Zverev bei den US Open:Was wollnse denn?

US Open

Muss nun als Anwärter auf den Turniersieg gelten: Alexander Zverev steht bei den US Open im Halbfinale.

(Foto: dpa)

Mit einer unerwartet erwachsenen Leistung zieht Alexander Zverev ins Halbfinale der US Open ein - und lässt sogar die Kritik von Tennis-Legende Martina Navratilova an sich abprallen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Alexander Zverev guckte verblüfft in die Kamera und rückte sich die Maske zurecht. Er trug keinen schicken Schutz eines Sponsors oder was mit gesellschaftlicher Botschaft darauf, sondern eine hellblaue Einmal-Wegwerf-Maske. Ein Reporter hatte ihm nach dem Sieg im US-Open-Viertelfinale mitgeteilt, dass Tennis-Legende Martina Navratilova gesagt hätte, dass er mit so einer, frei übersetzt, Pille-Palle-Zockerei wie gegen Borna Coric (Kroatien) keine Chance habe, besonders viele Matches zu gewinnen, schon gar nicht gegen die Besten in diesem Sport.

Wer Zverev kennt, der weiß, dass nun ein paar Reaktionen möglich waren - von "Was ist das für eine Scheißfrage?" (US Open 2015) bis zum Verlassen des Video-Gesprächs (Ultimate Tennis Showdown vor fünf Wochen) war vieles vorstellbar. Zverev wählte eine Mischung aus Roger Federer und Per Mertesacker, der einen Reporter nach dem Achtelfinal-Sieg bei der WM 2014 auf den Hinweis spielerischer Mängel angeblafft hatte: "Was wollnse denn? Wollnse ne erfolgreiche WM - oder sollen wir wieder schön spielen und ausscheiden?"

Zverev rückte also seine Maske zurecht, er nahm sich Zeit, dann sagte er, es war der Federer-Teil der Antwort: "Sie ist natürlich eine mehrfache Grand-Slam-Siegerin, aber vielleicht sollte sie sich mal meine Bilanzen gegen die Besten ansehen." Er hat tatsächlich alle schon besiegt, Novak Djokovic gar im Finale der ATP Finals 2018, seine Bilanz gegen Roger Federer ist positiv (4:3). "Ich weiß, dass ich besser spielen kann", sagte Zverev, und dann folgte der Mertesacker-Moment: "Aber ich bin jetzt im Halbfinale der US Open, zum zweiten Mal nacheinander bei einem Grand-Slam-Turnier, da interessiert mich diese Meinung nicht."

Ein paar spielerische Mänge offenbarte Zverev schon

Seit Jahren wird Zverev als Auserwählter dieses Sports gefeiert, in dem er aufgewachsen ist, seit Bruder Mischa im Jahr 2005 Profi wurde. Sein Leben besteht, seit er acht Jahre alt ist, aus Tennis, Tennis und Tennis. Es ist natürlich schön, wenn einem der Weg so vorgezeichnet wird, und Zverev scheint diesen Weg ja auch gehen zu wollen, aber gab es da eben ein paar Hürden in dieser immer noch sehr jungen Laufbahn - Zverev ist gerade mal 23 Jahre alt. Schön würde er spielen, hieß es immer, aber gerade in Partien über drei Gewinnsätze würde er implodieren oder die Nerven verlieren. So werde das nichts mit den großen Triumphen.

Nun hat Zverev beim 1:6, 7:6(5), 7:6(1), 6:3 gegen Coric nicht schön gespielt, aber er behielt die Nerven, was gegen einen giftigen und ausgebufften Gegner ein mentales Meisterwerk war - und die Leute sind immer noch nicht zufrieden? Was wollnse denn?

Man könnte nun freilich über die spielerischen Mängel reden, Zverev hat zum Beispiel zu häufig die Kontrolle über Ballwechsel abgegeben, die vorsichtige Variante des zweiten Aufschlags ist immer noch wackelig, er baut viele Punkte eindimensional mit Cross-Grundschlägen auf und ist somit arg vorhersehbar. Man könnte aber auch darüber reden, wie er so eine Partie gewonnen hat, die es übrigens nicht nur beim Fußball gibt, sondern auch beim Tennis; unvergessen ist der Netzroller von Boris Becker in der zweiten Runde der US Open 1989, mit dem er gegen Derrick Rostagno einen Matchball abwehrte - und das Turnier später gewann.

