Süddeutsche Zeitung

Tennis:Versuchsanordnung im Hangar

In Berlin wird Tennis mit Zuschauern erprobt - für die Branche sind die zwei Mini-Einladungs-Turniere zugleich Show und auch seriöser Zukunftstest.

Von Barbara Klimke, Berlin

Tommy Haas hat schon um vieles gespielt in seinem Leben: um Titel und Trophäen; dreimal um den Einzug ins Australian-Open-Finale; einmal, 2009, sogar vergeblich um die Chance, sich ins Endspiel von Wimbledon durchzuschlagen mit der vagen Aussicht, den Pokal mit der kleinen goldenen Ananas auf dem Deckel zu ergattern. Wenn er an diesem Montag in Berlin wieder auf dem Rasen steht, dann geht es um nichts dergleichen. Denn das Wichtigste, betont Organisator Edwin Weindorfer, seien Gesundheit und Hygiene. So ist es auch amtlich vermerkt: "Höchste Priorität bei der Veranstaltung hat die Gesundheit aller beteiligten Personengruppen", hält das 59-seitige Schutzkonzept fest, dem der Berliner Senat den Stempel gab.

Erstmals seit Beginn der Covid-19-Pandemie duellieren sich in Deutschland in dieser Woche internationale Tennisprofis. Zwar nur bei zwei Mini-Schauwettkämpfen und streng isoliert unter einer unsichtbaren Schutzglocke. Aber dem zahlenden Publikum ist nun wieder der Zutritt gestattet: 800 Zuschauer werden ins Steffi-Graf-Stadion beim LTTC Rot-Weiß Berlin hineingelassen, das normalerweise 5000 Personen fasst; 200 in einen Hangar auf dem Tempelhofer Flughafen, wo ab Freitag Teil zwei des "Bett1Aces" genannten Turnierdoppels über die Bühne geht: mit Abstandsregelung, Adressenvermerk, freien Sitzreihen zwischen den Plätzen und Mund-Nase-Bedeckung. Die Spieler werden aus ihrem abgeschotteten Hotel in einem Auto ("entkeimt") zur Anlage und zurück chauffiert. Und die einzige Extravaganz, die sich Tommy Haas, 42, leisten will, ist, eventuell mal den Wagen anhalten zu lassen, um ein Foto zu schießen. Schließlich, sagt er, "war ich 1991 das letzte Mal hier".

Mit Görges und Haas

Zwei kurze Tennis-Einladungsturniere finden in dieser Woche in Berlin statt: Von Montag bis Mittwoch wird beim LTTC Rot-Weiß im Grunewald auf Rasen gespielt. Von Freitag bis Sonntag auf Hartcourt in einem Hangar in Tempelhof. Geladen sind 13 Profis, darunter die deutschen Spielerinnen Julia Görges, Andrea Petkovic sowie die frühere Wimbledonsiegerin Petra Kvitova. Bei den Männern u.a. Tommy Haas, Jan-Lennard Struff und der Österreicher Dominic Thiem. Am Montag (12 Uhr, Europsort) werden zunächst Viertelfinals gespielt, u.a. Haas - Jannik Sinner (Italien). Am Dienstag folgen die Halbfinals.

Es ist eine interessante Versuchsanordnung, die der Tennisveranstalter Weindorfer da an zwei unterschiedlichen Standorten in Berlin aufbaut: zugleich Show-Event und seriöser Zukunftstest. Denn auch die Tennisbranche muss womöglich noch länger mit dem Virus leben. Und deshalb sind die beiden Berliner Einladungsturniere für 13 Spieler (sechs Frauen, sieben Männer) auch als ein verantwortungsbewusster Gegenentwurf zu der sonnig-sorglosen Adria-Tour des Weltranglistenersten Novak Djokovic konzipiert, auf der sich im Juni gleich mehrere Spieler und Begleiter mit Covid-19 infizierten. Die Bilder des deutschen Spitzenspielers Alexander Zverev, der dort hemdlos auf einer Party feierte, wurden weithin mit Befremden aufgenommen. Wie derlei Eskapaden dem Sport insgesamt schadeten, hat am Wochenende noch einmal Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann an anderer Stelle, in Bad Homburg, zu Bedenken gegeben. Weindorfer indes wollte Zverevs späte Absage für Berlin am Samstag nicht weiter kommentieren; er beließ es bei der Bemerkung, dass der junge Profi damit unter anderem die Chance versäume, sich kritischen Fragen zu stellen. Die Umsetzung des medizinischen Konzeptes hat unterdessen auch das Interesse der Profitouren der Männer (ATP) und Frauen (WTA) auf sich gezogen. Beide Organisationen stehen seit Wochen unter Zugzwang, nun ihrerseits verbindlich dazulegen, wie sie sich die Fortsetzung der Saison und die neue hygienische Normalität im Tennis vorstellen. ATP und WTA wollen daher zur Wochenmitte Beobachter nach Berlin entsenden.

Dass sie dort auf kompetente Gesprächspartner treffen, ist garantiert: Denn der in Los Angeles lebenden Tommy Haas konnte den Ernst der Lage so früh bezeugen wie kaum ein anderer im Geschäft. Haas wird seit langem von Manager Weindorfer betreut und ist in Berlin drei Jahre nach seinem Rücktritt von der Tour in der Doppelrolle als Spieler und Publikumsliebling vorgesehen. Aber er arbeitet auch als Turnierdirektor in Indian Wells - bei jenem Turnier, das als erstes weltweit kurz vor dem ersten Aufschlag die Spieler nach Hause schicken musste: Es hatte damals, Anfang März, einen Corona-Fall in der Umgebung gegeben. Unumstritten war die Absage bei den Profis nicht, aber im Nachhinein, sagt Haas, "war es klar, dass es richtig war".

Er ist seit acht Tagen in Deutschland, ausgestattet mit einem ärztlichen Attest, und wurde wie alle Kollegen in Berlin getestet. Die Frage, ob die Profi-Tour, wie geplant, im August in den USA den Betrieb aufnehmen wird, kann auch er nicht beantworten: "Die Turniere in den USA hatten Zeit, sich darauf vorzubereiten, ich gehe davon aus, dass es zu den Spielen kommen wird", sagt er. Aber womöglich hängt auch das von dem 56-Seiten-Hygienekonzept in Berlin ab.

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SZ vom 13.07.2020
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