Tennistrainer Sascha Bajin:"Das Finale würde ich in einer Bar in New York gucken"

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Anspannung im Endspiel: Sascha Bajin hat Serena Williams und Naomi Osaka schon zu Grand-Slam-Titeln geführt - 2018 standen sich die beiden Tennisspielerinnen im Finale der US Open gegenüber. (Foto: Elsa/AFP)

Sascha Bajin war als Trainer bei Grand-Slam-Titeln von Naomi Osaka und Serena Williams dabei, nun will er Karolina Pliskova zum US-Open-Sieg führen - von München aus. Ein Gespräch über Hilflosigkeit und Worst-Case-Szenarien.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es ist dann doch ein bisschen kurios: Der Reporter sitzt in New York, keine fünf Meter von Karolina Pliskova entfernt im Arthur Ashe Stadium. Die Favoritin aus Tschechien hat gerade ihr Erstrundenmatch bei den US Open gewonnen, nun ruht sie sich in den Katakomben aus. Ihr Trainer Sascha Bajin meldet sich, allerdings per Telefon aus München, er darf wegen Visa-Problemen nicht in die USA einreisen. Der 36-Jährige will Pliskova, 2016 in New York Endspielgegnerin von Angelique Kerber und heuer Wimbledon-Finalistin, dennoch zum ersten Grand-Slam-Titel führen. Im Gespräch geht es um Einsamkeit von Tennisspielern, geistige Gesundheit und Worst-Case-Szenarien.

SZ: Herr Bajin, wo haben Sie die Partie von Karolina Pliskova geguckt?

Sascha Bajin: Ich konnte den Kanal, auf dem das Spiel gezeigt wurde, leider nicht empfangen; also bin ich zu einem Kollegen in München gefahren. Ganz ehrlich: Ich habe mich ziemlich hilf- und nutzlos gefühlt.

Hat es in den Finger gejuckt, während der Partie eine SMS ans Team zu schicken?

Bei Grand-Slam-Turnieren ist Coaching bekanntermaßen verboten. Wir hatten bei anderen Veranstaltungen, wo es erlaubt gewesen wäre, kurz überlegt, ob ich dem Ehemann (Michal Hrdlicka, Anm. d. Red.) eventuell mitteile, sollte mir was auffallen. Wir haben das aber gelassen. Ich wollte mich da nicht einmischen, die sollten sich auf das Match konzentrieren und nicht auf mich. So ist das jetzt auch, obwohl ich zugeben muss, dass ich mir trotz des klaren Sieges ein paar Mal auf die Zunge gebissen habe.

Warum genau sind Sie nicht in New York?

Ich bin wegen der Pandemie länger in den USA geblieben, als ich es laut Visum hätte tun dürfen. Es gab die Möglichkeit, es vor Ort zu verlängern, nur bekam ich keinen Termin und musste in der Zwischenzeit nach Spanien, um dort mit Karolina zu arbeiten - konnte das Visum in Spanien aber nicht verlängern. Das Problem, das übrigens auch viele andere Leute hatten: Wenn man einen Tag länger in den USA bleibt als erlaubt, wird das Visum ungültig - man kann es dann nicht verlängern. Es ist alles geklärt, aber es dauerte zwei Monate, bis ich einen Termin im Konsulat bekam: 9. September, nicht rechtzeitig.

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Gab es keine Möglichkeit, das zu beschleunigen?

Ein Grand-Slam-Turnier gilt nicht als Notfall - übrigens auch nicht der Wasserschaden in meinem Haus in Florida. Das ist alles gerade ein wenig unglücklich. Es ist schlimm für mich, dass ich nicht für Karolina da sein kann.

Es geht nicht nur um die Partien selbst.

Klar, wenn eine Spielerin mal zur Box guckt, kann man sie durch einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck oder eine geballte Faust beruhigen. Aber man ist nicht nur während einer Partie der Trainer. Wer mich kennt, der weiß: Ich bin immer für meine Spielerin da, 52 Wochen im Jahr, jeden Tag, mit Herzblut. Es geht um die Vorbereitung auf so ein Turnier, um die Taktik für ein Spiel, und manchmal geht es darum, einfach emotional für jemanden da zu sein.

Wie lösen Sie das Problem ?

Es gibt die Routine-Gespräche vor und nach der Partie - das können wir per Video erledigen. Wir sprechen abseits davon mindestens ein Mal pro Tag und hinterlassen uns Nachrichten. Ich bekomme darüber hinaus viel Feedback von Trainer Leos Friedl, der sie nun betreut, sowie vom Physiotherapeuten und vom Ehemann. Das hilft ein wenig.

Es ersetzt aber nicht den persönlichen Kontakt.

