Es kann keinen schlimmeren Gang zum Netz geben als jenen, den Taylor Townsend am Sonntag absolvieren musste. Acht Matchbälle hatte sie im zweiten Satz gegen Barbora Krejcikova aus Tschechien vergeben, sieben davon im Tiebreak des zweiten Satzes. Die Kinder, die mit überdimensionalen Tennisbällen für Signaturen der Spielerinnen am Spielfeldrand im Louis Armstrong Stadium gewartet hatten, warten immer noch in der Hoffnung auf eine Begegnung mit der Wohlfühl-Protagonistin dieser US Open. Sie jubelten und jauchzten, nur: Townsend hatte verloren, trotz der Matchbälle, 6:1, 6:7 (13), 3:6 nach mehr als drei Stunden Spielzeit. Townsend musste der Siegerin gratulieren. Danach verließ sie ohne Signaturen für die Kinder die Arena, Tränen liefen über ihr Gesicht.
Dabei hatte man gedacht, dass sie die unerfreulichste Begegnung am Netz bereits erlebt hatte. Jelena Ostapenko aus Lettland hatte Taylor Townsend, 29, nach ihrer Zweitrunden-Niederlage mangelnde Bildung vorgeworfen. Das ist in den USA historisch klar rassistisch konnotiert. Ostapenko hat sich mittlerweile entschuldigt. Plötzlich redeten alle über Townsend wie schon 2012: Damals hatte sie im Alter von 15 Jahren die Australian Open der Juniorinnen gewonnen; der US-Verband weigerte sich dennoch, sie zu den US Open einzuladen oder die Reisekosten zu übernehmen. Als Begründung hieß es, sie sei nicht fit genug.
Versteckte Botschaft dahinter: Man befand Townsend für zu dick. Es gab heftige Debatten über eine junge Frau im Teenageralter, die dieses ungeheuerliche „Body Shaming“ enorm belastete.
„Es hat einen Haufen hasserfüllter Kritiker gegeben, von denen ich lange gehört habe, dass ich es nie schaffen würde“, sagte sie 2019 nach ihrem erstmaligen Einzug in ein Grand-Slam-Achtelfinale, in New York, wo sie zuvor so geschmäht worden war. „Ich mag mich so, wie ich bin“, sagte sie. Sie wurde damit zum Vorbild all jener, die nicht anhand ihrer Leistungen oder ihrer Spielweise bewertet werden, sondern nach anderen, diskriminierenden Kriterien. Sportlich nämlich ist Townsend ein Spektakel: Sie spielt aggressiv, oft Serve-and-Volley, mit feinem Händchen am Netz. Das macht sie zur derzeit besten Doppelspielerin der Welt. Mit ihrer Tennispartnerin Katerina Siniakova aus Tschechien gewann sie 2024 in Wimbledon und im Februar die Australian Open.
Tennisspielerin Townsend begeistert und berührt das Publikum bei den US Open
Genau deshalb lieben sie die New Yorker: Sie nimmt die Zuschauer mit in ihre Gefühlswelt, wie es sonst nur Landsmann Ben Shelton gelingt. Sie begeistert und berührt, ob mit Gesten oder Gebrüll nach Gewinnschlägen oder verzweifelter Mimik nach Fehlern – wie dem „Das kann doch nicht wahr sein“-Gesichtsausdruck nach dem achten vergebenen Matchball. Die Leute machen mit, sie feierten bislang vier wilde Partys mit Townsend – auch wenn diese am Sonntag gegen die frühere Paris- und Wimbledonsiegerin Krejcikova eine dramatische Wende erlebte. Traurigkeit ist weniger schlimm, wenn man sie mit jemandem teilt: In diesem Fall waren es mehr als 14 000 Menschen in der zweitgrößten Arena auf der Anlage. Sie verabschiedeten Townsend, als hätte sie gerade nicht ein Achtelfinale verloren, sondern das Turnier gewonnen.
„Es ist schön, dass die Leute gesehen haben, wer ich wirklich bin“, sagte sie später. Zehn Minuten Wut und Trauer habe sie sich gegönnt, dann habe ihr vier Jahre alter Sohn Adyn Aubrey sie aufgemuntert: „Ich bin stolz auf mich, weil ich ich war. Ich habe mit das beste Tennis meines Lebens gespielt; ich habe eine Show geliefert, gegen eine zweimalige Grand-Slam-Siegerin. Ich weiß, dass ich das Tennis spiele, das ich spielen muss, um zu den Top Ten zu gehören oder ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen.“
Und sie betonte: „Die Show ist noch nicht vorbei.“ Im Doppel ist sie noch im Turnier, Montagnacht sollte das top gesetzte Duo sein Achtelfinale bestreiten. „Das ist doch das Coole am Tennis“, sagte Taylor Townsend: „Völlig egal, was am Tag davor passiert ist: Du steigst gleich wieder in den Sattel und reitest weiter.“


