Tennis in Corona-Zeiten:US-Verband plant zwei Großturniere in New York

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US-Open-Gewinner Rafael Nadal hatte im vergangenen Jahr 34 Begleiter akkreditiert. (Foto: AP)

Die Stadt könnte die US Open und das Masters von Cincinnati hintereinander austragen. Den besten Profis drohen Einschränkungen, die ihnen nicht gefallen dürften.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist ein erhabenes Gefühl, wenn man mitten in der Nacht ganz allein im größten Tennisstadion der Welt steht. Alles ist so wahnwitzig groß im Arthur-Ashe-Stadion, dass selbst das Spielfeld unfassbar klein wirkt. Und dann gibt es noch dieses Geräusch, das die einen, die Zuschauer, faszinierend finden und die anderen, die Spieler, störend: Nein, nicht die murmelnden, schlürfenden und manchmal rülpsenden Leute auf den Tribünen, sondern das Surren der Klimaanlage bei geschlossenem Dach, das - und es wird umso deutlicher, wenn sonst niemand da ist - wirklich sehr, sehr laut ist.

Diese Eindrücke könnten die Profis in diesem Sommer gleich zweimal erleben: Der amerikanische Tennisverband (USTA) hat Pläne veröffentlicht, das Masters-Turnier von Cincinnati und die US Open nacheinander auf der Tennisanlage von Flushing Meadows durchzuführen; wohl ohne Zuschauer, dafür mit dem lautem Surren, das es den Spieler tatsächlich erschwert, anhand der Geräusche bei Schlägen der Gegner den Spin des Balles zu hören. Das Gelände hat den Vorteil, dass es zwei Stadien mit Dach beherbergt (die Belüftung im Louis-Armstrong-Stadion ist deutlich leiser) und somit Partien auch bei Regen fortgesetzt werden können.

Konkret: Die Western & Southern Open sollen vom 17. bis 23. August stattfinden, die US Open als zweites Grand-Slam-Turnier des Jahres vom 31. August bis 13. September (die French Open werden möglicherweise im September nachgeholt, Wimbledon ist bereits abgesagt). Alles in New York: US Closed also. Es soll eine Blase für die Spieler geschaffen werden, wie das auch die Basketballliga NBA in Erwägung zieht mit ihrer Idee, den Rest der Saison in Disney World in Florida auszutragen.

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VIP-Logen als Umkleidekabinen

Der Vorschlag ist der Coronavirus-Pandemie geschuldet; es gibt freilich Amerikaner, die wegen der Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd verdrängt haben, dass es da noch dieses Virus gibt. Der Plan klingt durchaus realistisch: Tennisspieler sind Nomaden, die in jeder Saison mehrmals um den Globus reisen, um an Orten anzutreten, die Ranglistenpunkte und Preisgeld versprechen. Da lautete die Frage: Wie soll das funktionieren angesichts von Reisebeschränkungen, Quarantäne und Abstand halten - obwohl Tennis, das haben kleinere Turniere zuletzt gezeigt, die Abstandsportart schlechthin ist? Novak Djokovic zum Beispiel bereitet eine Adria Tour vor mit Partien in Belgrad, Sarajevo, Zadar und Banja Luka; Dominic Thiem, Grigor Dimitrov und Alexander Zverev haben zugesagt. Der deutsche Verband organisiert kommende Woche einen Miniwettkampf für nationale Spieler.

"Es ist noch nichts entschieden", sagt USTA-Geschäftsführerin Stacey Allaster: "Wir haben andere Termine und Tennisanlagen geprüft, aber das erschien nicht besonders sinnvoll." Der aktuell debattierte Plan sieht vor, die Qualifikation sowie die Jugend- und Seniorenturniere abzusagen. Die Teilnehmer würden eine Fluggemeinschaft von Knotenpunkten aus nach New York bilden, sie würden die VIP-Logen im Arthur-Ashe-Stadion als Umkleiden sowie die Restaurants und Freiflächen der Anlage als Aufenthaltsorte nutzen. Es wird über Regeländerungen sinniert, etwa bei den Männern nur zwei Gewinnsätze zu spielen und Coaching auf dem Platz zu erlauben.

