Tricks, während der Vater geduldig an der Platte steht und jeden Ball sicher zurückspielt. Der Junge kann am Ende nicht mehr (Zverev wollte sich bei den Seitenwechseln wegen Krampf-Gefahr gar nicht mehr setzen), der Alte triumphiert dank seiner Routine.

"Ich bin ein Arbeiter, ich musste mich schon immer durchkämpfen und lebe nun mal von meiner Physis und davon, dass ich die Gegner zum Laufen bringe", sagte Kohlschreiber nach dem 6:7 (0), 6:2, 6:0, 2:6, 6:4. "Zverev ist ein mit vielen Talenten Gesegneter, er kann aufgrund seiner Größe ganz andere Winkel kreieren und muss nicht wie ich in die Ecken grätschen. Aber ich habe mich auf meine Erfahrung und Fitness berufen können - ich habe schließlich schon ein paar Fünf-Satz-Matches zu viel in meinem Leben gespielt. Das hat mir sicherlich geholfen."

Kohlschreiber hat sich den Verbleib im Turnier verdient, die nächste Vorstellung findet am Donnerstag gegen den Tschechen Lukas Rosol statt: "Ich muss mich da einfach durchsetzen, ich würde in diesem Jahr gerne noch die dritte Runde bei einem Grand-Slam-Turnier erreichen", sagt er. Kohlschreiber will keineswegs abgesetzt werden, schließlich steht ein Engagement auf der größten Tennisbühne der Welt mit einem der besten Darsteller der Geschichte in Aussicht. Am Samstag. Im Arthur-Ashe-Stadion. Gegen Roger Federer.

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