Tennistrainer Sascha Bajin:"Angie gibt nie auf"

Wimbledon

Kämpft verbissen: Angelique Kerber, hier in Wimbledon.

(Foto: REUTERS)

Sascha Bajin führte Naomi Osaka zum US-Open-Titel - jetzt trifft er als Trainer von Kristina Mladenovic auf Angelique Kerber. Seine Wertschätzung ist enorm.

Interview von Jürgen Schmieder, New York

Tennistrainer Sascha Bajin, 34, in München aufgewachsen, betreut die französische Profispielerin Kristina Mladenovic, die zum Auftakt der US Open an diesem Montag die dreimalige Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber herausfordert. Bekannt wurde Bajin vor einem Jahr: Damals war er der Trainer von Naomi Osaka, die er als 20-Jährige zum US-Open-Titel führte - in einem Finale, das unter skandalösen Umständen endete, weil Osakas Gegnerin Serena Williams sich vom Schiedsrichter benachteiligt sah und die 24 000 Zuschauer derart gegen die Japanerin aufbrachte, dass dieser bei der Siegerehrung Tränen übers Gesicht liefen. Ein Gespräch über Kerbers Tempo, Mladenovics Stärken und Unwägbarkeiten auf dem Tennisplatz.

SZ: Herr Bajin, mit einem Jahr Abstand: Was war los im US-Open-Finale 2018?

Bajin: Schauen Sie mal (deutet auf seine Unterarme): Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ich bin sofort nach meiner Ankunft runter auf den Platz und habe mir das noch einmal angesehen. Es war unglaublich emotional damals, schlimmer waren allerdings die beiden Tage vor dem Finale.

2018 US Open - Day 13

Sascha Bajin, 34, arbeitete von 2007 bis 2015 als Hitting Partner für Serena Williams (USA). 2018 wurde er Coach von Naomi Osaka, seit April trainiert er Kristina Mladenovic.

(Foto: AFP)

Weil Sie wussten: Es geht gegen Serena Williams, mit der Sie davor acht Jahre lang als Trainingspartner gearbeitet hatten?

Ich bekam vor dem Endspiel Morddrohungen von Serena-Fans, das war wirklich übel. Ich konnte zwei Tage lang nicht schlafen, ich war aufgewühlt, musste aber Naomi auf diese Partie vorbereiten. Ich wollte, dass sie das wie ein ganz normales Tennisspiel angeht.

Und dann nahm die Partie einen Verlauf, den es so zuvor noch nie gegeben hatte ...

Ich kann mit meiner Spielerin die Vorhand trainieren oder sie auf bestimmte Schläge vorbereiten. Aber kein Trainer auf der Welt kann diese Situation simulieren. Ich kann nicht am Tag davor 24 000 Leute zum Training holen und sagen, dass sie Naomi aber mal so richtig ausbuhen sollen.

Wie haben Sie dieses Spiel erlebt? Ein Trainer darf ja nicht coachen, auch darum ging es beim Finale: Patrick Mouratoglou, Serena Williams' Trainer, soll Handzeichen verwendet haben.

Ich habe das nur verschwommen wahrgenommen, es ist ja alles komplett aus dem Ruder gelaufen. Ich habe versucht, äußerlich so ruhig wie möglich zu bleiben - unter meinem Sitz allerdings hat mein Fuß permanent gezittert. Während der Partie kannst du, darfst du als Trainer nichts machen. Ich habe Naomi vor dem Spiel gesagt: "Es gibt nur ein paar Momente im Leben, in denen ein Mensch erfährt, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Das sind meistens die Momente, auf die man sich nicht vorbereiten kann." Sehen Sie sich dieses Finale noch einmal an und achten Sie dabei nur auf Naomi, wie sie das verarbeitet hat, wie sie damit umgegangen ist, wie sie dieses Spiel zu Ende gebracht hat. Da sieht man: Sie ist ein ganz besonderer Mensch.

Was passierte nach dieser Siegerehrung, bei der die Zuschauer ausrasteten?

Naomi war emotional fix und fertig. Wir sind direkt danach zurückgefahren ins Hotel, und sie wollte noch nicht einmal mit ihrer Familie und mir zu Abend essen. Sie hat ein Glas Wasser getrunken und dann gefragt, ob sie sich zurückziehen darf. Ich selbst habe mir einen Whiskey-Cola gegönnt und bin dann auch sofort ins Bett gegangen. Ich musste am nächsten Tag nach Florida und von da aus sofort weiter nach Japan, um dort alles für das nächste Turnier vorzubereiten.

Sie konnten das gar nicht verarbeiten ...

... wir sind beide nach dem Turnier in Japan krank geworden. Was ich gelernt habe: vielleicht den Moment ein bisschen genießen und nicht immer gleich an die nächste Aufgabe denken.

Naomi Osaka gewann im Januar darauf auch die Australian Open und wurde auf Platz eins der Weltrangliste geführt.

Auch das spricht für ihren Charakter. Sie hatte vor unserer Zusammenarbeit ja noch nicht einmal ein Turnier gewonnen. Sie musste lernen, wie sich das überhaupt anfühlt, zwei Wochen lang auf hohem Niveau zu spielen. Das beginnt für mich auf dem Trainingsplatz: Ich verlange eine gewisse Intensität. Es gibt im Leben einer Tennisspielerin auch Sponsorentermine, Interviews, Anreise, Regeneration. Ich will die Zeit auf dem Platz effektiv nutzen, nur dann kann eine Spielerin erfolgreich sein.

