US Open:Djokovic hat verloren, aber wird endlich geliebt

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Emotional berührt im Finale: Novak Djokovic. (Foto: John Minchillo/AP)

Der Serbe bricht während des US-Open-Endspiels in Tränen aus - weil ihm die Zuneigung der New Yorker zuteilwird. Gut möglich, dass Djokovic diese Niederlage mehr bedeuten wird als seine Triumphe.

Kommentar von Jürgen Schmieder, New York

Das Finale der US Open war längst nicht vorbei, die 25 703 Leute im Arthur Ashe Stadium waren wild entschlossen, Novak Djokovic noch zum grandiosesten Comeback der Tennisgeschichte zu brüllen; krasser als das Wimbledon-Achtelfinale 1987, als Jimmy Connors (USA) einen 1:6, 1:6, 1:4-Rückstand gegen Mikael Pernfors aufholte. Djokovic wusste jedoch, beim Stand von 4:6, 4:6, 4:5 und obwohl er davor ein Break geschafft hatte, dass es vorbei war - und er lächelte, als er bemerkte, wie sehr die Zuschauer ihn anfeuerten. Er setzte sich auf seinen Stuhl, lächelnd, er ballte noch mal die Faust, vergrub das Gesicht in seinem Handtuch, und dann weinte er. Vor, ja wirklich: Freude, vielleicht auch ein wenig aus Erleichterung darüber, dass es vorbei war: dass der Druck von ihm abfallen durfte.

Djokovic stand nach 27 Siegen in Grand-Slam-Partien nacheinander vor einem historischen Triumph, er hätte alle vier Major-Turniere innerhalb eines Jahres gewinnen können - das hat seit Rod Laver 1969 kein Tennisspieler mehr geschafft. Er hat darüber hinaus als bislang Einziger alle neun Masters-Turniere gewonnen, und er stand länger auf Platz eins der Weltrangliste als jeder andere Spieler in der Geschichte. Das sind die objektiv messbaren Kriterien, und vielleicht waren ihm die auch deshalb immer so wichtig, weil er in subjektiven Kategorien oft hinter den ewigen Publikumslieblingen Roger Federer und Rafael Nadal eingeordnet wurde, die wie er 20 Grand-Slam-Titel gewonnen haben.

Im Finale spürt Djokovic den Unterschied zwischen Respekt und Liebe

Beim US-Open-Finale 2015 etwa wurde er ausgebuht und ausgepfiffen, weil die New Yorker Fans unbedingt Federer als Sieger wollten; im French-Open-Halbfinale in diesem Jahr waren die wenigen Zuschauer so laut wie bei voller Hütte, weil sie Seriensieger Nadal ins Endspiel schreien wollten und nicht Außenseiter Djokovic. Das Publikum hält ja gewöhnlich zum Herausforderer - außer es geht um Federer oder Nadal, und das hat Djokovic nun erlebt: Die New Yorker wollten nicht Daniil Medwedew als Sieger, sondern ihn, den Favoriten, den sie so häufig - und häufig auf sehr gemeine Art und Weise - geschmäht hatten.

Djokovic wurde bis dahin respektiert; Ablenkungsversuche und Buhrufe sind letztlich nichts anderes als der Ausdruck größtmöglichen Respekts. Nun aber wurde er von den New Yorkern: gefeiert, und das stellte was an mit Djokovic. "Ich habe die Partie verloren, ich bin jedoch der glücklichste Mensch auf der Welt. Ihr habt mein Herz berührt", sagte er auf dem Platz, später ergänzte er: "Es war etwas, das ich noch nie in meinem Leben zuvor gefühlt habe. Das Gefühl ist so stark wie 21 Grand-Slam-Siege."

Er hat in diesem Finale den Unterschied gespürt zwischen Respekt und Liebe, und es ist durchaus möglich, dass ihm am Ende dieser großen Karriere diese eine Niederlage mehr bedeutet als all die Triumphe.

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