Tennis vor den Australian Open:Deutsches Fräulein-Wunder sucht das Limit

Tennis vor den Australian Open: Eine vielversprechende Gruppe, die auf große Einzel-Erfolge hofft: Sabine Lisicki (ganz links, daneben Doppelspezialistin Anna Lena Grönefeld), die derzeit verletzte Andrea Petkovic, Julia Görges und Angelique Kerber bei einer Fed-Cup-Partie in Stuttgart im Februar 2012.

Eine vielversprechende Gruppe, die auf große Einzel-Erfolge hofft: Sabine Lisicki (ganz links, daneben Doppelspezialistin Anna Lena Grönefeld), die derzeit verletzte Andrea Petkovic, Julia Görges und Angelique Kerber bei einer Fed-Cup-Partie in Stuttgart im Februar 2012.

(Foto: imago sportfotodienst)

Angelique Kerber, Julia Görges, Sabine Lisicki, Mona Barthel: Eine Gruppe junger deutscher Tennis-Spielerinnen hat sich in die Weltspitze vorgekämpft. Die Branche träumt bereits von einem neuen Boom und einem Grand-Slam-Sieg. Wem ist das am ehesten zuzutrauen?

Von Thomas Hummel

Magdalena Neuner müssen die deutschen Tennis-Frauen nicht mehr fürchten: Die Biathletin wird ihnen keine Titel mehr streitig machen, nachdem sie zweimal der jeweils besten Tennis-Frau die Kür zur Sportlerin des Jahres vermasselt hat - 2011 Andrea Petkovic und 2012 Angelique Kerber. Nun darf niemand denken, dass im deutschen Tennis nur Platz eins zählt. Die einst so verwöhnte Sportart ist froh, dass sich die Spielerinnen an die zweiten Plätze herangerobbt haben.

Doch diese zweiten Plätze bringen alte Träume zum Vorschein, Träume vom neuen Tennis-Boom und vom Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Sie hängen in der Luft wie der Duft eines süßen Parfüms. Barbara Rittner, Chefin des Fed-Cup-Teams, sagt: Ein Grand-Slam-Sieg sei "nicht utopisch oder unrealistisch".

Doch auch Rittner weiß, dass bei den am kommenden Montag beginnenden Australian Open der Rücktritt von Serena Williams dienlicher gewesen wäre als Neuners. Zum Leidwesen der Grand-Slam-Sieg-Träumer deutet darauf indes nichts hin. Die 31 Jahre alte Amerikanerin beendete die Saison 2012 in fulminanter Form und hat 2013 prompt in Brisbane gewonnen. Wer in Melbourne triumphieren will, muss an ihr vorbei. Ob das für eine deutsche Spielerin realistisch ist?

Angelique Kerber

Nummer fünf der Welt, die erste Deutsche beim Masters-Turnier nach elf Jahren. Die 24-Jährige geht erstmals nicht als Jägerin, sondern als Gejagte in eine Saison. Und was macht die Kielerin da in der Spielpause rund um Weihnachten? Taucht ab. Auf den Malediven hat sie für einen Tauchschein viele Stunden unter Wasser verbracht, einen besseren Ort zum Abschalten wird sich kaum finden lassen. Zurück auf dem Platz reiht sie sich sogleich wieder ein unter den Besten. Auch wenn sie am Donnerstag ihr Halbfinale in Sydney gegen Dominika Cibulkova mit 2:6, 6:4, 3:6 verlor, es war die dritte Niederlage Kerbers gegen die Slowakin im dritten Spiel. Cibulkova entwickelt sich zu einer Art Angstgegnerin.

Dabei hatte sie selbst die Temperaturen in Australien von mehr als 40 Grad offenbar bestens vertragen. "Die Hauptsache ist, ruhig zu bleiben und zu überleben", sagte ihre polnische Kollegin Agnieszka Radwanska zum Wetter. Zieht man in Betracht, dass Kerber im vergangenen Jahr nur zwei von 21 Drei-Satz-Matches verlor, liegt die Vermutung nahe: Im Ruhigbleiben und Durchhalten ist die Kielerin Spezialistin.

Julia Görges

Mit 24 Jahren ging für die Frau aus Bad Oldesloe ein Traum in Erfüllung: Sie kann sehen, ohne Brille oder Kontaktlinsen. Bei sechs Dioptrien war das bislang nur eingeschränkt möglich, ohne Hilfsmittel hätte sie in den Spielpausen den Weg zu ihrem Stuhl kaum gefunden. Nun entschloss sie sich zu einer Laser-Behandlung in einem Kieler Krankenhaus, und siehe da: "Ich kann sogar 120 Prozent sehen", frohlockte Julia Görges. Da kann es auch beruflich nur aufwärts gehen!

Auf Platz 18 beschloss sie das Jahr 2012, für 2013 nahm sie sich vor, endlich konstanter ihre Möglichkeiten auf dem Platz umzusetzen. Bislang sah das so aus: Niederlage in der zweiten Runde von Auckland, Niederlage in der ersten Runde von Sydney. Julia Görges war bei den großen Turnieren bisher das nicht gehaltene Versprechen unter den deutschen Tennis-Frauen.

Ihr Bewegungstalent, ihr "besonderer Spin in den Schlägen" (Rittner) befähigen sie zur Aufnahme in den elitären Kreis der Allerbesten. Wenn Rittner von einem möglichen Grand-Slam-Titel spricht, fällt auch der Name Görges. Doch deren Konzentrationsschwächen und Selbstzweifel verwehren ihr bislang den großen Wurf.

