Nein, man musste sich keine Sorgen machen, als Novak Djokovic Mitte des dritten Satzes prüfte, ob er die Partie gegen Jan-Lennard Struff zur Not auch mit dem linken Arm beenden könnte. Der rechte Unterarm zwickte, er hatte sich behandeln lassen. Nun rotierte er den Schläger mit dem linken Zeigefinger wie der Pistolero den Colt und führte danach Schlagbewegungen mit links aus und wirkte sehr zufrieden. Bei allem Respekt vor dem Gegner, der auf seinem Weg in dieses Achtelfinale die Top-20-Tennisspieler Holger Rune (Dänemark) und Frances Tiafoe (USA) besiegt hatte: Djokovic hätte beim 6:3, 6:3, 6:2 gegen Struff tatsächlich mit der linken Hand spielen können, so grandios agierte er.
In gewisser Weise erlebte Struff das, wovor sich Djokovic gefürchtet hatte bei seinem Ausflug zum Baseball vor ein paar Tagen. Die New York Mets hatten eingeladen ins Stadion auf der anderen Seite der U-Bahn-Station in Flushing, um ein paar Bälle zu schlagen. „Die haben mir die langsamsten Dinger serviert, also habe ich getroffen“, sagte Djokovic: „Das sah im Fernsehen toll aus. Aber wenn die mit 160 km/h geworfen hätten …“

Deutsche bei den US Open:„Wir können nichts schönreden“
Nur drei Frauen und drei Männer: Bei den US Open sind so wenige deutsche Tennisprofis im Hauptfeld wie seit 1983 nicht mehr. Im Gegensatz zu anderen Nationen, Italien etwa, gelingt es hierzulande kaum, Talente zu mobilisieren.
Struff, 35, hatte im Achtelfinale der US Open gehofft, dass ihm der Serbe im achten Duell tatsächlich Dinger servieren würde, mit denen er etwas anfangen kann. Dass Djokovic, 38, vielleicht wirklich nicht mehr ganz so flink in die Ecken hetzt wie zu fittesten Zeiten; dass der in den ersten Runden immer wieder mal zwickende Rücken und Nacken konstant schnelle Aufschläge verhindern würde. Dann habe er vielleicht die Chance, zum ersten Mal gegen den Serben gewinnen zu können, dachte Struff.
„Er hat sich gleich zu Beginn behandeln lassen. Da dachte ich kurz: Oh, was ist denn da los? Dann aber macht er kurz so …“, sagte Struff und simulierte eine Nacken-Einrenk-Bewegung: „Dann kommt der nächste Ball wieder reingeschossen, und du denkst: Okay, alles klar!“ Er zählte all die Sachen auf, die er probiert hatte: Attacken mit Serve-and-Volley, Bälle nur reinspielen und auf Fehler hoffen, sich zwischen den Ballwechseln Zeit lassen. In Wimbledon, gegen Carlos Alcaraz, hatte manches davon funktioniert, aber gegen Novak Djokovic, in dieser Verfassung, hatte er keine Chance.

„Das war viel zu gut, er hat mich dann schon zerpflückt“, sagte Struff: „Ich hatte davor noch nie gegen ihn gewonnen. Irgendwann kriegst du das Gefühl: Das weiß ich, das weiß er. Dann ist er eben in seiner Komfortzone.“
Vielleicht ist „Komfortzone“ der entscheidende Begriff für Djokovic bei diesen US Open. Er wirkt bislang komplett bei sich und seinem Ziel, den 25. Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Gerade im Vergleich zu seinem Auftritt bei den Australian Open, seinem Lieblings-Grand-Slam-Turnier, das er zehnmal gewonnen hat. Zu Beginn war er damals zu Späßchen aufgelegt, doch dann wurde er sichtbar angespannt, unzufrieden. Er ärgerte sich derart über die Aussage eines Lokalreporters („abgehalftert“, „überschätzt“), dass sich die serbische Botschaft einschaltete. Nach der folgenden Partie verweigerte er das obligatorische Interview auf dem Platz; auch über die Zusammenarbeit mit Trainer Andy Murray, von dem er sich danach trennte, wirkte er unzufrieden.

Nun in New York: kein Ärger, kein Drama. Er macht Späßchen mit den Zuschauern, trainiert beim Baseball mit, gibt nach den Kurzinterviews auf dem Platz direkt nach den Matches den Tennisschläger-Violinvirtuosen. Und dann folgen wieder gnadenlose Schläge auf dem Platz. Er benötigt diesen scheinbaren Widerspruch: Komfortzone bedeute für Djokovic auch, sich ans Alter anzupassen. „Der Großteil meiner Laufbahn war Laufen, Rutschen, Kämpfen – daran wird sich nichts ändern“, sagte Djokovic: „Aber: Ich kann jetzt aggressiver sein. Heute zum Beispiel habe ich besser serviert als einer, der bislang mit die meisten Asse im Turnier geschlagen hat.“ Er meinte Struff.
Auch sein kommender Gegner ist verblüfft über brillante Djokovics Form in New York
Djokovic hatte in der Winterpause seine Aufschlagbewegung umgestellt und seitdem verfeinert. Den ersten Aufschlag schickt er in New York acht km/h schneller übers Netz als 2024, den zweiten mit sechs km/h, und er betonte: „Ich nutze das Feld gut aus und treffe die Punkte, die ich will. So kann ich, wenn ich es brauche, aggressiver sein und auch Serve-and-Volley einstreuen.“ Er muss seinen Körper nicht mehr derart schinden, um länger dabei zu sein. Was ist das für eine Botschaft, wenn der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte sagt, dass er nochmals an seinem Spiel gefeilt habe, um mit 38 variabler spielen zu können?
Der Amerikaner Taylor Fritz, Nummer vier der Weltrangliste, hatte vor dem Djokovic-Match sein Achtelfinale gegen den Tschechen Tomas Machac gewonnen (6:4, 6:3, 6:3). Danach verfolgte er in den Katakomben der Arena die Entscheidung, wer ihn im Viertelfinale erwarten würde. Fritz schüttelte immer wieder den Kopf darüber, wie gut Djokovic spielte. Später sagte er: „Deshalb sind die Besten die Besten: Gerade in wichtigen Momenten schenken sie dir nichts. Du musst es dir selbst verdienen.“ Seine Bilanz gegen Djokovic: 0:10.
Das weiß Fritz, das weiß Djokovic – und der weiß, dass er sich in seiner Komfortzone befindet. Als er gegen Struff von Physiotherapeuten behandelt wurde, gab es keine wütenden Blicke oder Rufe in Richtung seiner Box wie in der Vergangenheit. Er lehnte sich zurück und aß ein paar Melonenstückchen.