Dies allerdings führt direkt zur ersten Detailfrage: Wie viele Begleiter werden die Spieler nach New York bringen dürfen? "Es ist offensichtlich nicht möglich, dass jemand vier, fünf, sechs oder sieben Leute mitbringt", erklärt Allaster. Dazu nur eine Zahl aus dem vergangenen Jahr: 34. So viele Akkreditierungen wurden für den späteren Sieger Rafael Nadal ausgestellt.

Es ergäbe eine interessante, neue Konstellation, wenn für alle Spieler die selben Voraussetzungen herrschten, weil keiner aufgrund seiner finanziellen Möglichkeiten eine Entourage aus Helferlein mitbringen dürfte. Denn ohne eine Neiddebatte anstoßen zu wollen, werden gewisse Aspekte regelmäßig angesprochen im Profitennis: wie strapaziös sich die Saison für Spieler aus hinteren Weltranglistenregionen gestaltet; wie groß ihre finanzielle Unsicherheit ist; welche Nachteile sich daraus gegenüber den etablierten Akteuren ergeben, die sich diesen Status freilich erarbeitet haben und damit auch ihren Tross aus Trainer, Physiotherapeut, Bespanner, Psychologe und Manager. Es konnte trotz intensiver Recherchen nicht zweifelsfrei geklärt werden, wofür der Spanier Rafael Nadal im vergangenen Jahr die restlichen 29 Akkreditierungen brauchte.

Ein reduzierter Betreuerstab? "Die werden durchdrehen", prophezeit Sven Groeneveld in der New York Times. Groeneveld hat Sloane Stephens und Maria Scharapowa trainiert, derzeit betreut der Niederländer Taro Daniel. Die kroatische Spitzenspielerin Donna Vekic, die im Vorjahr das Viertelfinale erreicht hatte, ergänzte: "Es ist in Ordnung, ohne Fans zu spielen - das Schlimmste allerdings wäre es, nur eine Person aus meinem Team mitbringen zu dürfen." Beim geplanten Format seien die Spieler inklusive Vorbereitung wohl mehr als fünf Wochen lang in New York, wohl sogar in einem eigens abgesperrten Hotel untergebracht: "Ich sehe nicht, wie das möglich sein sollte und wie Top-Spieler das akzeptieren sollten", sagt Vekic.

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Es bleibt den Spielern noch Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, bei einem Grand-Slam-Turnier die Bälle selbst aufzuklauben

Es ist angesichts der Pandemie und der Proteste wegen des getöteten Floyd allgemein zu spüren, dass es im amerikanischen Sport ein Wettrennen gibt, um Profisport als Eskapismus anzubieten: Die Basketballliga NBA will am 31. Juli in Florida mit 22 Teams beginnen und die verbleibende Saison spätestens am 12. Oktober beenden. Die Fußballliga MLS will von 24. Juli an eine K.-o.-Runde spielen, ebenfalls in Florida. Beim Baseball wird nun sogar der 30. Juni als Starttermin debattiert, allerdings streiten die Liga und die Spieler noch über Format und Finanzen, weshalb es auch sein könnte, dass diese Saison niemals beginnen wird.

Nun gibt es also diese Pläne beim Tennis, über die USTA-Chefin Allaster der New York Times sagte, dass sie eine endgültige Entscheidung bis Mitte oder Ende Juni erwarte. Es bleibt den Spielern noch ein wenig Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, bei einem Grand-Slam-Turnier die Bälle selbst aufzuklauben und die Handtücher zwischen den Ballwechseln selbst holen zu müssen. Und sich auf dieses erhabene Gefühl vorzubereiten, mit nur wenigen Menschen in dieser riesigen Tennisarena zu sein - und nichts zu hören als das Summen der Belüftungsanlage.

© SZ vom 05.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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