Tennis:Das Problem mit der Weltrangliste

Tennis: Der neue Führende der Weltrangliste: Carlos Alcaraz.

Der neue Führende der Weltrangliste: Carlos Alcaraz.

(Foto: Mary Altaffer/dpa)

Carlos Alcaraz steht erstmals an Position eins und hat dafür alle Anerkennung verdient. Doch man darf nicht so tun, als wäre dies eine normale Saison mit einer normalen Weltrangliste.

Kommentar von Jürgen Schmieder, New York

Tennis hat ein Problem. Am besten lässt sich das an Boris Becker beschreiben, und zwar daran, wie man ihn nennen kann. Nein, nicht die schrecklichen Spitznamen Bum-Bum oder Bobbele, sondern anhand der Triumphe. Becker ist: dreimaliger Wimbledon-Gewinner, zwölfmaliger Grand-Slam-Champion (sechs als Spieler, sechs als Trainer von Novak Djokovic), Olympiasieger (im Doppel 1992 mit Michael Stich), dreimaliger Weltmeister (hieß damals noch Tennis Masters Cup) und natürlich noch 49-maliger Turniergewinner. 1990/91 war er eine Weile lang konstant gut, das sorgte dafür, dass er zwölf Wochen lang die Weltrangliste anführte.

Die Tennis-Saison ist unterteilt in Turniere verschiedener Kategorien; die großen sind die Grand Slams - weshalb viele Nicht-Tennis-Aficionados glauben, die Saison sei mit Abschluss der US Open vorbei. Ist sie nicht, sie geht bis Ende November weiter. Es gibt Punkte, je nach der Kategorie eines Turniers, aus denen sich die Platzierung in der Weltrangliste ergibt; die immens wichtig ist für die Setzliste und überhaupt Berechtigung zur Teilnahme, und darin liegt das Problem der Sportart in diesem Jahr.

Tennis: Wäre vielleicht der Führende, hätte ich an allen Turnieren teilnehmen dürfen: Novak Djokovic.

Wäre vielleicht der Führende, hätte ich an allen Turnieren teilnehmen dürfen: Novak Djokovic.

(Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Die Weltrangliste soll die Ergebnisse der vergangenen zwölf Monate spiegeln; doch das tut sie derzeit nicht, und zwar aus nichtsportlichen Gründen. Zum Beispiel Novak Djokovic: Der durfte aus bekannten Gründen (Impfverweigerung) nicht an den Australian Open teilnehmen und nun aus eher nicht nachvollziehbaren nicht an den US Open. Darüber kann man vortrefflich debattieren, allerdings: Djokovic bekam obendrein keine Punkte für seinen Triumph in Wimbledon. Die englischen Veranstalter hatten den russischen und belarussischen Akteuren die Teilnahme verweigert, weshalb die Spielervereinigungen keine Weltranglisten-Punkte vergaben.

Man muss aufhören, so zu tun, als hätten Politik und Sportpolitik nichts miteinander zu tun

Wozu das führt, zeigt das Beispiel von Wiktoria Asarenka bei den Frauen: Die Belarussin bekam kürzlich kein Visum zur Einreise nach Kanada (ohne Angabe von Gründen); hätte sie wie im Jahr davor das Viertelfinale erreicht, wäre sie in New York an Platz 21 und nicht 26 gesetzt gewesen und hätte leichtere Aufgaben gehabt. Oder Elena Rybakina, in Russland geborene kasachische Wimbledon-Siegerin.

Es hatte Debatten gegeben in London, was es nicht gab: Punkte für die Siegerin, die alleine damit bei den US Open auf sechs gesetzt gewesen wäre und nicht auf 25. Oder die deutsche Wimbledon-Halbfinalistin Tatjana Maria: Sie hätte es wohl in die Setzliste der US Open geschafft und wäre dem Erstrunden-Duell mit Maria Sakkari (Griechenland, Nummer drei der Welt) aus dem Weg gegangen.

Es gibt immer Verzerrungen, und man muss aufhören, so zu tun, als hätten Politik und Sportpolitik nichts miteinander zu tun - sie sind eng verknüpft. Punkt. Der Blick auf die Weltrangliste soll auch keinesfalls den aktuell Führenden die Anerkennung verweigern (Carlos Alcaraz und Iga Swiatek sind immerhin die beiden US-Open-Gewinner). Man darf aber auch nicht so tun, als wäre das eine normale Saison und eine normale Weltrangliste.

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