Zverev hatte seinem Gegner in den ersten beiden Sätzen jeweils ein Aufschlagspiel geschenkt, im ersten mit drei Doppelfehlern und im zweiten nach 40:0-Vorsprung mit Doppelfehler und drei leichten Fehlern an der Grundlinie. Da hatte er übrigens schon minutenlang mit Schiedsrichterin Eva Asderaki-Moore (er hatte Recht, was aber nichts half) debattiert, was bei Zverev gewöhnlich zu einer Implosion stellaren Ausmaßes führt. Er blickt dann nach fast jedem Ballwechsel hinauf zur Box, manchmal klagend, oft flehend.

Zverev wirkt plötzlich erwachsen

Nur: Bei diesen US Open sitzen da nicht wie gewöhnlich sein Vater oder Bruder Mischa, beide fiebern von Europa aus mit (Mischa verdrückte während der Partie gegen Coric aus Nervosität einen kompletten Kuchen), auch der neue Trainer David Ferrer ist nicht mit nach New York gekommen. Auf der Tribüne saßen Fitnesstrainer Jez Green und Physiotherapeut Hugo Gravil. Nur mal so ein Gedanke: Kann es sein, dass Zverev in dieser schwierigen Partie eine Lösung gefunden hat, weil er alleine war?

Ein Tennisspieler kann ja so viele Leute um sich herum versammeln, wie er will - auf dem Platz ist er allein wie in kaum einer anderen Sportart. Coaching ist streng verboten, also müssen die Spieler selbst mit Brüchen im Spiel und schwierigen Momenten zurecht kommen. Viele blicken dennoch gerne nach oben zu ihren Vertrauten oder suchen Blickkontakt zu Zuschauern; die in diesem Jahr ebenfalls nicht da sind. So eine Partie ist deshalb, mehr noch als sonst, das Duell zweier Profis, die stundenlang mit sich alleine sind. Zverev musste alleine eine Lösung finden, und er fand sie. Er ist, wenn man so will, erwachsen geworden bei den US Open.

Im Halbfinale trifft Zverev nun auf den Spanier Busta

"Ich musste das erst lernen, dass gerade bei einem Spiel über fünf Sätze viel passieren kann", sagt Zverev nun. Bei den Australian Open in diesem Jahr verlor er gegen Stan Wawrinka den ersten Satz ebenfalls mit 1:6 und kam zurück. Gegen Coric zeigte er nun zusätzlich zur Gelassenheit, dass er seinem Spiel - vielleicht auch unfreiwillig - ein paar Varianten hinzugefügt hat: Der vorsichtige zweite Aufschlag ist eine Schwäche? Knallt er ihn eben manchmal mit knapp 220 km/h übers Netz, der Ertrag lohnt das Risiko. Der Gegner ist giftig und greift an? Zieht er sich komplett in die Defensive zurück und kontert präzise. Coric deutet durch erneuten Wechsel der Kleidung innerhalb weniger Minuten an, dass er nervös ist? Volle Attacke. Es ist keine Schwäche, schlecht zu spielen; das kommt vor. Es ist eine Stärke, dennoch zu gewinnen.

Es ist gerade für deutsche Beobachter verführerisch, bei Sportlern zu motzen und nach Fehlern zu suchen. Dieses Turnier findet in den USA statt, und dort gibt es eine Weisheit, derzufolge so ziemlich jeder brillant spielen und gewinnen kann - wahre Champions jedoch fänden auch in der Krise einen Weg, eine Partie oder ein Turnier doch zu gewinnen. Boris Becker sagte als Trainer von Djokovic, dass es fatal wäre, bei einem Grand Slam spielerisch zu früh zu glänzen. Das solle man sich für die wichtigen Partien aufheben, bei Zverev also im Halbfinale gegen den Spanier Pablo Carreño Busta, der am Dienstagabend eine Schlacht gegen den Kanadier Denis Shapovalov und 3:6, 7:6(5), 7:6(5), 0:6, 6:3 gewann.

Also: Was wollnse? Die deutsche Nationalelf ist nach dem Mertesacker-Moment Weltmeister geworden, und sie hat dabei, es sei an dieses 7:1 gegen Brasilien acht Tage nach dem Spiel gegen Algerien erinnert, auch spielerisch überzeugt.

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