Auf keinen Fall, und ich will nicht so tun, als könne man jemanden von der Couch in München aus betreuen. Wir arbeiten erst seit Jahresbeginn zusammen, wir lernen uns noch immer kennen - und für manche Themen muss man den perfekten Zeitpunkt finden; also zum Beispiel, wenn man was sagen will, dass die Spielerin vielleicht nicht ganz so gerne hört. In anderen Momenten muss ich warten, bis Karolina auf mich zukommt. Tennis ist ein emotionaler Sport, die Spieler sind Charaktere und auf dem Platz oft mehrere Stunden allein. Es erfordert Sensibilität: Wann braucht eine Spielerin Feedback, wann halte ich mich lieber zurück?

Austausch während des Seitenwechsels: So hätten Spieler und Trainer gerne Coaching im Tennis. Karolina Pliskova und Sascha Bajin (hier im Frühjahr zusammen nach dem Training in Abu Dhabi) können derzeit nicht mal an einem Ort sein. (Foto: Rob Prange/imago)

Es wird derzeit sehr viel über geistige Gesundheit im Profisport gesprochen - auch wegen Naomi Osaka, die Sie zu zwei Grand-Slam-Titeln geführt haben. Sie hatte die French Open abgebrochen und nun wieder offen über das Thema geredet.

Ein unfassbar wichtiges Thema, das mich umtreibt. Man sieht gerade bei vielen jungen Spielerinnen, dass sie nicht in der Lage sind, ihr volles Potenzial auszuschöpfen - das hat sehr häufig mit dem Kopf zu tun. Wie schon gesagt: Man ist beim Tennis allein auf dem Platz, wegen des Code of Conduct muss man seine Emotionen im Griff haben. Ich habe kürzlich ein Buch geschrieben, das gerade in Japan auf den Markt gekommen ist. Ich hoffe, dass es bald auch in Deutschland erscheinen wird. Mein Wunschtitel: "50 Wege zu mentaler Stärke".

Karolina Pliskova ist keine junge Spielerin mehr. Sie hat 16 Titel gewonnen, war bei jedem Grand-Slam-Turnier mindestens im Halbfinale und auch schon die Nummer eins der Weltrangliste. Was fehlt: der ganz große Titel.

Ich habe eine nahezu komplette Spielerin übernommen. Klar, es gibt immer was zu verbessern, im technischen Bereich zum Beispiel. Aber das Startpotenzial ist enorm.

Sie haben mit Osaka und Williams Titel gewonnen - was fehlte Pliskova bislang?

Ich glaube, dass sie sich diesen Titel zu sehr gewünscht und sich zu sehr unter Druck gesetzt hat. Es ist manchmal schlimmer, wenn man was zu sehr will, als wenn man es zu wenig oder gar nicht will.

Wie ändert man das?

Es geht bei Karolina nicht mehr darum, sie grundsätzlich zu verbessern. Der Ansatz ist anders, es gibt ein konkretes Ziel: den Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier; wir arbeiten also daran, dass sie zum richtigen Zeitpunkt die möglichst beste Leistung abrufen kann.

Wie tun Sie das?

Ich arbeite sehr viel mit Worst-Case-Szenarien. Also: Was tun bei 0:30? Oder bei 0:5 im ersten Satz? Was tun, wenn es vermeintlich gar nicht läuft? Das stimmt nämlich oft nicht!

Wie bitte?

Viele reden sich das ein, doch es stimmt oft nicht. Nur weil der Aufschlag nicht kommt, bedeutet das nicht, dass auch die Rückhand grottenschlecht ist. Die großen Champions wie Williams oder Osaka wirken oft so leicht und gelassen, dabei haben sie häufig ähnliche Probleme wie die anderen. Was sie unterscheidet: Sie finden eine Lösung dafür. Das Problem ist oft nicht das vermeintliche Problem, sondern: Wie reagiere ich darauf?

Also etwa: Taktik ändern, damit dieser eine Aspekt, der nicht klappt, weniger auffällt?

Das kann eine Lösung sein; wichtiger ist der Gedanke, und damit sind wir wieder beim Kopf: Es ist nicht gleich alles schlimm, nur weil eine Sache gerade nicht so funktioniert, wie man das gerne hätte. Wer das verinnerlicht, kann die größeren Probleme während einer Partie lösen.

Pliskova hat zuletzt in Montréal das Finale erreicht und in Cincinnati das Halbfinale. Kann Sie jetzt die US Open gewinnen?

Absolut! Sie spielt einen tollen Sommer, sie hat unfassbar hart gearbeitet, und sie sah bei der ersten Partie in New York richtig gut aus.

Ihr Termin beim Konsulat ist am 9. September - nur ein paar Tage vor dem Finale.

Das könnte ich schaffen. Aber: Ich würde dann keinesfalls im Stadion sein!

Warum nicht?

Ich würde sie natürlich vorbereiten, so gut ich kann - aber ich bin viel zu abergläubisch, als dass ich mich dann in die Box neben dem Platz setzen würde. Ich würde das Finale in einer Bar in New York gucken.

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