Man muss bei den Tennis-Schwestern Venus und Serena Williams oft an einen Satz aus dem fast 100 Jahre alten Essay von Zora Neale Hurston über das Person-of-Color-Sein denken: „Ich fühle mich dann am farbigsten, wenn ich gegen einen krassen weißen Hintergrund geworfen werde.“ So auch am Montagabend in New York. Die 45 Jahre alte Venus hatte die Leute im größten Tennisstadion der Welt begeistert; sie wurde zwei Stunden lang angefeuert und nach dem 3:6, 6:2, 1:6 gegen die an Nummer elf gesetzte Karolina Muchova mit Ovationen verabschiedet. Sie lief durch die Katakomben, hielt kurz inne vor einem Foto des Mannes, nach dem diese Arena benannt ist. Williams war komplett in Weiß gekleidet und stand vor einem riesigen Schwarz-Weiß-Porträt von Arthur Ashe. Sie senkte den Kopf und atmete ein-, zwei-, dreimal tief ein.
Was für ein Bild dieser beiden Menschen, die so viele Grenzen im Tennissport eingerissen haben, der über viele Jahrzehnte nicht nur wegen der Kleidung als weißer Sport galt.

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Tennisprofi Eva Lys leidet an einer rheumatischen Autoimmunkrankheit – und muss akzeptieren, dass sie gute und schlechte Tage hat. Bei den US Open glaubt sie an viele gute.
Es ging dabei nicht nur um die Hautfarbe, sondern um die Kultur. Fast alles, wofür die Williams-Schwestern standen, war im Tennis verpönt: starke, selbstbewusste Frauen mit Perlen in den Haaren, die ungeschönt ihre Meinung sagten und auf dem Platz gelegentlich genauso ausrasteten wie ihre männlichen Pendants. Den Weg, den Spielerinnen heutzutage als Tennisprofis beschreiten, hat Venus Williams zu einem erheblichen Teil mit freigesprengt.
„Ich habe noch nie erlebt, dass ein Publikum so auf meiner Seite gewesen ist wie heute“, sagt Williams
Das war auch eine Belastung: dauernd sozusagen gegen einen weißen Hintergrund geworfen zu werden – und sieben Grand-Slam-Titel immer auch stellvertretend für etwas Größeres zu gewinnen. Wie befreiend muss es da sein, am Ende der Karriere einfach mal für sich spielen zu dürfen? Wenn einen also knapp 24 000 Zuschauer nicht als Stellvertreterin feiern (oder schmähen) – sondern weil man ist, wer man ist? „Ich habe noch nie erlebt, dass ein Publikum so auf meiner Seite gewesen ist wie heute“, sagte Williams in New York: „Völlig egal, ob ich am Verlieren war. Sie waren bis zum Ende komplett bei mir, das fühlte sich großartig an.“
Im Juli vergangenen Jahres war Venus Williams an der Gebärmutter operiert worden; es wurden Wucherungen entfernt, die sie davor 30 Jahre lang immer wieder gequält hatten. Sie spielte keine Partien – bis zu diesem Tennissommer in Nordamerika. „Ich habe drei Monate lang ohne Pause trainiert. Ich war nicht auswärts essen, habe keine Freunde getroffen, es gab keinen freien Tag“, sagte sie nun: „Es hat Spaß gemacht, es jetzt richtig krachen zu lassen und auf die Bälle einzuprügeln.“

Sie sah dann kurz rüber zu Andrea Preti, mit dem sie seit ein paar Wochen verlobt ist. Der italienische Schauspieler war während der Partie einer der Lautesten gewesen und saß nun mit dabei im Presseraum. „Wenn du mit gesundheitlichen Problemen antrittst, dann setzt sich das im Kopf fest. Du bist dann auch mental gefangen und eingeschränkt“, sagte sie: „Es war schön, endlich wieder frei zu sein.“ Sie senkte den Kopf, atmete tief ein, dann kullerten Tränen aus ihren Augen.
Venus Williams wird in diesem Jahr keine weiteren Turniere spielen. Sie ließ aber offen, 2026 womöglich erneut bei den Wettbewerben in Nordamerika im Frühling und Sommer anzutreten. Irgendwann wird sie ihre Karriere beenden, und natürlich werden die Veranstalter dann irgendeinen Ort auf der Anlage in Flushing Meadows nach ihr benennen. Wie wäre es mit der Allee vom Haupteingang zum Arthur Ashe Stadium? Der Name wäre eine Beschreibung ihres Lebens: The Venus Way.