Mona Barthel

Was für Angelique Kerber die Malediven sind, ist für Mona Barthel Neumünster: der perfekte Erholungsort. "Ich liebe es, zu Hause zu sein. Dort kann ich am besten regenerieren", sagt die 22-Jährige. Die Pause in Schleswig-Holstein führte erneut zu einem Schnellstart in die Saison: In Auckland verpasste Barthel nur knapp den Finaleinzug, in Hobart erreichte sie am Donnerstag das Halbfinale mit einem 6:3, 6:3 gegen Tsvetanka Pironkova aus Bulgarien und hofft auf eine Wiederholung ihres Überraschungserfolgs 2012.

"Ich habe sehr hart gearbeitet und denke, dass ich viel besser spiele als im vergangenen Jahr." Das verheißt Gutes, wenngleich die klimatische Vorbereitung auf Melbourne eher unglücklich verläuft. In Tasmanien herrscht kaltes, windiges Wetter.

Sabine Lisicki

Zumindest letztes Problem hat die 23-jährige nicht. Sie hält sich bereits seit Tagen in Melbourne auf und schickt per Twitter Bilder von ihr in der Rod-Laver-Arena rund um die Welt mit der Nachricht: "Ich liebe es einfach hier. Seid ihr schon genauso aufgeregt wie ich vor dem Start der Australian Open?" Ihre stets überbordende Fröhlichkeit kann dem nicht-amerikanischen Tennis-Beobachter bisweilen auf die Nerven gehen, doch für Sabine Lisicki ist es auch eine Facette ihres Erfolgs.

Bringt sie ihre Lebensfreude und fast kindliche Euphorie mit auf die große Tennis-Bühne, bekommen selbst Serena Williams oder Victoria Asarenka ein leichtes Unbehagen. Lisicki schleppt allerdings auch einige Probleme mit sich herum: So musste sie lernen, mit ihrer vor knapp zwei Jahren diagnostizierten Gluten-Allergie umzugehen. Auch sonst plagen Lisicki häufiger Wehwehchen, im zweiten Halbjahr 2012 erholte sie sich nur langsam von einer Bauchmuskel-Verletzung und verlor reihenweise Spiele.

Sie scheint daraus gelernt zu haben, sagte sie doch kurzfristig ihren Einsatz in der Qualifikation beim Turnier in Sydney ab. Den Anschluss an die Spitze hat sie indes vorerst verloren, in Melbourne ist Lisicki als 37. der Weltrangliste nicht gesetzt. Doch niemand im Feld wird sich spontan freuen, wenn die Auslosung ein Erst-Runden-Match gegen Sabine Lisicki vorsieht. Dazu ist sie inzwischen wieder viel zu gut gelaunt.

Annika Beck

Die 18-Jährige aus Bonn ist die Anfängerin unter den deutschen Frauen. Das merkt man schon daran, dass sie weder auf Twitter noch auf Facebook aktiv ist. Lisicki, Kerber und Andrea Petkovic füttern über diese Plattformen längst die Öffentlichkeit und halten so auch untereinander Kontakt, Mona Barthel gestaltet ihre eigene Internetseite und hält sie aktuell. Doch Annika Beck? Nichts.

Das hält sie aber nicht davon ab, auf dem Tennisplatz für Erstaunen zu sorgen. Auch sie ließ die Qualifikation in Sydney aus, aber nicht, weil sie eine Pause braucht, sondern weil sie schlicht zu gut spielt. Beim WTA-Turnier in Shenzhen in China verlor sie überraschend erst im Viertelfinale nach drei Sätzen gegen die Chinesin Peng Shuai, da blieb keine Zeit für Sydney. Dabei wuselte die knapp 1,70 Meter große Beck über den Platz und entnervte mit ihrem fehlerfreien Grundlinienspiel fast auch Shuai.

"Sie ist unglaublich zäh zu spielen, beißt sich in jedes Spiel rein und kämpft bis zum Umfallen. Bevor sie aufgibt, muss man sie vom Platz tragen", sagt die beeindruckte Rittner von ihrer jüngsten Hoffnung. Beck wird zum ersten Mal direkt im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers starten. Informationen darüber, ob Serena Williams ihren Namen kennt, liegen der SZ-Redaktion nicht vor.

Andrea Petkovic

Das erste Neuner-Opfer und damit die Vorreiterin für das neue deutsche Tennis-Fräulein-Wunder. Inzwischen aber abgehängt von den Kolleginnen, was schlicht an ihrem Körper liegt: Der will oder kann nicht so, wie Andrea Petkovic will. Einem Kreuzbandriss 2008 folgte der überehrgeizige Versuch, trotz Kniebeschwerden das Masters 2011 zu erreichen, was nicht gelang. Danach musste die 25-Jährige pausieren wegen Problemen im Rücken.

Und kaum dachte man, Petkovic ist zurück, ereilte sie das nächste Drama: Knieverletzung im ersten Spiel nach den Weihnachtsferien im Hopman Cup. Sie fürchtete den nächsten Kreuzbandriss, "ich sah mich schon als Alkoholikerin in einem Wohnwagen mit zehn Kindern . . ." gestand sie der Bild am Sonntag. Doch es war "nur" der Meniskus, wegen dem sie operiert werden musste.

Trotz der erzwungenen Absage für die Australian Open, trotz des Sturzes in der Weltrangliste auf Rang 125 will sie nicht aufgeben. "Ich habe noch so viel in mir drin, das ich noch zeigen will. Verletzt höre ich nicht auf. Nicht so", sagte sie. Barbara Rittner plagen da keine Zweifel: "Sie kommt hundertprozentig zurück, sie hat einen unglaublichen Willen."

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