"Es war ihre Entscheidung, und die respektiere ich"

Die Spielerinnen, die mit Ihnen gearbeitet haben, Osaka und Williams, aber auch Viktoria Asarenka und Caroline Wozniacki, beschreiben Sie als genau das: intensiv.

Ich empfinde das als Kompliment. Ich habe sehr hohe Ansprüche an mich, ich opfere sehr viel für meinen Job: Ich habe die Hochzeiten meiner Mutter und meiner Schwester verpasst. Ich bin ein paar Stunden nach einer Kieferoperation auf dem Platz gewesen. Ich kann meinen Finger noch immer nicht richtig bewegen, weil ich gespielt habe, obwohl er gebrochen gewesen ist. Ich bin ein Arbeitstier, und das verlange ich auch von meinen Spielerinnen.

Wie groß ist die Gefahr, dass jemand, der viel erreicht hat, danach zu schnell zu satt wird?

Sehen Sie die Spielerinnen an, die eine gesetzte Gegnerin schlagen: Wie oft verlieren die gleich in der nächsten Runde? Sie sind zufrieden mit dem Erfolg, auch der Trainer ist erst einmal glücklich, weil er vielleicht einen Bonus bekommt. Sie lassen es womöglich ein bisschen lockerer angehen. Ich habe die Mentalität von Serena übernommen: Für sie zählt nur der Turniersieg, da wird nach einem Erfolg im Viertel- oder Halbfinale nicht gefeiert. Und nach dem Turniersieg denkt sie schon wieder an das nächste Turnier.

Hat das letztlich zur Trennung von Naomi Osaka geführt? Sie sagte, dass sie sich nicht so quälen wolle.

Ich will gar nicht viel dazu sagen. Es war ihre Entscheidung, und die respektiere ich. Wir begrüßen uns, wenn wir uns sehen, es ist alles in Ordnung. Ich habe aber, wie ich vorhin schon gesagt habe, aus all den Erfahrungen des vergangenen Jahres gelernt, dass ich bei aller Intensität den Moment auch mal genießen darf.

Sie hatten danach Angebote von Männern und Frauen, darunter auch sehr lukrative. Warum haben Sie sich im April für Mladenovic entschieden, die gerade auf Platz 53 der Welt geführt wird?

Ich habe mir die Frage gestellt: Wem kann ich am meisten helfen? Das war der entscheidende Punkt; dazu die Tatsache, dass es während der Saison nur wenig Eingewöhnungszeit gibt. Ich kannte Kristina lange, wir sprechen die gleiche Sprache (Bajin und Mladenovic unterhalten sich auf Serbisch, Anm. d. Red), ich kenne das Umfeld. Das hat den Einstieg erleichtert.

Sie haben mal gesagt: "Ich will nur mit Spielerinnen arbeiten, die in der Lage sind, jede Gegnerin zu schlagen." Trifft das auf Mladenovic zu?

Auf jeden Fall, sie hat das auch schon bewiesen. Die Situation im Frauentennis ist eine andere als noch vor sechs, sieben Jahren. Wenn man damals die 128 Spielerinnen bei einem Grand-Slam-Turnier gefragt hätte, wer sich den Sieg zutraut, hätte vielleicht eine Handvoll die Hand gehoben. Jetzt gibt es viele Spielerinnen, die sich das zutrauen, und zwar zurecht. Es ist spannend, was da gerade passiert im Frauentennis, das macht die Arbeit so interessant.

Mladenovic trifft in der ersten Runde auf Angelique Kerber, die dieses Turnier schon gewonnen hat.

Angie ist eine herausragende Spielerin, die unfassbare Winkel spielen kann und dazu kontert wie kaum eine andere. Das ist schon ein harter Brocken, sie ist unglaublich fit und auch eine wahnsinnige Kämpferin. Kerber spielt immer dann fantastisch, wenn die Gegnerin Tempo macht, wie es zum Beispiel Osaka und Williams tun. Sie kann dieses Tempo aufnehmen und spielt dann trotz der Geschwindigkeit oftmals an die Linien ran. Es ist sehr schwer, dagegen ein Mittel zu finden, weil die Bälle noch schneller und präziser zurückkommen. Sie tut sich allerdings schwer, wenn die Gegnerin das Tempo variiert, hin und wieder mal Topspin einstreut oder einen Slice. Und noch etwas ...

Nur zu!

Es war zuletzt nicht leicht für Angie, die Ergebnisse waren nicht so gut, dazu kam die Trennung von ihrem Trainer. Sie ist eine Kämpferin, die niemals aufgibt und sich in eine Partie oder auch ein Turnier hineinfuchst. Sie wird im Verlauf einer Veranstaltung immer stärker, weil sie auch selbstbewusster wird. In den ersten Runden hat sie manchmal Probleme, und sie hadert in diesen Partien dann hin und wieder mit sich selbst. Sagen wir es so: Wenn ich schon gegen Angie spielen muss, dann spiele ich lieber gleich in der ersten Runde gegen sie.

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