Süddeutsche Zeitung

US Open:Das Klima im Tennis wird giftiger

Die geplante Austragung der US Open spaltet die Tennisprofis: Nick Kyrgios bezeichnet das Vorhaben als "egoistisch" - und auf jeden Fall fehlen wird Roger Federer.

Von Gerald Kleffmann

Am Anfang war noch vieles amüsant. Elina Svitolina und Gaël Monfils filmten sich weiter als Turtelpaar, Stan Wawrinka zeigte zufällig seinen Waschbrettbauch. Höhepunkt der Ausgelassenheit war eine Videosequenz, die Roger Federer online stellte. Der Schweizer war dabei zu bestaunen, wie er, in Weiß gekleidet samt weißem Hut, Bälle gegen eine Tenniswand schlug, aus einem Meter Entfernung, plopp, plopp. 2,3 Millionen Mal wurde die Szene angeklickt, tausendfach nachgeahmt, von Profis, von Fans. In der Folge fiel Federer auch dadurch auf, dass er auf seinen digitalen Profilen Comic-Schnipsel postete, von Tom&Jerry und den Simpsons. Etwas Zerstreuung inmitten düsterer Pandemiezeiten wollte er bieten.

Seit diesem Mittwoch ist klar, dass auch in der Welt des 20-maligen Grand-Slam-Siegers nicht alles heil ist. In einem ernsten Tweet teilte Federer mit, dass an seinem rechten Knie abermals ein arthroskopischer Eingriff erfolgen musste. Seine Pause, die ihn schon länger aus dem Turnierbetrieb in 2020 nahm, müsse er daher verlängern. Man sehe ihn 2021 wieder - er verabschiedete sich freundlich mit den Worten: "All the best, Roger."

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Natürlich verbreitete sich auch diese Nachricht schnell, die Reaktionen waren indes weniger heiterer Natur als vielmehr besorgt. "Werde schnell gesund", schrieb Craig Tiley. Der Turnierdirektor der Australian Open hofft, dass er Federer als Erster im Turniergeschehen begrüßen kann, im Januar. Auch die obligatorischen Spekulationen zum Thema Karriereende setzten ein, am 8. August 2021 wird Federer 40 Jahre alt, aber auch diese ewige Debatte dürfte der noch 38-Jährige wie immer aussitzen.

Nach Lage der Dinge hat er mit seinem Entschluss, vorzeitig auszusteigen, ähnlich wie 2016 alles richtig gemacht. Ob und wie diese Saison noch gerettet werden kann, ist ja nicht nur eine komplexe Frage, die die Verantwortlichen der Männertour ATP und der Frauentour WTA verzweifeln lässt. Bei der Suche nach Auswegen und Lösungen wird das interne Klima giftiger, Vorwürfe werden persönlicher.

Konkret müssen die Organisationen, auch der Weltverband ITF, der bei den vier Grand Slams involviert ist, entscheiden, wie im August die erhoffte Wiederaufnahme der Tour aussehen soll. Diverse Turniere wurden bislang ganz gestrichen, andere wie die French Open (in dem Fall gar eigenmächtig) in die zweite Jahreshälfte geschoben. Nun stauen sich bis Dezember die Events, der Handlungsdruck steigt. Am Mittwoch fand daher eine Videokonferenz per Zoom-Schalte statt, 400 Spielerinnen und Spieler sowie Coaches nahmen teil, wie der Slowake Lukas Lacko twitterte.

Eine Person aus dem Kreis der Betroffenen berichtet, der amerikanische Verband wolle alles versuchen, damit vor allem die US Open ab 31. August stattfinden. Das US-Dachgremium ist finanziell schwer angeschlagen und musste gerade erst Entlassungen von Mitarbeitern und andere harte Einschnitte verkünden. Vor allem die Fernsehmillionen sollen die Rettung bringen.

Der Plan lautet nach wie vor: Die Profis sollen, nach einer Quarantäne, in einem Flughafenhotel (dem neuen TWA-Komplex) wohnen, kein Qualifikationsturnier, verkleinertes Doppelfeld, winzige Teams der Profis. Das Turnier in Cincinnati könnte überdies vorher in New York stattfinden, damit alles in einer Blase bleibt. Aber: "Wie es im Moment aussieht, wird die Saison für mich Anfang September auf Sand weitergehen", hatte der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic vorab dem TV-Sender RTS gesagt. Rafael Nadal ließ ebenso Zweifel an seiner Teilnahme in den USA anklingen. Doch was wäre ein Grand Slam wert ohne die großen Drei? Eine Menge, findet nun Danielle Collins, die Djokovic widersprach und meinte, es sei leicht, mit fast 150 Millionen Dollar Preisgeld auf einen Neubeginn bei den US Open zu verzichten. Die US-Spielerin fände es "nett, die Besten der Welt würden sich für diese Gelegenheit einsetzen". Der Australier Nick Kyrgios wiederum griff die ATP an ("egoistisch" ) und verwies auch auf die aufgeheizte, unsichere politische Lage in den USA.

Bis nächsten Montag haben die Verantwortlichen Zeit, die Entscheidung abzuwägen, dann will man an die Öffentlichkeit gehen. Offiziell gab es dieser Tage nur eine Mitteilung, immerhin eine positive: In Stacey Allaster, der langjährigen WTA-Chefin, wird erstmals eine Frau Turnierdirektorin der US Open.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2020/ska
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